ESNS 2023: Muss Popmusik heute „woke“ sein?
Für ihr Engagement gegen die Ausgrenzung der Menschen im Kosovo und in Albanien bekommt Dua Lipa den „Excellence Award“ beim „Eurosonic/Noorderslag“. Gesellschaftspolitische Debatten bestimmten das Event.
Der Chef des ersten großen Musikmeetings im Jahr wirft den Blick zurück nach vorn. Zum Abschluss des Doppel-Events „Eurosonic/Noorderslag“, kurz ESNS, am letzten Samstag (21. Januar) in Groningen konstatiert Festivalchef Dago Houben: „Die Branche hat mit der Pandemie zu kämpfen und erholt sich immer noch. Unsere Rolle als Plattform für den europäischen Musiksektor erachten wir als wichtiger denn je.“
Houben spricht von einer topaktuellen Themenauswahl der ESNS-Konferenz. Dazu ein „herausragendes LineUp aus ganz Europa“. Als ausverkaufte Ausgabe von beiden Festival-Segmenten sei das ESNS „stärker denn je zurückgekehrt.“
In Zahlen war die 37. Ausgabe des traditionellen Musiktreffens in der Tat beeindruckend. 40.000 Konzertbesucher sahen 320 Acts aus rund 50 Ländern. Über 150 Panels und Networking-Möglichkeiten gab es. Dazu Keynotes des einstigen Warner-Music-Managers Scott Cohen, den Sub-Pop-Legenden Jonathan Poneman und Bruce Everrett und zum Abschluss eine moderierte Talkshow mit Weltstar Dua Lipa und Ihrem Vater, der seit dem Beginn ihrer Karriere das Management inne hat.
Dua Lipa und das „Sunny Hill Festival“
In einer erstaunlichen bodenständigen Ansage erzählte Dua Lipa über die Genese des „Sunny Hill Festivals“, das in ihrer zweiten Heimat Pristina (Hauptstadt des Kosovo) auch deshalb installiert wurde, um die Vorurteile in Rest-Europa über die „albanische Bevölkerung“ mit Popmusik in eine positive Richtung zu drehen.
Mit den sprudelnden Erlösen dieser Veranstaltung unterstützen Vater und Tochter Lipa „case by case“ soziale und kulturelle Projekte in der Region. Nächstes großes Ziel: Die Einrichtung einer professionellen (Pop-)Musikakademie in einer aufgelassenen Fabrik in Pristina.
Die auch im breiten gesellschaftlichen Diskurs stattfindenden Themen wie „Diversität“, „Nachhaltigkeit“, „Mental Health“, „Green Touring Support“, „Gender Gerechtigkeit“ beherrschten sowohl die Podien, wie auch viele Gespräche am Tresen. Manch ESNS-Besucher ging der (oft auch von den politischen Geldgebern eingeforderte Diskurs) ein wenig zu weit. Die offiziell nicht gestellte Gegenfrage zum „grünen“ Popdiskurs lautete: „Wie woke soll, muss und kann Popmusik überhaupt sein?“ Oder simpel formuliert: „Ist das alles überhaupt noch Rock`n`Roll?“
Eine definitive Antwort auf diese Fragen gibt es auf dem ESNS ähnlich wie in anderen verwandten Kultursegmenten (Theater, Film, Literatur) natürlich NICHT. Auf jeden Fall Fall wurden in Groningen Themen angestoßen, die uns im Festivaljahr 2023 definitiv weiter beschäftigen werden.