Nick Waterhouse
„The Fooler“ – Der lange Abschied
Innovative Leisure (VÖ: 31.3.)
Retromanie mit neuer Dringlichkeit: Bisher bestes Album des R&B-Romantikers
Auf dem Cover von „The Fooler“ ist der legendäre City Lights Bookstore an der Ecke Columbus Ave/Broadway in San Francisco zu sehen. Der Rock-Fotograf Jim Marshall, der den Auslöser drückte, starb 2010, Lawrence Ferlinghetti, der den Buchladen 1953 eröffnete, verließ die Welt 2021 mit 101 Jahren. Und Nick Waterhouse, der früher hier um die Ecke wohnte, hat nun die Stadt verlassen, in der er seit Studentenzeiten lebte, und ist nach Frankreich gezogen. „The Fooler“ ist eine Art Abschiedsbrief, der letzte Gang durch sein San Francisco, das sich aus den eigenen Erinnerungen, alten R&B- und Soul-Singles und Büchern zusammensetzt.
Die Lyrics erzählen von Versuchung und Täuschung, Vergessen und Nichtvergessenkönnen
Das Album beginnt als Film noir an einem grauen regnerischen Tag mit einer Fremden im Zug. Die Lyrics erzählen von Versuchung und Täuschung, Vergessen und Nichtvergessenkönnen, Gängen durch verlassene Straßen und schlaflosen Nächten. Die Musik gibt das Echo der (kulturellen) Erinnerung, erzählt von einer Zeit, als die Gentrifizierung sich die Stadt noch nicht einverleibt hatte. Sie hat die Grandezza von Roy Orbison, die Bissigkeit des Mid-Sixties-Dylan, die Soulfulness von Irma Thomas und die überhebliche Melancholie des Sinatra der Fünfziger.
Natürlich hat Nick Waterhouse seit seinem Debüt mit dem programmatischen Titel, „Time’s All Gone“, nie etwas anderes getan, als eine verlorene Zeit mit Verneigungen vor klassischem R&B und Soul heraufzubeschwören und die legendären Jay-Gatsby-Sätze „Can’t repeat the past? Why, of course you can!“ zu vertonen. Aber während „Promenade Blue“ von vor zwei Jahren klang, als wäre sein Ansatz allmählich auserzählt, hat „The Fooler“ eine neue Dringlichkeit.
Waterhouse hat ein Thema gefunden, das die Heraufbeschwörung der alten Zeit zu einer existenziellen Notwendigkeit macht
Das mag an den Veränderungen in Waterhouse’ Leben liegen (Umzug, Trennung), an dem, was er eine „Phaseverschiebung“ nennt (eine neue Erzählperspektive, die er gefunden hat), oder daran, dass er im Studio erstmals die Kontrolle aus der Hand gab. Produzent ist nämlich Mark Neill, durchaus auch ein Mann der Retromanie, der unter anderem mit JD McPherson und den Black Keys gearbeitet hat. Doch „The Fooler“ ist wohl vor allem darum so ein Meisterstück, weil Waterhouse ein Thema gefunden hat, das über reine Nostalgie hinausgeht und die Heraufbeschwörung der alten Zeit zu einer existenziellen Notwendigkeit macht. You can’t go home again.