Yo La Tengo
„I Can Hear The Heart Beating As One“ – Der wilde Schlag des Herzens
Matador (VÖ: 29.7.)
Ein Meilenstein der Independent-Musik, erweitert um Peel Sessions und Remixes
Yo La Tengo sind vielleicht die letzten Überlebenden der gewaltigen Welle amerikanischer Independent-Musik, die in den frühen Achtzigern mit dem College-Rock von R.E.M. ihren Anfang nahm und mit der Auflösung von Sonic Youth langsam zu verglühen begann. Sie sind es auch, weil sie ohne größere Pause alle paar Jahre ein neues enigmatisch-zärtliches Album veröffentlichen. Die Band aus dem Geburtsort von Frank Sinatra, Hoboken in New Jersey, verkörpert die ungefilterte Energie des Indie- Mythos schon deshalb wie keine zweite, weil jede ihrer Platten über das Außen der Welt genauso räsoniert wie über das Innere der Band.
Wie eine Kraftdemonstration
Dass Yo La Tengo einen eigenen Schattenraum zwischen destruktiven Feedback-Orgien und entzückenden Pop-Melodien suchen, hat ihnen den Erfolg beim großen Publikum stets verwehrt. Gesucht haben ihn Ira Kaplan, Georgia Hubley und James McNew aber auch so nicht, wie mindestens das genial alberne Verweigerungsvideo zur Single „Sugarcube“ demonstriert (zu dem es nun einen erhellenden, aus dem Archiv ausgegrabenen Director’s Cut gibt). Dafür ist ihr schäumender Sound nie so offen in alle Richtungen gedacht gewesen wie auf „I Can Hear The Heart Beating As One“. Die reinste Konsistenz, die vollständige Lehre sozusagen.
Man denke sich die überlange Platte wie eine einzige Kraftdemonstration. Schon die Aufnahmen sind Anstrengung ohne Ziel. Endlose Sitzungen – und am Ende steht die Entscheidung für eine heterogene Sammlung von Klangpastiches vor allem deswegen, weil das Krautrockmonster „Spec Bebop“ irgendwie in die Welt musste. Jeder der Musiker bekommt indes Raum, um zu glänzen, was ohne die brachiale Energie des eklektischen Vorgängers, „Electr‑O-Pura“, kaum möglich gewesen wäre. Das zartfühlende „Stockholm Syndrome“ gehört ganz dem Bassisten, im treibenden „Autumn Sweater“ gleichen die Trommeln fallenden Bomben, und gesungen wird stellenweise wie Lou Reed mit Velvet Underground und bei den Beach Boys. Oder als würde beides ineinandergemischt, passenderweise noch mit einem Cover der Surferband („Little Honda“).
Ein Akt der Liebe
Und wie ist „Spec Bebop“ zu verstehen? Als schwirrender Migräneanfall, wie ihn später auch Wilco mit „Less Than You Think“ vertonten. Die kaum zu zählenden Referenzen weisen weit weg oder tief hinein in das Werk der Band. Der gewaltige Störstrom von „Deeper Into Movies“ ist zugleich eine Erinnerung an die Filmkritikerin Pauline Kael, an Sonic Youth, David Bowiesv „Starman“ und My Bloody Valentine. Letztere haben hier in zahlreichen Liedern ihre Spuren hinterlassen. Dazu tasten Yo La Tengo gleich mehrfach nach den Country-Tupfern ihrer frühen Jahre, im instrumentellen, mit Neil Young verschalteten Naturgedicht „Green Arrow“ oder im melancholischen Gemurmel von „One PM Again“.
Man mag einen Psychoanalytiker befragen, ob in einer Formation mit einem Ehepaar alles auf Verbindung und steten Neuanfang aus ist, etwa durch die Elektrifizierung verschiedener Genres – hier neben den bereits genannten Bossa nova, Psychedelic Folk, TripHop und Avantgarde-Jazz. Es passt ja auch zu den zahlreichen Coverversionen, die Yo La Tengo eingespielt haben, dass sie die Hände nach der Musikgeschichte ausstrecken, um das Fremde zum Eigenen zu machen. Ein Akt der Liebe. Die Neuabmischung der Edition zum 25. Jubiläum legt den Fokus mehr auf Rhythmus und Groove, Kaplan wispert stellenweise hörbarer als auf der Erstveröffentlichung. Als Zusatz gibt es die unaufdringlichen Peel Sessions und neue Mix- Versionen fremder Hand von „Autumn Sweater“.