Der erste KI-Hit ist nur eine Frage der Zeit
In dieser Woche ging mit „Heart On My Sleeve“ ein Duett von Drake und The Weeknd viral, erzeugt von einer Künstlichen Intelligenz. Ob wir es nun wollen oder nicht: Dieser Moment ist ein Wendepunkt in der Geschichte der Popmusik.
Universal reagierte umgehend: Nachdem Tausende „Heart On My Sleeve“, eine Kooperation zwischen den Black-Music-Giganten Drake und The Weeknd, aus dem Netz fischten, wies das Label sofort alle Streamingdienste an, das Stück aus dem Programm zu nehmen. Was wie eine Glücksbotschaft für Fans anmutete, erwies sich erst einmal als Schock für die Musikindustrie. Das Duett wurde nicht von den beiden Musikern produziert, sondern von einer Künstlichen Intelligenz erzeugt.
Seit Monaten wird der tiefe Einschlag von KI-Content diskutiert, längst nicht nur im Feuilleton. Was noch vor wenigen Jahren ein Gesprächsthema für Technik-Geeks und Intellektuelle war, ist nun in rasender Geschwindigkeit zum Teil des Alltags geworden. Aufmerksamkeitstreiber ist das Chatprogramm „ChatGPT“ der Firma OpenAI, das inzwischen für jedermann kostenfrei zugänglich ist und im Grunde alles ausspuckt, was man verlangt. Von einfachen Alltagsanweisungen über Lotto-Prognosen bis hin zu ganzen wissenschaftlichen Hausarbeiten.
Das perfekte, am Computer erzeugte Imitat
Künstliche Intelligenz wird, so viel ist sicher, auch die Popkultur verändern, denn es ist schon jetzt möglich, mit wenigen technischen Mitteln, Songs zu erzeugen, die Abermilliarden von Datensätze nutzen, um so etwas wie eine perfekte Kopie, eine Illusion eines Produkts zu schaffen, das es so noch nicht gibt, aber theoretisch geben könnte.
„Heart On My Sleeve“ ist nicht der erste KI-Song. Computerbots konnten in der Vergangenheit bereits die Stimmen von Eminem oder Snoop Dog erzeugen und dazu Musik produzieren, die exakt dem musikalischen Werk der Künstler angepasst erscheint. Ganz sauber waren und sind die Ergebnisse nicht. Wer einmal die KI-Programme zur Herstellung von Bildern verwendet, wird oft sehen, wie sich merkwürdige Verformungen einschleichen – verbogene Daumen, verzerrte Gesichter. So ist es auch mit der Musik. Doch man muss sich nichts vormachen: Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz schreitet proportional zur allgemeinen Nutzung und (Daten-)Überprüfung voran. Und so werden die KI-Lieder auch immer überzeugender, bis hin zur Anpassung an Sprachtempo, Stimmrhythmus und Silbenbetonung.
Zurück zu „Heart On My Sleeve“: Wer den Song tatsächlich in Auftrag gab oder herstellte, bleibt unbekannt. Übrig bleibt ein Song, der schnell aufgrund seiner Popularitätsmerkmale ein großes Publikum anzieht, der nahezu ideal gewünschte Parameter der Aufmerksamkeitserzeugung ausnutzt und deshalb auch zwangsläufig ankommt. Dabei ist die Maschine (noch) nicht allein im Studio. Selbst wenn der Text auf der Analyse anderer Lyrics von The Weeknd und Drake basiert, muss er erst einmal von jemandem eingesungen werden und dann an die KI „weitergereicht“ werden, damit letztlich ein Song entsteht. Hinzu kommen dann noch die Stimmen der beiden Musiker, die über diese Tonspur gelegt werden, damit das Programm auch mit etwas arbeiten kann.
Panik ist nicht angebracht
Warum nun reagiert Universal so panisch? Die Plattenfirma weist die Streamingplattformen zurecht, dass man nun auf der richtigen Seite der Geschichte stehen müsse. Schließlich geht es um Millioneneinnahmen, die flöten gehen könnten, weil auch ein Student in einem Kaff in Litauen mit den Stimme von Beyoncé oder Ed Sheeran einen Superhit produzieren könnte, ohne dass diese jemals beteiligt waren. Werden Spotify und Co. „auf der Seite der Künstler, der Fans und des menschlichen kreativen Ausdrucks“ bleiben, oder entscheiden sie sich für die Versuchung der „tiefen Fälschung“? Man muss das kulturpessimistische Pathos eines Major-Plattenkonzerns nicht teilen, der gleichzeitig auch handfeste ökonomische Veränderungen im Blick hat, die das eigene Geschäftsmodell in Frage stellen.
Aber tatsächlich haben die Verantwortlichen von Universal die Zeichen der Zeit erkannt. Künstliche Intelligenz wird das, was Pop ist und vor allem einmal war, radikal verändern. Vor allem deswegen, weil eine juristische Handhabe kaum möglich ist, um gegen Fälschungen vorzugehen. Dass es täuschend echte Imitate geben wird, ist keine Frage mehr. Das hat spätestens „Heart On My Sleeve“ gezeigt. Die Frage, die sich nun stellt, ist eher, wie man mit der im Rechner erzeugten Konkurrenz umgeht. Gibt es einen Weg, wie man bei unterschiedlicher Rechtslage in jedem einzelnen Land die Stimmen der Musiker stärken kann?
Doch die Urheberrechtsfrage ist nur ein Teil der Zukunftsmusik. Jahrzehntelang gelang es der Pop-Industrie mit Konfektionsware und dem Erzeugen von Massenbedürfnissen Produkte zu erzeugen, die rund um den Globus auf offene Ohren stießen. Ohren, die freilich trainiert worden waren. Wenn globale Superstars wie Adele mit einem neuen Album für mehr als zehn Prozent eines Jahresumsatz ihres Labels sorgen, dann ist das trotz all der künstlerischen Finesse der Sängerin nur ein perfides Bild dafür, dass etwas grundlegend in eine Sackgasse geraten ist. Und Sackgasse heißt in diesem Fall: Es gibt keinen Weg zurück zur ökonomischen Diversität vermeintlich unschuldiger Zeiten.
Rückkehr zur Originalität
Nun stellt also ausgerechnet die Konkurrenz aus dem Computer einen neuen Wettbewerb her, der eigentlich immer schon Teil der Popkultur war: Wer gelangt zu Alleinstellungsmerkmalen, die nicht so leicht kopiert werden können? Die KI-Produktion gleicht mit Blick auf ihre künstlich erzeugten Massenprodukte den China-Duplikaten von Spielzeug, Kleidung und Tand. Nun kommen eben die digitalen Kulturerzeugnisklone. Sie werden ihren natürlichen Platz einnehmen in der Verwertungskette. Man wird sie irgendwann akzeptieren lernen und sie nach einiger Zeit als gleichwertig betrachten, mit dem lässigen Wissen darum, dass sie nur von einer KI erzeugt wurden (und trotzdem aufregend sein können).
Lange Zeit versprach Erfolg, was besonders schnell und einfach kopiert werden kann, weil es so für jeden zugänglich wurde und der Hype darum die Kassen füllte. Im Angesicht der dramatischen Möglichkeiten, auch künstlich Neues aus der brodelnden Datenmasse des bereits Produzierten herstellen zu können, wird es einen neuen Wettbewerb darum geben, was nicht wiederholbar oder neu modellierbar ist.
Es wird nur ein Mittel geben, um mit diesem aus der Flasche entwichenen Geist umzugehen: radikale Originalität und eine unbestechliche, unberechenbare künstlerische Vision.