Reeperbahn Festival: Das beste Konzert war das letzte der Freitagnacht

Die riesige Auswahl an Konzerten beim Reeperbahn Festvial macht einen glauben, ständig etwas zu verpassen. Und so ist es dann ja auch. Wer Freitagnacht nicht im Mojo Club war, hat wahrscheinlich das beste Konzert des dritten Festivaltags verpasst: die britische Jazzband Kokoroko.

Es war eines dieser Konzerte, bei denen man kurz mal allein sein will mit der Musik. Die Augen schließen. Mitschwingen im Flow dieses umarmenden Afrobeatsouljazz. Denn warum lieben wir Musik? Weil sie uns mitnimmt, klug macht, ermutigt, zu uns spricht wie ein Freund. Und in Konzerten, wenn sie gut sind wie dieses, teilen wir das mit einer Menge anderer Menschen, die in diesen Momenten ähnlich empfinden wie wir. Jeder hat seine eigenen Empfindungen, wenn Sheila Maurice-Grey zu einem Trompetensolo ansetzt (wobei schon das Wort „Solo“ falsch klingt bei dem Londoner Musikerkollektiv), und gleichzeitig kann jeder aufgehen im Gemeinsamen. Die Musik sagt: Du bist nicht allein. Aber dennoch bist du ganz bei dir. Das erlebt man nur in einem Konzert oder in einem Club, wie am Freitagabend beim Reeperbahn Festival.

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Kokoroko spielen seit acht Jahren zusammen, doch erst jetzt ist ihr Debütalbum „Could We Be More“ erschienen. Und so toll die Platte ist, entfaltet sich der Sog ihrer Musik erst beim Live-Auftritt vollständig. Tobi Adenaike, ein Bär von Mann, spielt eine leichtfüßig schwingende Rhythmusgitarre, die von funky zu juju changiert, grundiert von einem geölten Dreieck aus Bass, Drums und Percussion, und gestört von den reingrätschenden Keyboard-Beeps, aus denen Yohan Kedebe aber auch sich dem Sound der Band anschmiegende Teppiche flechten kann.

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Das Beste sind die Posaunistin Ricie Seivwright und die Trompeterin und Hornistin Sheila Maurice-Grey: Ihre Einsätze, auch ihr Gesang heben die polyrhythmische Grooveseligkeit der Band in andere Sphären. Ok, die JBs und Headhunters kommen einem kurz in den Sinn, Return To Forever und Airto Moreira, aber natürlich auch die anderen Bands und Künstler*innen der noch immer jungen Londoner Jazzszene, von Nubya Garcia bis Shabaka Hutchings. Kokoroko sind noch deutlicher von westafrikanischer Musik geprägt, und einige Musiker haben nigerianische Wurzeln. Ihr Bandschriftzug sieht aus wie der seinerzeit von Fantasy-Grafiker Roger Dean für Osibisa gestaltete. Keine Ahnung, ob es ein bewusster Verweis auf die Pioniere des britischen Afrojazzrock der frühen 70er-Jahre ist. Aber vermutlich schon, Traditionslinien werden freigegeben und Pros verteilt in der Londoner Jazzszene.

Es gab viele tolle Konzerte auf dem Reeperbahn Festival. Der einige im Publikum verstörende Dan Bejar mit seiner Band Destroyer (und dem unfassbar herumjivendenden und massiv in den Vordergrund gemischten Bassisten John Collins) in der ROLLING-STONE-Nacht. Oder (ganz andere Temperatur!) die Auftritte von Mine und Joy Crookes in der Elphilharmonie. Der wütende feministische Agit-Rock der Petrol Girls oder das wuchtige mit ukrainischem Folk durchwalkte Boom der Rapperin Alyona Alyona (natürlich mit blau-gelber Flagge) im Gruenspan.

Es gab ein Konzert, das sein Publikum warm ummäntelt und zum kollektiven Schwingen gebracht hat, das von Kokoroko. Es war bezeichnenderweise auch das letzte in der Freitagnacht.

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