Die Beatles und ihr LSD-Trip „Tomorrow Never Knows“: Ein Sprung von der Klippe

Der letzte und auch der experimentellste Track auf „Revolver“ war der erste, der für dieses Album aufgenommen wurde: Lennons akustischer Reisebericht von dem großen Abenteuer LSD.

Auf seinen Acid-Trips hatte Lennon zum ersten Mal einen Fluchtweg aus der ungeliebten Popstar-Realität gefunden – „Tomorrow Never Knows“ war sein Versuch, diese Parallelwelt mit all ihren Ekstasen und ihrer quälenden Identitätssuche im Studio zu rekonstruieren.

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Mit einem Schlag war der poetische Modernismus von „Rubber Soul“ – das gerade einmal fünf Monate vor diesen Sessions erschienen war – ein uralter Hut. Und verglichen mit den wüsten Tape-Loop-Effekten und Lennons gespenstisch verfremdeter Stimme auf diesem Track scheinen auch die anderen „Revolver“-Aufnahmen nur wie ein Zwischenstadium auf dem Weg, Acid und die Form des Popsongs miteinander zu versöhnen.

Auf dem Album konnte „Tomorrow Never Knows“ nur ganz am Ende stehen. „Eleanor Rigby“, „I’m Only Sleeping“ und „She Said She Said“ mochten mutige Schritte in die neue Richtung sein – „Tomorrow Never Knows“ war der Sprung von der Klippe.

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Möglicherweise beginnt auch die Kunstform des Samplens mit dieser Aufnahme. Im Januar 1966 nahm Lennon auf einem Trip das Buch „The Psychedelic Experience“ von LSD-Guru Timothy Leary zur Hand, das letztlich nur eine Fortführung buddhistischer Konzepte (Re-Inkarnation, Aufgabe des Ego) ist. Lennon schaltete sein Bandgerät an, las Passagen aus dem Buch vor (unter anderem die Beschreibung eines außerkörperlichen Zustands) – und begann schon bald mit dem Schreiben eines Songs, der diese Leary-Zitate beinhaltete. Selbst der Arbeitstitel – „The Void“ – stammte aus „The Psychedelic Experience“.

ALLES wurde verfremdet

Die Beatles gaben ihr Bestes, um Lennons Visionen im Studio umzusetzen. Sie brauchten nur drei Versuche, um sich auf den zugrundeliegenden Rhythmus-Track zu einigen. (McCartney hatte die ungewöhnlichen Schlagzeug-Figuren vorgeschlagen.) Die meisten der surreal klingenden Overdubs wurden in der Nacht vom 6. April und am Nachmittag des 7. April produziert – in gerade einmal zehn Stunden. Es gab keine Tonquelle, die nicht bis zur Unkenntlichkeit verfremdet wurde, sei es das rückwärts abgespielte Gitarrensolo, das schwebende Dröhnen von Harrisons Sitar oder Lennons Stimme, die gerade in einen anderen Bewusstseinszustand zu taumeln schien. Starrs Tom-Toms klangen plötzlich wie Tablas, ein Mellotron suggerierte Flöten und Streicher – und der Sound gackernder Seemöven stammte entweder von einem lachenden McCartney oder aber dem Holz eines geklopften Gitarrenkorpus‘.


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Lennon selbst wollte seine Stimme völlig entstellt hören: „Sie sollte so klingen wie der Chant des Dalai Lama, der auf einem weit entfernten Berggipfel sitzt.“ Toningenieur Geoff Emerick erzielte den gewünschten Effekt, indem er Lennons Stimme durch die rotierenden Lautsprecher einer Leslie-Box schickte, die an eine Hammond-Orgel angeschlossen war. „Das klingt verdammt großartig“, rief Lennon begeistert, als er das Resultat zum ersten Mal hörte. Auch McCartney war von diesem Sound sofort überzeugt und beschrieb ihn mit den Worten: „It’s the Dalai Lennon!“

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Bis zum letzten Overdub am 22. April wurde der Song auf den Aufnahmeprotokollen des Studios unter dem Titel „Mark 1“ geführt. Es war wieder einmal Starr, der schnell mit einer Alternative zur Stelle war (wobei der Song-Titel in den Lyrics nun allerdings überhaupt nicht aufgegriffen wird): „Tomorrow never knows“ war – wie „A Hard Day’s Night“ – eine seiner verbalen Verballhornungen (gemeint war eigentlich „tomorrow never comes“). Aber er sollte sich täuschen. „Tomorrow Never Knows“ kam – mit viel Hall und aller Macht, ekstatisch und in Technicolor, am Ende von „Revolver“.

Chris Walter

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