Konzertbericht

Was man auf einem Konzert von Prinz Pi über Deutschrap lernen kann

Kaum jemand ist in der deutschen HipHop-Szene musikalisch so vielseitig, wie Prinz Pi. Doch was passiert eigentlich, wenn ein Künstler mit einer solchen Bandbreite an unterschiedlichen Stilen auf Tour geht? Ein Erfahrungsbericht.

Und so steht man dann da, an einem Freitagabend in der Berliner Columbiahalle, steht da, zwischen all den Menschen, die gar nicht so aussehen, wie die Menschen normalerweise so aussehen, die auf diese Art von Konzert gehen und bekommt das im Kopf alles kaum noch zusammen. Heute Abend, hier in Tempelhof, spielt Prinz Pi, und auch wenn man weiß, dass Prinz Pi schon immer eine Sonderstellung in der zu weiten Teilen durchnormierten deutschen HipHop-Szene eingenommen hat, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Prinz Pi es war, der von Jimmy und von Kurt und von Chucks und durchlöcherten Manowar-Shirts rappte und somit schon früh das Referenzsystem Deutschrap um einige maßgebliche Koordinaten erweiterte, so bringt man doch einiges gedanklich noch immer schwer zueinander.

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Zum Beispiel, dass der 2023-Prinz-Pi, der in seiner hypersympathischen Nerdhaftigkeit stundenlange Vorträge über die Vorzüge spezieller italienischer Kaffeevollautomaten-Konstrukteure oder den perfekten Sound einer deutschen Vorkriegs-Soundanlage halten kann, ja immer auch noch derselbe Prinz Pi ist, der vor genau 20 Jahren einmal quer durch Deutschland getourt ist und in den Jugendzentren der Republik jeden Nachwuchskünstler herausforderte, gegen ihn, in einem Freestyle-Battle zu bestehen. Dass es einmal einen Prinz-Pi gab, der den räudigen Sound des räudigen Berliner Nachtlebens auf ein Elektro-Pop-Rap-Album („Neopunk“) gepackt hat und dass das der selbe Prinz Pi ist, der einer ganzen Generation von Abiturienten mit „Kompass ohne Norden“ den Soundtrack zur Immatrikulation im Speziellen oder von mir aus auch nur zur Adoleszenz im Allgemeinen gedichtet hat.

ADHS heißt das Album. ADHS heißt seine Tour. Und AHDS ist irgendwie auch das Programm

Und dann fragt man sich natürlich ganz unwillkürlich, welcher Prinz Pi es wohl sein wird, der denn da heute auf der Bühne steht, vielleicht der Prinz Pi, der Liebeslieder geschrieben hat, deren Zeilen sich mindestens zwei Generationen von traurigen Jungs und Mädchen auf die Unterarme tätowiert haben oder der Prinz Pi, der wie kein zweiter als präziser Chronist des Zeitgeists jede Form von gesellschaftlicher Verwerfung in pointierte Bilder fassen und auf den Takt pressen kann. So steht man dann also da, mit mehr Tonic als Gin in den Mikrokplastikbechern und bemerkt, dass es in der komplett vollen Columbiahalle vielleicht gar nicht mal bloß eine, sondern gleich ganz viele unausgesprochene Erwartungshaltungen gibt, denen man als Künstler wohl nur schwer gerecht werden kann. Eigentlich.

Prinz Pi hat vor einigen Wochen seine neue Platte herausgebracht, es ist sein mittlerweile 18. Album und es ist nicht bloß sehr zeitgeistig, sondern auch recht HipHop-affin geworden, was viele ihm nach seinen Ausflügen in den vermeintlichen Mainstreampop gar nicht mehr so zugetraut hätten. ADHS heißt das Album. ADHS heißt seine Tour. Und AHDS ist irgendwie auch das Programm. Auf die Frage, welchen Prinz Pi denn Prinz Pi da präsentieren möchte, ist die Antwort ganz klar: Alle. Könnte unentschieden wirken, tut es aber nicht.

Auf eine Vorband wird verzichtet, der Prinz steigt gleich selbst in den Ring, ist ja schließlich auch Heimspiel, hier in Berlin. Zum Einstieg gibt es „Bombenwetter“, ein, ja, Bombensong, der auch der Einstieg zu seinem bis heute vielleicht besten Alben „Hallo Musik“ von 2011 ist. Ich brauch keine Themen suchen / Ich behandel‘ die Klassiker / Frauen, Verschwörung, Turnschuhe, Praktika, rappte damals noch der junge Prinz. Fast alles davon hat seine Gültigkeit nicht verloren. Es folgen Tracks vom neuen Album, die sich mit den Klassikern abwechseln, das grandiose Telegramgruppe (2023) mit dem grandiosen Der neue iGod (2011).

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Und wenn man sich fragt, für welche dieser Songs das Publikum, das eben kein normales Rapkonzert-Publikum ist (sonst eher so: latente watch-your-back-Stimmung aufgrund omniaggressiver Stimmung im Raum oder wahlweise eine cannabisinduzierte Überenstpanntheit; hier mehr so: coole Studentenparty-Vibes) für welche Songs diese Leute also gekommen sind, dann muss man eben auch hier feststellen, irgendwie für alle. Am besten funktionieren die HipHop-Classics, wie „Keine Liebe“ (von 1998) oder „1995“ (von 2023), am allerbesten funktionieren die hochgetakteten Partynummern „Generation Porno“ (von 2011) oder „Gib dem Affen Zucker“ (2008) und auch für die Liebeslieder, die Pi in einem eigenen Mini-Set untergebracht hat, gibt es ganz viel Liebe. Selbst wenn als Gast ein Phillip Dittberner auf die Bühne kommt und „1,40“ begleitet, dann könnte man das etwas schnulzig finden, aber ist es eigentlich auch nicht.

In zwei Stunden und 23 Songs lernt man viel über Deutschrap an sich

Mischt man sämtliche Farben einer Palette zusammen, dann erhält man ein matschiges Schwarz. Aber Gott sei Dank, sind Künstler sind ja keine Farben und wenn man die Vielzahl ihrer Facetten zusammenbringt, dann kann es sogar sein, dass sie im Gesamten umso heller strahlen. Nach gut zwei Stunden und 23 Songs, da steht man dann noch immer in der Berliner Columbiahalle, weder Gin noch Tonic sind übrig, steht da, zwischen all den Menschen, die gar nicht so aussehen, als könnten sie das alles so zusammenbringen, was an diesem Abend zusammengebracht wurde, so wie man es selber gar nicht so zusammenbringen kann – aber freut sich dann doch darüber, dass bei einer Live-Show das gelingt, woran die meisten Best Of-Compilations dann doch immer scheitern.

Dass das alles gar nicht so selbstverständlich ist, das ist selbstverständlich auch ein Problem eines Genres, dass meistens lieber auf bewährte Erfolgsrezepte statt auf künstlerische Progression setzt. Nur wenige Künstler können ein so facettenreiches Werk, wie Prinz Pi vorweisen. Dass das auch im Playlist-normierten Streamingzeitalter eine Qualität für sich ist – das wurde hier bewiesen.

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