Kritik: Haftbefehl – „Mainpark Baby“: Ein wenig zu clever
Urban (Universal Music)
Mit seinem siebten Album liefert der König von Offenbach eine solide Gangster-Theater-Aufführung. Viel mehr ist da leider nicht.
Aykut Anhan, alias Haftbefehl, gehört – je nach Perspektive – zur mittleren HipHop-Generation. Als 2010 sein erstes Album „Azzlack“ erschien, steuerte das ikonische Krawall-Label Aggro Berlin bereits auf den Exodus hin. Bushido stand längt unter Einfluss gerichtsnotorischer Strukturen. Ex-Maskenmann Sido suchte seinen Weg nach seinen „Arschfick“-Eskapaden.
Letztlich erwies sich mal wieder, dass HipHop – nicht nur in den USA – nur schwer ins Erwachsenen-Dasein zu überführen ist. Es sei denn, man wechselt ins Produzenten-Fach. Oder machen nur noch Marketing…
Eine Ausnahme bilden die Rap-Onkels aus Stuttgart. Aber Die Fantastischen Vier hatten Anfang der 1990er auch niemals einen Anspruch erhoben, gefährliche Uzi-mit-Kampfhund-Honchos zu sein.
So klingt das Bahnhofsviertel
Mit Haftbefehl und seinem kurdisch-türkisch-deutschen Sprachmix kam dann eine neue, noch authentischere Note ins Spiel: The Sound of Bahnhofsviertel. Egal, ob seine Stories als Koks-Verticker nun „echt“ oder „ausgedacht“ sind. Er konnte diese Causa eben bestens und für den Moment auch musikalisch überzeugend vermitteln. Zeilen wie „Chabos wissen, wer der Babo ist“ sind in den bundesdeutschen Sprachschatz eingegangen.
Jetzt also das siebte Album, mit einer Phalanx an prominenten Gästen. Etwa UFO 361, Azad oder der Frankfurter Altmeister Kool Azad. Bemerkenswert ist das Duett mit der 21-jährigen Schlagersängerin Paula Hartmann. Der Eingangs-Track „Ein Geruch von Koks“ ist kalkulkiert süßlich gehalten. Prinzip: Die junge Clubberin, die „nur den Geruch von Koks mag“ und nicht selbst eine Nase nehmen möchte. Dazu der väterliche Aufpasser, der Druckbetankungs-mäßig noch einmal die knallharten Anfangsjahre Revue passieren lässt.
Musikalisch ist das zwar meilenweit von „Empire State of Mind“ von Jay-Z und Alicia Keys entfernt, aber das Prinzip soll ähnlich funktioniert. Ein Problem, wenn man das als solches benennen darf, ist die mangelnde Nähe der deutschsprachigen Rapper zu den Wurzeln des Genres. Kurz gesagt: Kaum einer der unter 40-Jährigen Rap-Millionäre hat Soul. Da müssen dann Samples von Modern Talking herhalten, um so etwas wie „Seele“ zu erzeugen.
Sehr viel Hessen – noch mehr Theaterperformance
Die Frankfurter Version von HipHop war seit dem Rödelheim Hartreim Projekt immer schon mackermäßig unterwegs. Selbst das weibliche Pendant, Sabrina Setlur alias Schwester S, war in ihren Anfangsjahren auch eher eine „harte“ Männer-Projektion. Boris Becker kam dann später.
Der hessische Übervater Moses P (51) ist noch Funk-sozialisiert. Danach dünnt es landesweit aus, musikalisch. Politische korrekte Crews wie etwa die Antilopen Gang haben da weitaus mehr Ideen. Diese werden aber nur selten auf tiefergelegten Schlitten auf der Sonnenallee gehört.
Der 36-jährige Haftbefehl (der mittlerweile nicht mehr in Offenbach lebt) hebt auch 2022 seine Frankfurter Herkunft prominent aufs Schild. „Mainpark“ ist eine notorische Hochhaussiedlung, eine Art „Gheddo“, oder auch „da, wo ich herkomme.“ Das geht alles klar, er hat den Aufstieg „authentisch“ gemeistert.
Seine Themen „Chevington & Classics“, „Die Braune Tasche“ oder auch „Pimp“ spielen weiterhin im schattigen Hartkern-Millieu. Mit seiner heutigen Realität haben diese nur noch in der Rückschau zu tun. Haftbefehl, der lebenskorrekte Gangsta-Rap-Aufführer. Vielleicht sollte er sich bald dem Subventions-Theater zuwenden. Das hätte was: Haftbefehl an der Berliner Volksbühne.
Es ist durchaus zu erwarten, dass „Mainpark“ nächste Woche auf Platz Eins der deutschen Albumcharts ist. Sein Label weiß, wie das mit der Klaviatur des Erfolgs funktioniert.
Es dürfte Menschen über 45 schwerfallen (ausnahmen bestätigen die Regel) das Album so richtig „durchzuhören“. Es sind durchaus geniale Momente vorhanden. Nur: Ähnlich wie bei der deutschen Fußballnationalmannschaft reicht es eben nicht, nur minutenweise zu glänzen.
Haftbefehl bleibt der gute, harte, voll okaye Typ. Er ist nur nach zehn Erfolgsjahren, die ihm mega-gegönnt sind, ein wenig zuuu clever geworden.