The Australian Pink Floyd Show: „Der beste Job der Welt“
Ein Interview mit Chris Barnes, dem Sänger der vielleicht weltweit populärsten Coverband
Der Brite Chris Barnes ist seit 2015 Sänger der Australian Pink Floyd Show – nicht nur die bekannteste Pink-Floyd-Coverband, sondern die vielleicht populärste Coverband überhaupt. Sogar David Gilmour ist Fan, engagierte sie einst für seine Feier zum 50. Geburtstag. Als wären sie selbst Stars – sind sie es vielleicht auch?
Dieser Artikel wurde erstmals im März 2023 veröffentlicht
Zum 50. Jubiläum erscheint ein „Dark Side of the Moon“-Boxset mit Archivmaterial. Denken Sie bei jedem Reissue: Herrje, welche Songvariationen präsentieren Roger Waters und David Gilmour wohl jetzt – muss ich mir beim Singen neue Nuancen zulegen?
Nein, wir halten uns an die Albumversionen. Sie sind das Lehrbuch, aus dem wir zitieren. Die Zuschauer wollen die Klassiker zu Recht im gewohnten Arrangement hören, auch wenn dieses Reissue Stücke in verlängerten Live-Versionen beinhaltet. „Time“ oder „Money“ sind perfekt, aber bei den frühen, wilderen Liedern, wie „One of these Days“ und „Careful with that Axe, Eugene“, könnten wir uns auf der Bühne gewisse Freiheiten nehmen. Mein Lieblings-Bootleg ist vom Berlin-Auftritt 1971, die Band arbeitete gerade an „Echoes“ – der Song hatte in dieser Phase noch einen anderen Text.
Warum ist „The Dark Side of the Moon“ Ihrer Meinung nach so populär?
Vielleicht, weil es gerade von Menschen geliebt wird, die sich nicht als Pink-Floyd-Fans betrachten. Die Themen sind universell, darin ähnelt es „Sgt. Pepper“, aber auch „Back in Black“. „Dark Side“ ist ein Progressive-Rock-Album, und dennoch ist es zugänglich. Die Sorgen von 1973 sind dieselben wie 2023: Geldnöte, die moralische Korrumpierung durch Geld, psychische Gesundheit, die Angst vor Tod, der Verlust von Eltern im Krieg. „Time“ handelt davon, dass die Zeit einen überholt, technologische Entwicklungen uns zu schnell altern lassen: „Then one day you find ten years have got behind you“. Ich bin 46 Jahre alt, verheiratet, habe fünf Kinder. Ich weiß, worum es in „Breathe“ geht.
Für manche Hörer scheint die Platte eine bessere Welt anzubieten, irgendwo da draußen im All. Wie lassen sich diese Gedanken mit den eigentlichen Songthemen – erschöpfende Welttourneen, die Konsequenzen harten Drogenkonsums – vereinbaren?
Dieses Werk verbindet zwei Welten. Es erschien in der post-psychedelischen Ära, also nach den Spätsechzigern, und kündigte 1973 die Progrock-Ära mit an. Ab dann wurden Pink Floyd mit Genesis verglichen, Yes und Jethro Tull. „Dark Side“ schien für manche Hörer ihr altes Space-Rock-Image zu bestätigen, die Musiker wurden von ihnen als dauerbekiffte Hippies wahrgenommen. Dabei hat das Album viel mehr gemein mit „Abbey Road“ der Beatles als mit „Tales from Topographic Oceans“ von Yes – es hat gute Melodien und leicht verständliche Texte. Yes-Sänger Jon Anderson sinnierte über „Siberian Khatru“ und musste das dann doch erklären.
Die brillante Einfachheit der Pink-Floyd-Texte zeigt sich in „Us and them“: „With / without /And who’ll deny / it’s what the fighting’s all about.“ Waters’ Vater fiel im Zweiten Weltkrieg. Wie nähern Sie sich auf der Bühne solchen Liedern an, in denen Krieg anhand eines persönlichen Bezugs beschrieben wird?
Das Stück ist ein gutes Beispiel für den „weniger ist mehr“-Ansatz. „Us and them“ als Titel? Das ist kein Bob-Dylan-Titel. Roger war damals 29 und als Lyriker endlich auf Ziellinie. Die Texte sind direkt und subtil zugleich, Roger predigte nicht, er beobachtete, und alle Beobachtungen flossen in diesen Song ein: über Krieg, Nationen, Ethnien. Pink-Floyd-Songs sind für mich heilige Gegenstände, ich muss sie mit Vorsicht behandeln. Raucher bin ich eh nicht, aber ich trinke auf Tournee auch nicht und gehe früh ins Bett. Bei allem Respekt gegenüber anderen Bands – wir funktionieren nicht nach der Methode, dass wir auf Zuruf mal eben so einen Gassenhauer aus dem Pink-Floyd-Repertoire schmettern.
In welchem Alter begann Ihre Faszination für das Album?
Ich kaufte die Platte mit 15, zuvor kannte ich schon „Relics“ und „Meddle“, mit meinem Lieblingssong „Echoes“, der mir in der „Live at Pompeii“-Fassung am besten gefällt. In einem Artikel stand damals: Eines von vier Haushalten in Großbritannien besitzt „The Dark Side of the Moon“. Es liegt jedoch auf der Hand, dass nicht jeder vierte Haushalt aus Pink-Floyd-Fanatikern besteht. Die hören sich sicher nicht jeden Abend „Ummagumma“ oder Bootlegs an. In den 1990ern zeigte die BBC dann das unvergessliche „Pulse“-Livevideo mit der Komplettaufführung von „Dark Side“.
Während des sphärischen Intros von „Speak To Me“ intonierte das britische Publikum ausgerechnet Fußball-Chöre …
Vor „Dark Side“ war Pink Floyd eine Underground-Band. Sie traten in Universitäten auf und John Peel stellte sie als Geheimtipp im Radio vor. Nach dem Welterfolg kamen nur noch Arenen infrage, ab „Animals“ von 1977 nur noch Stadien. Sie wurden als Party-Band wahrgenommen à la „Hey, Led Zeppelin are in town, let’s go!“. Deshalb wurden sie im Londoner Earls Court, wo „Pulse“ aufgenommen wurde, auch so gefeiert.
Viele der Songs wurden 1972 und 1973 live in Quartett-Stärke aufgeführt: nur Gitarre, Bass, Keyboard, Schlagzeug. Die Australian Pink Floyd Show besteht aus elf Musikern.
Für die reich instrumentierten „Dark Side“-Lieder bietet sich die Vergrößerung auch an. Wenn wir dagegen Syd-Barrett-Songs spielen, verzichten wir auf Saxofon oder Background-Sängerinnen. In unserer Show geht es nicht um die optische Angleichung an vier Bühnenmusiker, sondern um die Annäherung an den Sound, wie er auf Platte zu hören ist. David Gilmour nahm mit seiner Gitarre einige Overdubs auf, die reproduzieren wir, indem wir zwei Gitarristen in der Band parallel spielen lassen.
Wie bei Lennon und McCartney in der Frühphase der Beatles sind auch die Gesangsstimmen von Waters und Gilmour manchmal schwer zu unterscheiden, oder?
Rogers Gesang kommt mir etwas gebrochener vor, in ihrer Gebrochenheit vielleicht einzigartig. Er ist kein Freddie Mercury, kein Robert Plant. Und vielleicht deshalb schwer zu singen. Roger ist auch bekannt für seine Schreie – die spielen wir als Samples ein, wie beim Übergang von „The Happiest Days of our Lives“ zu „Another Brick in the Wall Part II“. Manchmal singe ich auch die Vocals von Rick Wright, dem Keyboarder.
Deutsche sind nicht unbedingt dafür bekannt, extrem gutes Englisch zu sprechen. Wenn es aber um das Wort „Classroom“ in „Another Brick In the Wall Part II“ geht, singen hierzulande alle Zuschauer so akzentuiert mit, als hätten sie ein Sprachtraining im Buckingham Palace absolviert. Wie wichtig sind Ihnen Akzente?
Ich stamme aus Manchester, dem Norden, nicht wie Pink Floyd aus Cambridge oder generell Südengland. Ich würde normalerweise nicht „classroom“ singen, sondern „clässroom“. Das ist wirklich eine Herausforderung: so posh zu singen. Das gleiche gilt für „grass“ und „glass“. Und nun stellen Sie sich mal vor, ich aus Manchester muss diese Zeile aus „Echoes“ intonieren: „Strangers passing in the street by chance two separate glances meet“! Ich hätte nicht vermutet, dass die Deutschen die vornehme Aussprache von „classroom“ bei dem Lied übernehmen. Ich werde ab jetzt darauf achten.
Die Australian Pink Floyd Show tritt, obwohl sie eine Coverband ist, bei uns in den größten Hallen auf. Wie lautet Ihre Erklärung für den Erfolg?
Die Band gründete sich 1988 in Australien, zog Anfang der Neunziger nach England. Warum? Weil man in Australien irgendwann überall aufgetreten ist und von allen gesehen wurde. Auf einmal stand ihnen Europa offen. Ich glaube, die Kollegen haben einfach sehr, sehr hart gearbeitet. Ich sah sie erstmals 1999 in Manchester, vor bereits 1.000 Zuschauern. Als ich 2015 dazustieß, genoss die Band längst einen guten Ruf. Ihre Replikation eines Pink-Floyd-Konzerts erfüllt die technischen Ansprüche: Bildschirme, Laser- und Lichtanlage, die aufblasbaren Tiere. The Australian Pink Floyd Show bedienen eine Sehnsucht. Die Originale feierten in Großbritannien, Frankreich und Deutschland gigantische Erfolge, gingen aber nach 1995 nicht mehr auf Tournee. 2005 gab es noch die Wiedervereinigung mit Roger für „Live Eight“.
Gilmour, Nick Mason und Rick Wright holten Waters auf die Bühne.
Und McCartney kam noch nach ihnen auf die Bühne! Ich dachte mir: Seine einzige Chance, Pink Floyd zu toppen, wäre ein Gastauftritt, oder eher Geistauftritt von John Lennon. Das Set der wiedervereinigten Pink Floyd dauerte 20 Minuten. The Australian Pink Floyd Show hat etwas mehr Zeit, unsere Konzerte dauern zweieinhalb Stunden. Und ihr Deutschen gebt uns dabei ein gutes Gefühl! Als ich während unserer Tournee Platten in einem Oberhausener Medienkaufhaus besorgen wollte, lief auf deren Deckenfernsehern eine DVD – von unseren Auftritten! Unglaublich. Zu meinen Aussie-Kollegen hatte ich ja immer aufgesehen. Dann bekam ich 2015 den Job und bin seitdem einer von ihnen. Ein Traum wurde wahr. Ich habe den besten Job der Welt.
Ihre Konzerte sind lang, und Sie bekommen in 160 Minuten immerhin bis zu 29 Pink-Floyd-Songs unter. Mehr als die echten Pink Floyd.
Bei unserer Tour zum 30. Jubiläum 2018 spielten wir sogar „Shine On You Crazy Diamond“ und zwar „Part I-IX“, das allein sind 26 Minuten. Pink Floyd taten das 1974 auch. „Dark Side“ ist insofern auch besonders, als dass das Album mit zehn Songs nur knapp 43 Minuten dauert. Das ist keine auffällige Länge. Dabei nahmen Songlängen ab den späten 1960er-Jahren eher zu, man denke an die Doors, „The End“ oder „When The Music’s Over“. Das Yes-Doppelalbum „Tales from Topographic Oceans“ präsentiert pro Seite nur ein Stück. Mit „Wish You Were Here“ und „Animals“ wurden Pink Floyd dann auch wieder ausufernder.
Auffallend bei der Australian Pink Floyd Show ist der Verzicht eines Versuchs, wie die Originale auszusehen. Sie selbst spielen nicht mal Gitarre oder Bass, wie Gilmour und Waters.
Es geht bei uns nicht um die Leute, es geht um die Musik. Unsere Show ist ein Konzert, keine Theateraufführung. Keiner trägt Perücke, keine eine Replica-Schlaghose. Als Pink Floyd „Dark Side of the Moon“ veröffentlichten, waren sie auf der Bühne nahezu unsichtbar. Überall nur Rauch und Lichter. Sie traten anonym auf, und wir tun das auch.
Gibt es Lieder, die schwierig zu singen sind. Oder im Gegenteil: Lieder, bei denen Sie denken: Das hätten die damals doch besser singen können?
Ob ich besser singe als Roger und David? Sicher nicht. Ich bin mit ihrer Musik aufgewachsen, für mich ist jeder Ton korrekt, so, wie er intoniert wurde. Ich muss mich nicht fragen, ob ich manches höher oder tiefer singen könnte oder sollte. Roger arbeitet als Sänger mit großen Dynamiken, vielen Wechseln in der Lautstärke, man hört ihn manchmal kaum, wie in „The Fletcher Memorial Home“, dann bricht es am Ende aus ihm heraus: „Safe in the permanent gaze of a cold glass eye /With their favourite toy!“ Wenn man auf Tour ist und das an einhundert Abenden schmettert, kann das schon eine Challenge sein. Herausfordernd ist auch „High Hopes“, weil es viel Songtext enthält – auffallend viel für Pink Floyd. Das singt Gilmour. Er hat eine vergleichsweise liebliche Stimme.
Für ihre Bühnenansagen waren Pink Floyd nicht bekannt. Ist das eine Erleichterung für Sie und Ihre Kollegen?
Ich rede auf der Bühne in der Regel nicht, das übernimmt Jason Sawford, unser Keyboarder, das Gründungsmitglied. Als Gilmour nach dem Ausstieg von Waters die Kommunikation übernahm, sagte er, zu Zeiten von „A Momentary Lapse of Reason“ und „The Division Bell“, manchmal „Au revoir“. Jason greift das bei uns auf.
„Die große Streitfrage unter Fans lautet: Wer war der Kopf, Waters oder Gilmour? Ich sage: in Wirklichkeit war es Barrett“
Welcher Pink-Floyd-Musiker ist Ihr liebster, und welche Bandperiode schätzen Sie am meisten?
Ich favorisiere zwei Ären: Diejenige bis zu Syd Barretts Ausstieg 1968, sowie die Phase danach bis einschließlich „Dark Side of the Moon“. Ab dann wurden die Setlisten etwas vorhersehbarer: Zunächst spielten sie „Dark Side“, in der zweiten Konzerthälfte „Echoes“ und „Set the Controls für the Heart of the Sun“. Nach Syds Ausstieg gingen sie auf die Suche nach sich selbst, das hört man den Work-in-progress-Aufnahmen, die sie auf die Bühne verlegt haben, auch an. Die große Streitfrage unter Fans lautet: Wer war der Kopf, Waters oder Gilmour? Ich sage: in Wirklichkeit war es Barrett. Er schrieb die ersten wichtigen Songs, Top-Ten-Hits, und er motivierte seine Kollegen. Ohne ihn wären wir doch nicht hier.
Was antworten Sie Hörern, die Coverbands für überflüssig halten?
Wer ein klassisches Konzert von Beethoven besucht, hört Musikern zu, die die von ihnen gespielte Musik nicht erfunden haben. The Australian Pink Floyd Show möchte, falls diese Analogie zulässig ist, wie ein Orchester sein. Wir reproduzieren Musik, die nicht mehr von den Originalkomponisten aufgeführt wird, mit einer Show, die es sonst nicht mehr zu sehen gibt.
Haben Sie einen der Pink-Floyd-Musiker schonmal getroffen?
Nick Mason. 2004 veröffentlichte er seine Erinnerungen an die Band, das Buch „Inside Out“. Er hielt in Manchester eine Signierstunde ab, ich ging mit meiner Tochter hin, er schrieb ihr eine spezielle Widmung. Leider war ich da noch nicht Mitglied der Australian Pink Floyd Show. Seine Meinung hätte mich interessiert.