Bill Callahan
„YTILAER“ – Spieglein, Spieglein
Drag City (VÖ: 14.10.)
Das erste Post- Pandemie-Album? Mit psychedelischen Folksongs zurück ins Leben
And we’re coming out of dreams/ As we’re coming back to dreams“, singt Bill Callahan im ersten Lied seines neuen Albums. Das Geträumte ist schon lange ein zentrales Motiv im Werk des amerikanischen Songwriters. Ja, er verwendet in Interviews, Albumtiteln und Liedern das Wort „dream“ oft synonym für „song“. Sein Meisterwerk „Shepherd In A Sheepskin Vest“ (2019) schien allerdings wie ein Erwachen. Er erzählte in jenen einer Schreibkrise abgerungenen Liedern keine lakonisch-surrealen Storys/ Träume, sondern aus dem (eigenen) Leben – sang von Geburt, von Liebe und von Tod.
Auf dem Nachfolger, „Gold Record“ (2020), nahm er sich wieder zurück, doch auch diese Songs hatten stellenweise eine neue, dem Leben abgerungene Tiefe. Der Titel des neuen Albums ist eine Spiegelung des Wortes „reality“. Die zwölf Songs seien, so Callahan, ein Versuch, sich nach Jahren im (pandemiebedingten) Ausnahmezustand wieder mit den grundlegenden Dingen des Lebens vertraut zu machen.
Wie verstreute Scherben eines Spiegels
Das Album beschreibt eines langen Tages Reise in die Nacht, beginnt in der Morgendämmerung, mit den Kindern, die aus dem Schatten des Flurs treten, und endet mit dem Einbruch der Dunkelheit, den singenden Planeten am Himmel und dem letzten Gast einer Party – „we thought he’d never leave“. Callahan singt von Inspiration („I feel something coming on – a disease or a song“) und Träumen, die einen über den Schlaf hinaus verfolgen, von der Vertreibung aus dem Paradies, von der Mutter, die aus dem Leben scheidet und im Bardo verharrt, um sicherzugehen, dass es dem Enkel gut geht, von Vaterfreuden und Gott, Weltflucht und religiösem Fanatismus, Kojoten, Käfern, Schweinen und Pferden.
Die Kargheit der letzten Alben bricht er dabei stellenweise auf. Apokalyptische Trompeten, verzerrte Gitarren, Drones und irrlichternde Orgel haben ebenso Platz wie weiblicher Harmoniegesang, filigranes akustisches Picking und wie Morgentau tröpfelndes Klavier. Wie verstreute Scherben eines Spiegels zeigen diese Lieder zahlreiche Reflexionen der Wirklichkeit – wir sehen das Gelebte, das Gedachte und das Geträumte, die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. „They say never wake a dreamer“, singt Callahan. „Maybe that’s how we die/ I realize now that dreams are real.“