Nick Cave in Köln: Auch im Gespräch beweist er Größe

Im Rahmen seiner Talk-Show mit Sean O' Hagan schaut der Anzugträger zum Auftakt der „phil. COLOGNE" vorbei. Das neue Album, so verrät er, wird ein ganz Großes!

Über 40 Jahre ist es jetzt her, seit Nick Cave zum ersten Mal in Köln auf eine Bühne gestiegen ist. Gemeinsam mit seiner Avantgarde-Band Birthday Party spielte er damals ein lärmiges Extremkonzert im Maschinensaal der besetzten Ex- Schokoladenfabrik Stollwerk in der Südstadt. Eine wilde Punkshow nebst Prügelei, als ein nietenbesetzer Leder-Punk Bassist Tracey Pew von der linken Bühnenkante anpinkelte. Der holte mit Cowboy-Hut und Muskelshirt kurz mit seinem Instrument aus und kloppte der frechen Pipi-Punk von der Bühne. Wilde Zeiten damals …

Heute sitzt Cave im maßgeschneiderten Anzug mit passender Krawatte vor über 1000 gesitteten Zuhörer im Theater am Tanzbrunnen und plaudert über seinen Besteller „Glaube, Hoffnung und Gemetzel“.

Dieses Buch ist bekanntlich eine Frucht von langen Gesprächen mit dem irisch-stämmigen Edel-Journalist Seán O’Hagan; mehr als 40 Stunden sollen es gewesen sein.

Zuletzt wurde das Werk in der englischen Neuauflage um ein aktuelles Kapitel aus dem Jahr 2023 erweitert. Es heißt „Two Years Later“ und thematisiert (unter anderem) die Verarbeitung des Todes seines Sohnes Jethro Lazenby im letzten Mai. Bereits 2015 war sein anderer Sohn Arthur auf tragische Weise verstorben.

Sean O’Hagan

Es gab also einiges aufzuarbeiten in diesem intensiven Live-Talk, der die inoffizielle Eröffnung des Denkerfestivals „phil.cologne“ markierte. Auch Bundeskanzel Olaf Scholz oder Grünen-Co-Chef Robert Habeck werden bis zum 13. Juni am Rhein außerhalb des Tagesgeschäftes erwartet. Habeck parliert etwa mit Welten-Erklärer Peter Sloterdijk über „Die Reue des Prometheus – Über Menschheit, das Feuer und das Klima“.

Ein Themenfeld, zu dem Nick Cave sicher einiges beizutragen hätte.

Im Dialog mit Spannmann O’Hagan zeigte sich, wie sehr der 63-Jährige doch zum Bühnenprofi geworden ist. Einer, der die Bühne genauso liebt, wie sein Publikum. Er posierte zu Beginn der (Talk-)Show gut gelaunt etwa 49 Sekunden für die Fotografen und mit einem „das hätten wir dann“ zum weit gefassten Themenkreis zu kommen.

Es geht etwa darum, warum er Interviews überhaupt nicht mag, „Conversations“ aber um so mehr. Cave gehört zu den Popstars, die nur noch handverlesen mit Journalisten sprechen. Er sei über die Jahre „müde geworden immer wieder dieselben Geschichten über sich lesen zu müssen.“

Natürlich ist auch dieser Spoken-Word-Gig Bestandteil des internationalen Showgeschäfts. Cave ist mit seinem UK-Verleger und Anhang von Brüssel nach zum einzigen Deutschland-Termin nach Köln gekommen. In Hamburg signiert er am heutigen Dienstag (06. Juni) in einer Buchhandlung sein aktuelles Buch, dessen deutsche Ausgabe beim (Till-Lindemann-)Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Im Gegensatz zum Rammstein-Pendant zeigt er eindrucksvoll, wie das auch gehen kann, mit dem Älterwerden im Popbiz, nämlich skandalfrei.

In der belgischen Hauptstadt wurde er beim Q&A vom lokalpatriotischen Theken-Publikum über seine Meinung zum belgischen Bier befragt. Am Rhein wollte man wissen, ob er schon mal im Dom gewesen wäre. Cave antwortete mit „Ja!“

Für Freunde seiner Musik machte er Ankündigungen für ein neues (noch un-terminiertes) Album: Es solle, so Cave, nach den eher „minimalistischen“ Werken „Ghosting“ und „Carnage“ ein OPUS MAGNUM werden. Mit viel Sound also, eine Art Oper der Neuzeit. Von der bewährten Zusammenarbeit mit Warren Ellis mal abgesehen, wollte Cave näheres zur Musik noch nicht verraten.

Faszinierend an der Person Cave bleibt, wie ernsthaft und dennoch präzise und leicht er mit so unterschiedlichen Themen wie Tod, Trauer, Spaß, Glaube, Christentum und Punkrock umgehen kann, ohne auch nur eine Sekunde zu nerven. Seine Sprache ist avanciert, ohne gestelzt akademisch zu sein. Er kann von jetzt auf gleich einen Witz reißen und dann wieder über harte Schicksalsschläge (und deren Verarbeitung) zu dozieren. Dementsprechend wurde im rheinischen Publikum gleichermaßen herzlich gelacht und auch geweint.

Auch das Timing strictly professionell: Eine Stunde plus dauert das Gespräch mit dem Talk-Partner mit dem weichen irischen Akzent. Über eine halbe Stunde durften die Menschen Fragen aller Art an ihn richten. Zum Abschluss durften sich hunderte glückliche Fans das aktuelle Buch mit Gruß und Autogramm verzieren lassen. Aber: Es galt eine streng limitierte Meeting-Zeit pro Mensch.

Ralf Juergens
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