Birgit Fuß fragt sich durch: Ist Paul Weller ein Spießer, weil er schon so lange an seinen Werten festhält?
… Oder wusste er einfach sehr früh, was er will?
Neulich musste ich jemandem widersprechen, der Paul Weller als Spießer bezeichnete. Musikalisch hat er sich zwar natürlich stark an Traditionellem orientiert – aber dann doch immer gemacht, was er wollte: Punkrock, Pop, Soul, House, Psychedelia. Menschlich kam er zumindest mir stets wie einer vor, der sehr offen ist für Impulse aus allen Richtungen. Und er sprach und trank weiterhin wie einer aus der Arbeiterklasse, während er gleichzeitig ein Herrenhandtäschchen trug und seine Hipster-Frisuren immer elaborierter wurden.
Auf Wikipedia (selbst ein großer Spießerverein) lautet die Definition für Spießer: „engstirnige Personen (…), die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen“. Das Spießigste an Paul Weller ist vielleicht, dass er acht Kinder von vier Frauen hat, auch wenn das erst mal unkonventionell klingt. Er hat sich ja doch meistens für die klassische Versorger-Ehe/Partnerschaft entschieden, aber das soll sein privates Problem
sein (oder das seiner Frauen).
Musikalisch wurde ihm schon als Teenager vorgeworfen, ein Reaktionär zu sein, und diese Kritik trieb ihn jahrzehntelang immer wieder zu fantastischen Alben an. Keine kleine Leistung für einen Mann, der schon so früh sein erstes Meisterwerk erschaffen hatte. Paul Weller war zwanzig Jahre alt, als „All Mod Cons“ 1978 erschien.
Es war bereits das dritte Album von The Jam, gegründet hatte er die Band 1972 in der Schule in Woking. Gleich zum Auftakt, im Titelsong, singt er: „Artistic freedom, do what you want/ But just make sure that the money ain’t gone.“ Er war kein Naivling, trotz einer Jugend in der Provinz. „All Mod Cons“ ist eine Immobilienmaklerabkürzung für „all modern conveniences“, und ja, Weller wollte den Ruhm und den Reichtum, aber er wusste auch um den Preis. In „To Be Someone (Didn’t We Have A Nice Time)“ geht es genau darum: „To be someone must be a wonderful thing/ A famous footballer, a rock singer/ Or a big film star/ Yes, I think I would like that.“ Geld und viele Fans haben, „lots of girls to prove that I’m a man“, das wäre schon was. Im weiteren Verlauf des Zweieinhalb-Minuten-Songs geht dem Ex-Star das Kokain aus, Taxi und Bodyguard sind auch weg. Es bleibt nur die Erinnerung.
So weit kam es mit Weller nie, er neigt nicht zu Nostalgie. Vielleicht weil er früh seinen Kern und seine Kompetenzen erkannt hat. Auf „All Mod Cons“ verurteilt er die elitären Workaholics, denen es nur um Materialismus und Besitzstandswahrung geht („Mr. Clean“), er stemmt sich gegen das Untergehen in der Masse („In The Crowd“), lässt in der angesagten Londoner Wardour Street eine Atombombe explodieren – und schließt mit dem grandiosen Thriller „Down In The Tube Station At Midnight“ ab, in dem einer in der U-Bahn von rechten Hooligans zusammengeschlagen wird und dann noch fürchten muss, dass sie sein Zuhause samt Ehefrau aufsuchen. Das Lied vereint die Träume des sogenannten kleinen Mannes mit der alltäglichen Brutalität – und die Folgerung kann nur sein: Wir brauchen eine bessere, gerechtere, solidarische Zukunft!
Die Werte und Wünsche, die Paul Weller auf „All Mod Cons“ in so prägnante Songs umgesetzt hat, gelten noch heute für ihn – und das ist nicht spießig, das ist konsequent