Rammstein-Dossier: Alle sechs Musiker im Porträt

Wer macht was bei Rammstein – und was machten die Musiker vor ihrer großen Karriere?

Die Vorgeschichte von Rammstein ist gepflastert von Anekdoten und Band-Projekten, die so lustig sind wie ein Buch ihres Keyboarders Christian „Flake“ Lorenz. Das Unheil begann tief im Osten, damals in der DDR, wiewohl die Mitglieder von Rammstein nie etwas mit dem zu tun hatten, was heute unter dem Begriff „Ostrock“ zusammengefasst wird. Provokation hat von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt. Wobei die Gefahren im Arbeiter- und Bauernstaat ungleich größer waren als heute.

Vielleicht liegt hier der Ursprung für jene Mentalität, die es Rammstein lange Zeit ermöglicht hat, mit so vielen Skandalen und Grenzüberschreitungen durchzukommen: Wer genüsslich auf die Vorschriften innerhalb einer Diktatur pfeift, dem stehen in der freien Marktwirtschaft alle Türen offen. Man könnte auch sagen, Rammstein haben Vorzeichen für Musiker:innen mit DDR-Vergangenheit umgekehrt: Während viele nach der Wende keinen Stich mehr gesehen haben, wussten Rammstein ziemlich schnell, welche Nische sie bedienen wollten. Mit Brutalo-Sound und martialischer Ästhetik zum Welterfolg! Dafür brauchte es freilich einige Testfelder. Ein kleiner Überblick über die Stationen der einzelnen Band-Mitglieder.

Till Lindemann

Rammstein-Sänger Till Lindemann auf Tour 2023

1963 in Leipzig als Sohn eines Kinderbuchautors und einer Journalistin geboren, wächst Lindemann in Mecklenburg-Vorpommern auf. Bereits im Alter von neun Jahren schreibt er erste lyrische Ergüsse nieder. Gänzlich unkünstlerisch geht es danach weiter. Es folgen eine vielversprechende Jugend als Leistungsschwimmer, Sportschulen, Internat, sozialistischer Drill für die Konkurrenzfähigkeit mit dem „imperialistischen Ausland“. Der Aufstieg in die Kaderschmiede des DDR-Profisports nimmt jedoch ein jähes Ende, als bei Lindemann „klassenfeindliche“ Aufkleber gefunden werden, die er sich während der Jugend-Schwimm-EM 1978 in Italien besorgt hatte. Ende der Siebziger macht er eine Ausbildung zum Bautischler. Er arbeitet fortan auch als Korbmacher, Zimmerer und Techniker. Über die schwierige Phase mit seinem Sohn veröffentlicht Werner Lindemann 1988 das Buch „Mike Oldfield im Schaukelstuhl“.

Musikalisch macht Lindemann ab 1986 von sich reden, zunächst als Drummer, dann immer mal wieder auch als Bassist und Sänger der Punkband First Arsch – eine Kurzfassung von Erste Autonome Randalierer Schwerins. Ende der Achtziger lebt er als alleinerziehender Vater einer Tochter nahe Schwerin. Sein Freund Richard Kruspe holt ihn 1993 in die gerade gegründete Band Tempelprayers, aus der schließlich 1994 Rammstein hervorgehen. Lindemann ist ausgebildeter Pyrotechniker und Patenonkel des ältesten Sohns von Joey Kelly. Seit 2015 betreibt er mit dem schwedischen Multiinstrumentalisten und Produzenten Peter Tägtgren das Metal-Duo Lindemann; seit Tägtgrens Ausstieg im Jahr 2021 macht Lindemann das alleine. In seinen Song-Texten und Gedichtbänden (u.a. „In stillen Nächten“, 2013) wird jetzt nach Belegen für die jüngsten Missbrauchsvorwürfe gesucht.

Richard Kruspe

Kruspe bei einer Rammstein-Show 2017.

Geboren 1967 in Wittenberge, verbringt Kruspe seine Kindheit in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Wie Lindemann scheint auch ihm in Jugendjahren eine Laufbahn als Sportler vorgezeichnet zu sein. Er feiert Erfolge als Ringer, absolviert aber nach der Schule eine Ausbildung als Koch und spielt in seiner Freizeit so oft wie möglich Gitarre. Ohne die in der DDR übliche Spielererlaubnis gerät er als Gitarrist der Band Das elegante Chaos früh mit dem Regime in Konflikt. Ein Versuch seitens der Stasi, Kruspe zu erpressen und ihn als Inoffiziellen Mitarbeiter anzuwerben, bleibt wirkungslos. 1988 zieht er nach Ost-Berlin, 1989 stolpert er laut eigener Aussage zufällig in eine regimekritische Demonstration und wird verhaftet, verhört und geschlagen. Daraufhin flüchtet er Mitte Oktober mit einem Freund über Ungarn und Österreich nach West-Deutschland.

Nach dem Mauerfall ist Kruspe fünf Jahre lang arbeitslos. Er sucht den Kontakt zu seinem Freund Till Lindemann und lebt zwischenzeitlich mit den späteren Rammstein-Kollegen Oliver Riedel und Christoph Schneider in einer WG. Er spielt in den Combos Das Auge Gottes und Die Firma. Und er nimmt mit Lindemann, Sänger Steve Mielke und dem damaligen Feeling-B-Gitarristen Paul Landers das First-Arsch-Album „Saddle Up“ (1992) auf. Zudem gründet er 1991 die Crossover-Band Orgasm Death Gimmick. Mit Lindemann und Riedel unternimmt er Anfang der Neunziger auch eine Reise in den Südwesten der USA. Nach der Rückkehr verfolgt Kruspe seine Vision von einem Sound aus Maschinen und harten Gitarren, die ihre Vollendung in Rammstein findet. Ein Nebenprojekt folgt Mitte der 2000er-Jahre mit der Metal-Band Emigrate, für das Kruspe Gastsänger:innen wie Frank Dellé (Seeed), Lemmy Kilmister, Jonathan Davis (Korn), Peaches und Marilyn Manson gewinnen kann.

Paul Landers

Paul Landers, Rammstein

Als Sohn eines Slawisten und einer Russischlehrerin 1964 geboren, wächst Heiko Paul Hiersche bis auf einen Abstecher seiner Eltern nach Moskau in Ost-Berlin auf. Mit 13 erhält er Klavierunterricht, sattelt jedoch ziemlich bald auf Gitarre um. Er besteht sogar die Aufnahmeprüfung an der renommierten Musikschule Friedrichshain. Mit 20 lernt der gelernte Funk- und Fernmeldetechniker auf Hiddensee die Leipzigerin Nikki Landers kennen. Er heiratet sie wenig später und nimmt ihren Nachnamen an. Doch die Ehe scheitert nach zwei Jahren. Landers zieht daraufhin in eine WG mit Christian „Flake“ Lorenz, mit dem er inzwischen in der Punkband Feeling B spielt. Ein paar Häuser weiter probt die Band in der Wohnung von Sänger Aljoscha Rompe. 1986 steigt Landers zudem als Gitarrist bei Die Firma ein. Auch ihn will die Stasi als IM anwerben, mit ähnlichem Erfolg wie bei Kruspe. Legendär ist ein Konzert von Die Firma gemeinsam mit Element Of Crime in der Ost-Berliner Zionskirche am 17. Oktober 1987, das von circa 30 rechten Skinheads überfallen wurde.

Endgültig in den Fokus der Staatssicherheit gerät Landers durch das Nebenprojekt Magdalene Keibel Combo, die mit ihren experimentellen Dada-Klangexkursionen den sozialistischen Einheitsbrei aufmischt. Bei Rammstein gilt Landers als Bindeglied, als einer, der die Truppe zusammenhält. Und er ist der Mann, der bei den ersten Rammstein-Konzerten das Benzin vergießt, das Lindemann von der Bühne aus anzündet. Die zum Markenzeichen gewordenen Flammenwerfer gehen laut Landers auf eine Idee aus Feeling-B-Tagen zurück.

Oliver Riedel

Rammstein
Rammstein-Bassist Oliver Riedel

Rammstein-Bassist Oliver Riedel wird 1971 in Schwerin geboren. Im Vergleich zu seinen Band-Kollegen ist über ihn verhältnismäßig wenig bekannt. Er lebt zurückgezogen und gibt kaum Interviews. Aber so viel scheint gesichert: Seinen Beruf als Stuckateur hängt er Anfang der 90er-Jahre für eine Karriere als Musiker an den Nagel. Während seiner WG-Zeit mit Richard Kruspe und Christoph Schneider spielt er bei The Inchtabokatables, deren Sound zwischen Folk, Punk und Mittelalter-Rock oszilliert. Sein Künstlername damals: Orgien-Ollie. Trotz guter Gagen verlässt er 1994 The Inchtabokatables und gründet mit Kruspe, Schneider und Lindemann Rammstein. Verbürgt ist neben seinem Einzelgängertum – Riedel bezog während der Aufnahmen zum Rammstein-Album „Liebe ist für alle da“ (2009) im kalifornischen Sonoma ein Baumhaus – auch eine gewisse Flugangst, die ihn immer wieder zu umständlichen Konzertanreisen per Bus und Wohnmobil veranlasst haben.

Christoph Schneider

Christoph Schneider am Schlagzeug während eines Rammstein-Konzertes.

Schneider, geboren 1966 in Ost-Berlin, ist der Sohn einer Musiklehrerin und des Opernregisseurs Martin Schneider. Dementsprechend früh beginnt seine musikalische Erziehung, zuerst auf dem Klavier, dann auf der Trompete. Doch der Junge will raus aus dem öden Musikschulkreis, er will Schlagzeug spielen und baut sich aus Eimern und Metallkästen ein behelfsmäßiges Drum-Kit. Nach einigen Schülerbands, einer Lehre als Funk- und Fernmeldetechniker (bei der er Landers erstmals über den Weg läuft) und seiner Militärzeit (Schneider ist das einzige Rammstein-Mitglied, das seinen NVA-Dienst abgeleistet hat) trommelt er bei Combos mit illustren Namen wie Keine Ahnung und Frechheit.

Ende der Achtziger steigt er bei Die Firma ein, ab 1990 ist er immer wieder Gastschlagzeuger bei Feeling B. Wie das Trio Lindemann-Riedel-Kruspe bereist er 1993 mit der Feeling-B-Besetzung um Landers, „Flake“ Lorenz, Aljoscha Rompe und dem späteren Rammstein-Tontechniker Andreas „Vadder“ Vater die USA, um auf gut Glück ein paar Konzerte zu spielen – ohne nennenswerten Erfolg. Feeling B lösen sich kurze Zeit später auf. Die chaotischen Gigs der Band hinterlassen bei Schneider einen üblen Nachgeschmack: Als Teil des Rammstein-Gründungsquartetts soll er dagegen gewesen sein, Landers aufzunehmen, weil er diesen für zu anstrengend hielt. In seinem Buch „Heute hat die Welt Geburtstag“ schreibt Flake über Schneider: „Er spielt wie eine Maschine. Nur besser.“ Fun Fact: Schneider war früher Handball-Torhüter. Der „Welt“-Sportredaktion sagte er: „Die Rolle des Torhüters entspricht in der Musik der des Schlagzeugers. Du bist hinten, bist für die Defensive verantwortlich und hältst den Laden zusammen.“

Christian „Flake“ Lorenz

Flake von Rammstein, tritt beim Konzert der Band in der HDI-Arena in Hannover
Flake von Rammstein hier live 2019

Das sechste Rad am Wagen: Lorenz stößt als letztes Mitglied zu Rammstein. In seinen Büchern „Der Tastenficker“ und „Heute hat die Welt Geburtstag“ liefert er nicht nur Einblicke in den Kosmos Rammstein, sondern erzählt mit dem Staunen eines Sechstklässlers vom Alltag in der DDR, der Ostberliner Punkszene und dem Aufstieg in die Premier League der Rockbands. Beim Überfliegen der Akte Lorenz erfährt man: Geboren 1966 in Ost-Berlin, Vater Ingenieur in einem Volkseigenen Betrieb für Elektro-Apparate, Mutter an der Humboldt-Universität tätig. Ab der dritten Klasse Klavierunterricht. In der Schule mäßige Leistungen. Stottert. Wird von seinen Mitschülern gehänselt und in Müllcontainer gesteckt. Später muss er bei Rammstein-Konzerten in einem Schlauchboot über das Meer der Fans fahren (und wird selten zur Bühne zurückgetragen). Wollte Chirurg werden. Wird aber ABM-Kraft, gescheiterter Autoverkäufer, leidenschaftlicher Spaziergänger, Hypochonder und Musiker. Spielt in einer Rhythm-and-Blues-Band namens Hilflos. Mit 16 Einstieg bei Feeling B. In seinem Beruf als Werkzeugmacher arbeitet er kaum. Feeling-B-Kollege Paul Landers, der nebenbei für andere Bands produziert, verschafft ihm Engagements als Gastmusiker.

Seit 1994 Keyboarder von Rammstein. Bei den ersten Proben sitzt Lorenz nur rum. Worin könnte sein Beitrag bestehen? Eines Tages spielt er auf seinem Instrument ein paar Töne, die wie ein „sterbender Saurier“ klingen. Der sterbende Saurier ist eine Mischung aus Prog-Rock-Synthesizer und Kraftwerk – und steht für den Rammstein-Sound wie Till Lindemanns monströser Gesang. Lorenz kommt zweimal für kurze Zeit ins Gefängnis: Das erste Mal wegen „versuchter Republikflucht“, weil er mit einem Freund zu nah an der innerdeutschen Grenze wandern ging. Ein zweites Mal wegen unzüchtigen Verhaltens bei einem Konzert in Worcester, Massachusetts. Für die Live-Performance des Songs „Bück dich“ hatten Rammstein eine überdimensionale Penisattrappe erschaffen, mit der Lindemann den an einer Hundeleine geführten Keyboarder beglückte – zu viel für amerikanische Moral- und Gesetzeshüter. Lorenz ist mit der Künstlerin Jenny Rosemeyer verheiratet, liebt alte Autos und hat auf „Radio Eins“ einen Podcast.

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Christophe Gateau picture alliance/dpa
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