Neunte Kunst

Comic-Autor Reinhard Kleist: „Johnny Cashs Sexyness hat mich immer interessiert“

Comic-Autor Reinhard Kleist im Gespräch über die schwierigen Anfänge als Zeichner, über Johnny Cash als Türöffner, dramaturgische Balanceakte und seinen David-Bowie-Comic.

Als „Cash“ 2006 erschienen ist, war die Comicwelt in Deutschland noch eine andere. International war die deutsche Comicszene kaum präsent, aber auch die deutschen Verlage hatten wenige bis gar keine deutschsprachigen Autorinnen und Autoren unter Vertrag. Wie war das für dich in den Nullerjahren?  War es ein großes Risiko für dich, ein so umfangreiches Projekt anzugehen?

Ich erinnere mich teilweise nur ungern daran, aber in der Zeit war mein Bestreben, als deutscher Comiczeichner ernst genommen zu werden, zumindest in finanzieller Hinsicht, eine ziemliche Bruchlandung. Ich veröffentlichte zwar Bücher, aber die waren alles andere als erfolgreich. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich mir Gedanken darüber machen musste, wie ich weiter arbeiten will. Da kam die Bewegung der Graphic Novels gerade in Deutschland in Schwung und ich hatte die fixe Idee, ein Buch zu machen, das in diese Sparte passte und meine Vorliebe zur Musik und eine gewisse Vermarktbarkeit vereinen könnte.

Mehr zum Thema
Johnny Cash: Leben und Tod einer Country-Legende

Ich stellte die Idee von einer Comic-Biografie über Johnny Cash meinem Freund Michael Groenewald bei einem Abendessen vor, und er versprach, das Projekt in einer Redaktionssitzung vorzustellen. Entgegen unseren Erwartungen ging Carlsen das Risiko ein und das Buch wurde auf den Weg gebracht. Zwischenfinanziert habe ich die eineinhalb Jahre dauernde Arbeit an dem Werk durch Arbeit für einen Film, für Werbung und einen Job als Fahrer beim Filmfestival Berlinale.

Der Erfolg der Graphic Novel „Cash – I see a darkness“ hat für mich viele Türen geöffnet. Nicht nur war ich in der Lage mir Folgeprojekte nun aussuchen zu können, sondern es folgten auch viele Einladungen des Goethe-Instituts, das auf den deutschen Comic aufmerksam geworden war. Mit ihnen habe ich auch viele Live-Drawing-Konzerte veranstalten können, bei denen zuerst die Musik von Cash im Mittelpunkt stand, später dann auch die von Nick Cave und David Bowie.

Außerdem war es mein erstes längeres Projekt, bei dem ich den kompletten Text mit der Hilfe meines Redakteurs Michael Groenewald selber geschrieben habe. Ich habe durch dieses Buch die Scheu vor längeren Projekten verloren und mich stattdessen an immer gewagtere getraut, wie zum Beispiel ein Buch über Fidel Castro, das ganze 120 Seiten mehr aufweist als „Cash“.

Und: Zum ersten Mal habe ich hier einen Erzähler implementiert, der für die Geschichte enorm wichtig ist, nicht nur als Lieferant für gewisse Fakten und dramaturgische Überleitungen, sondern als wichtige Ergänzung zu meiner biografischen Erzählung, hier nämlich dem Thema des Gefangen-Seins in einem realen Gefängnis oder in dem Gefängnis, was man selber um sich herum hochzieht.

 

Warum hast du dir Johnny Cash für deine erste Musiker-Biografie ausgesucht? Welche Bedeutung hatten und haben seine Musik und sein Leben für dich? Was hat dich als Erzähler speziell gereizt?

Ich muss gestehen, dass die Idee, einen Comic über Johnny Cashs Leben zu zeichnen, nicht primär meine war. Ich hatte eher eine lose Idee, eine Graphic Novel über Musik zu machen, Musik im Bild darzustellen. Zu der Zeit lebte ich in einer Wohngemeinschaft in Kreuzberg mit einem großen Cash-Fan zusammen, der mir die Biografie von Franz Dobler in die Hand drückte. Ich war begeistert! Auf so einen Stoff hatte ich geradezu gewartet. Dass bereits ein Spielfilm über ihn angekündigt war, hatte ich dann erst einmal beiseitegeschoben.

Ich selber war schon lange ein Fan und mich hatte seine düstere Weltsicht, sein Erscheinungsbild und, ja, auch seine Sexyness immer fasziniert. Mit dem Mitbewohner hatte ich schon zwei Country-Partys im berühmten SO36 in Kreuzberg veranstaltet, bei denen Cash jeweils im Mittelpunkt stand.

Cash hatte es immer verstanden, Musik und das Erzählen von Geschichten zusammenzubringen. In vielen Songs benutzte er seine Musik, um die Handlungen zu illustrieren. Ich wollte dasselbe in eine Bildebene übersetzen und schnell war klar, dass ich über die Handlung des Comics verteilt immer wieder Songs von ihm als kleine Kurzgeschichten einbauen wollte.

 

Seit „Cash“ hast du schon etliche andere biografische Stoffe umgesetzt, darunter auch weitere Musiker-Laufbahnen: „Nick Cave“ und „Starman“ (David Bowie). Was hast du durch „Cash“ und die nachfolgenden Projekte über das biografische Erzählen gelernt? Gibt es Dinge, die du heute bei „Cash“ anders machen würdest?

Was mir bei jedem Buchprojekt seit „Cash“ wichtig war, war die persönliche Bindung des Lesers zu dem Leben oder dem Stoff, den ich im Comic porträtiere. Dafür habe ich sehr oft den Erzähler, in welcher Form auch immer, benutzt. Mal war es eine erfundene Figur, die in der Handlung auftauchte, wie bei „Castro“, oder mal die Facebookeinträge der Protagonistin, wie bei „Traum von Olympia“. Wichtig war mir immer, dem Leser die Geschichte erlebbar zu machen. Volker Skierka, Autor und Castro-Experte, sprach dazu von einer „gefühlten Wahrheit“.

Ich habe den „Cash“-Band für die neue Ausgabe noch einmal von vorne bis hinten durchgearbeitet und habe nur an einigen Stellen den Text noch etwas verändert und angepasst. Ich glaube, nach mehrmaligem Durchlesen kann ich sagen, dass ich damals einen guten Job gemacht habe. Dramaturgisch würde ich nichts mehr ändern wollen. Das Buch hält eine gute Balance aus biografischen Fakten, Spannung und emotionaler Tiefe. Nur bei ein paar Panels habe ich dann doch gemerkt, dass ich mich zeichnerisch weiterentwickelt habe.

Für 2024 ist der zweite und finale Band deiner David-Bowie-Hommage geplant. Kannst du uns ein wenig etwas dazu erzählen? Welche Phasen in Bowies Leben wirst du behandeln? Und was wird dein narrativer Fokus im Vergleich/Unterschied zu „Starman“?


Comic-Blog „Neunte Kunst“


Im zweiten Teil der Bowie-Graphic-Novel wird es um die Jahre nach dem Ende seiner Ziggy-Stardust-Zeit gehen: Die exzessive Zeit in den USA und dann hauptsächlich die Jahre, in denen er in Berlin gelebt hat, meiner Heimatstadt. Ich lege dabei den Fokus auf seine kreative Arbeit und wie seine Umgebung und die Menschen in seinem Umfeld ihn beeinflusst haben. Außerdem wird natürlich erklärt, wer der Erzähler und der Astronaut, der im ersten Teil immer mal wieder in den Rückblenden auftauchte, ist.

Alle Bilder: Carlsen Comics

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates