Neil Young
„Official Release Series, Vol. 5“ – Der Freischärler
Reprise/Warner (VÖ: 28.7.)
„Freedom“, „Ragged Glory“ und „Arc/Weld“ in einer Box
Die 80er-Jahre fanden entgegen anderslautenden Behauptungen nicht ohne Neil Young statt. David Geffen, der Neil Young freudig unter Vertrag genommen hatte, haben die Platten jener Jahre nicht gefallen, weil sie nicht neilyoungish waren. Wie wir heute wissen, waren sie sehr neilyoungish. Und es gibt Apologeten von „Trans“ und „Everybody’s Rockin’“, von „Old Ways“ und „Landing On Water“. Vielleicht auch von „Life“, ich kenne aber niemanden.
Frank „Poncho“ Sampedro und Ben Keith spielen meisterlich
Dann kam das Jahr 1989. Ein junger Mann stellte sich vor einen Panzer auf dem Tian’anmen-Platz in Peking. Neil Young schrieb „Rockin’ In The Free World“. Die akustische Version des Songs eröffnet „Freedom“, die elektrische beschließt die Platte – das Prinzip von „Hey Hey, My My“ auf „Rust Never Sleeps“. Und der Song donnert und grollt am Ende genauso gewaltig. „Crime In The City“ ist einer der kaltschnäuzigsten und zugleich wehmütigsten Songs von Neil Young und ein seltenes Beispiel für Rollenprosa, eine Art Hardboiled Story: „Then I grew up to be a fire man/ Put out every fire in town/ Put out anything smokin’/ But when I put the hose down/ The judge sent me to prison/ Gave me life without parole.“ Die beiden Gitarren schollern hier wunderschön wie auch in „Eldorado“. Frank „Poncho“ Sampedro und Ben Keith spielen meisterlich.
„On Broadway“ als krachendes Lärmstück, die gespenstische Ballade „Wrecking Ball“, das sehnsüchtige „No More“ und die verschlurftreuevolle Western-Weise „Too Far Gone“ sind vollendete Songs des Künstlers im Zenit seiner Möglichkeiten. Der auch besonders berückend singt. Am Ende des Jahres führte „Freedom“ nahezu jede Bestenliste an. Nur die Platte eines anderen Songschreibers und Gitarristen konkurrierte mit diesem olympischen Album: „Workbook“ von Bob Mould.
„Ragged Glory“ ist eine improvisierte Radau- und Bauernplatte
Schon ein Jahr später war Neil Young mit Crazy Horse wieder da. „Ragged Glory“ ist eine improvisierte Radau- und Bauernplatte: „Farmer John“, „Mother Earth“ und „Country Home“ feiern die Scholle. „Love To Burn“ ist zehn Minuten lang. Das Album ist in der „Official Release Series“-Box noch länger, denn „Born To Run“ (nicht das) und drei weitere Stücke, die Young damals nicht verwendete, wurden ergänzt. Sie sind gar nicht schlecht.
Im Jahr 1991 erschien das Live-Doppelalbum „Weld“ samt der 35-minütigen Improvisations-Kompilation „Arc“, einem Gitarrensoli- und Feedback-Gewitter, das manche sogar gehört haben. Auf „Weld“ gehen Stücke von „Ragged Glory“ über in die berühmten Songs, die auch auf „Live Rust“ zu hören sind: „Like A Hurricane“, „Cortez The Killer“, „Hey Hey, My My (Into The Black)“ und „Powderfinger“. Young war danach, mit Crazy Horse zu spielen. Und diese sind die besten Songs für Crazy Horse. Das Feedback-Konzept von „Arc“ übertrug Young auf die melodischen Stücke. Oder er übertrug das überschüssige Feedback von „Weld“ auf „Arc“. „Like A Hurricane“ ist 14 Minuten lang – die größte Ausdehnung des Songs zum Zentralmassiv. „Blowin’ In The Wind“ ist eine der originellen Deutungen von Liedern großer Zeitgenossen.
Nachdem er das Songwriting als solches und die Möglichkeiten des Krachmachens erforscht hatte, war es Zeit für eine weitere radikale Wende. Bald kamen die bukolischen Erinnerungen von „Harvest Moon“ und das Unplugged-Konzert bei MTV. Ein glorreiches Jahrzehnt war angebrochen. Neil Young machte noch nicht drei bis fünf Platten im Jahr wie heute, aber doch schon sehr viele. David Geffen hat den Prozess wegen unneilyoungigen Platten übrigens verloren und ging ins Filmgeschäft. Neil Young war jetzt bei Reprise unter Vertrag.