Milky Chance im Interview: „Keine Musik auf einem toten Planeten“
Das international erfolgreiche Folktronica-Duo Milky Chance arbeitet an der eigenen Nachhaltigkeit und kämpft dafür, dass endlich etwas im großen Stil gegen die Klimakrise gemacht wird. Warum sie dennoch keine politischen Lieder schreiben, sich nicht als grüne Band bezeichnen und kein schlechtes Gewissen beim Fliegen haben, erzählen sie im Interview
Als Milky Chance 2013 ihren Song „Stolen Dance“ auf YouTube hochluden, eroberten sie vom Kasseler Kinderzimmer aus die Welt. Seitdem touren Clemens Rehbein und Philipp Dausch international, spielen Konzerte in Australien, den USA, und Lateinamerika. Milky Chance war nach Rammstein die zweite deutsche Band, die in der Late Night Show von Jimmy Kimmel auftrat. Dabei kokettieren sie gerne mit einem gewissen Understatement – in ihrer Instagram-Beschreibung steht: „Two highschool friends making music“. Melancholische Gitarrenmelodien, elektronische Beat-Spielereien, Gesang, der es niemals eilig hat – ihrem Stil sind die bis heute treu geblieben. Nach ihrem mehrfach ausgezeichneten Debütalbum „Sadnecessary“ (2013) folgten „Blossom“ (2017) und „Mind The Moon“ (2019). Im Herbst 2021 veröffentlichte Milky Chance das Mix Tape „Trip Tape“, auf dem neben Demos und neuen Stücken – inklusive der Hit-Single „Colorado“ – Coverversionen von Songs von Dua Lipa, The Weeknd und Soft Cell zu finden sind, um die Wartezeit bis zum neuen Album zu verkürzen.
Rehbein und Dausch leben in Berlin, sind jetzt knapp 30 Jahre alt und inzwischen beide Papa. Durch diese neue Rolle spüren sie eine Verantwortung gegenüber kommenden Generationen: Was für eine Welt wartet da auf mein Kind? Deshalb engagieren sich seit ein paar Jahren sehr stark für Nachhaltigkeit und wollen ein Bewusstsein für die Klimakrise schaffen: Sie treten bei Veranstaltungen von FridaysForFuture auf, sind Teil der Initiative „Music Declares Emergency“ und befinden sich in dem Prozess, das Projekt Milky Chance so nachhaltig wie möglich zu gestalten: Wie kann man möglichst plastikfrei touren? Pflanzt man für jedes verkaufte Ticket einen Baum oder versucht man lieber bestehende Wälder zu schützen? „Milky Change“ heißt dieser Prozess. Es ist eine Art Reise, die sie auf einer eigens dafür angelegte Website dokumentieren. Es ist ihnen ernst – sie haben auch extra eine Nachhaltigkeitsmanagerin eingestellt.
Klimaaktivismus in der Musikbranche – ist das was für Bands, die sich das finanziell leisten können?
Philipp Dausch: Nein, ich denke, dass man in jedem Stadium der eigenen Karriere aktiv sein kann. Das fängt damit an, dass man über das Thema redet oder bei FridaysForFuture auftritt oder dass man NGOs unterstützt. Aber klar, so etwas, wie dass Coldplay auf Tour Fahrräder hinstellen, auf denen man radeln kann, um den Strom für die Show zu erzeugen, das sind Dimensionen, das geht nur, wenn man die finanziellen Mittel hat. Aber auch in kleineren Bausteinen des Tourens und Bandseins kann man etwas machen, wenn man will: Wo wird das Merch, wo werden die CDs produziert? Welche Materialien werden verwendet? Natürlich steht man auch da immer in einer Abhängigkeit zu wirtschaftlichen Komponenten. Aber wenn alle ein bisschen was machen, ist der Outcome am Ende viel größer, als wenn nur wirtschaftlich Starke etwas machen.
Auf euren letzten Tourneen habt ihr euch oft mit in der jeweiligen Stadt ansässigen NGOs getroffen – wie läuft das genau ab?
Clemens Rehbein: Unsere Nachhaltigkeitsmamanerin Mariko recherchiert im Vorfeld, wen wir treffen könnten und schreibt die Initiativen an. Wenn die sich zurückgemeldet haben und wir dann vor Ort sind, treffen wir uns dann meist tagsüber mit denen vor dem Soundcheck. Wir verbringen ein paar Stunden mit denen, die zeigen uns was sie machen. In Boston haben wir zum Beispiel Leute von einer NGO getroffen, die Lebensmittel retten – vor allem von Supermärkten und Restaurants, teils Hotels –, die eigentlich weggeschmissen werden sollen. Da gab es einen Popup-Stand, den wir gemeinsam aufgebaut haben und dann haben wir geholfen, die Lebensmittel zu verteilen. Und sie haben uns viel über die Lebensmittelproduktion in den USA erzählt und wie viel weggeschmissen wird, dass es eine krasse Überproduktion und gleichzeitig ein Verteilungsproblem gibt. Das sind so Sachen, die wir da dann neu dazulernen und das ist sehr inspirierend und auch berührend.
Und was ist der Zweck von diesen Treffen?
Philipp Dausch: Erstmal die NGO direkt bei ihrer Arbeit zu unterstützen, aber natürlich auch, unsere Reichweite zu nutzen, um die Arbeit vorzustellen, um den NGOs die Möglichkeit zu geben, sich zu präsentieren und hoffentlich auch zu profitieren. Das sind häufig Initiativen, die nichts mit unserem Tour-Alltag zu tun haben, sondern aus Bereichen, die wir einfach wichtig finden, wofür wir gerne Aufmerksamkeit generieren wollen. Aber den Tour-Alltag betreffend haben wir auch mit Leuten zusammengearbeitet, um zum Beispiel zu lernen, wie wir Dinge wie nachhaltiges Tour-Merch oder plastikfreies Touren umsetzen können.
„Wenn bei einem Venue jede Band, die dort spielt, nachgefragt, woher das Venue seinen Strom bezieht, dann denken die hoffentlich auch irgendwann darüber nach“
Seid ihr da auf einem guten Weg oder auf welche Herausforderungen stößt man, wenn man nachhaltig touren will?
Philipp Dausch: Für nachhaltiges Tour-Merch war eigentlich der Gedanke, dass man Alt-Bestände aufkauft, also das, was eh schon da ist, benutzt. Aber da gab es dann rechtliche Probleme, dass man Altbestände von größeren Marken nicht rebranden darf. Dann haben wir Versuche gestartet, dass Leute ihre privaten T-Shirts mitbringen und die vor Ort gesiebdruckt werden. Aber das war logistisch recht kompliziert und der Aufwand war extrem hoch.
Clemens Rehbein: Was wir vor allem gemerkt haben, ist, dass wir als Band auf Tour an vielen Stellen sehr abhängig sind. Woher beziehen die Venues das Catering, woher den Strom? Man hat ja den Rider, wo draufsteht, welche Bedürfnisse die Band hat, und da haben wir den „Green Rider“ geschrieben: Also Catering soll möglichst lokal und bio sein. Und es wird auch nachgefragt, woher der Strom bezogen wird. Immer mehr Unternehmen und Firmen versuchen nachhaltiger zu werden, weil ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet. Wenn bei einem Venue jede Band, die dort spielt, nachgefragt, woher das Venue seinen Strom bezieht, dann denken die hoffentlich auch irgendwann darüber nach.
Philipp Dausch: Ich weiß auch, dass Mariko schon öfter Anfragen bekommen hat von anderen Bands, wie wir das mit dem nachhaltigeren Touren machen. Die Nachfrage ist auf jeden Fall da.
Clemens Rehbein: Was Mariko, unsere Nachhaltigkeitsmanagerin, am Anfang sehr viel gemacht hat, war, den Status Quo unseres CO2-Ausstoßes herauszufinden: Was bedeutet das denn, wenn wir auf Tour gehen? Zum Beispiel sind wir sehr viel im Tourbus unterwegs. Zu zwölft schlafen wir im Bus, wir haben meistens keine Hotels. Nachhaltiger kann man mit zwölf Leuten momentan gar nicht reisen, da gibt es keine bessere Lösung. Es wäre natürlich ideal, wenn wir mit Grünstrom oder mit Bio-Treibstoff fahren könnte, aber das gibt es für diese krassen Distanzen noch nicht. Je nach Größe der Band hat man mehr oder weniger Einfluss und mehr oder weniger Möglichkeiten, Sachen umzusetzen, aber es gibt viele Abhängigkeiten. Deswegen ist Netzwerken ist auch voll wichtig: Erfahrungen austauschen, denn es ist eine globale Sache und da kann man viel voneinander lernen.
Was wünscht ihr euch von der Politik?
Philipp Dausch: Dass Flüge nicht mehr günstiger sind als Bahnfahren. Das kann einfach nicht sein. Der Fan-Travel ist zum Beispiel ein riesiger Teil von unserem CO2-Abdruck. Generell steckt in der Mobilität ein riesiger Baustein, wo ich mir wünschen würde, dass da in den nächsten Jahren viel, viel mehr passiert.
Clemens Rehbein: Wenn man sich als privat konsumierende Person dafür entscheidet, nachhaltiger zu sein, dann bedeutet das immer, dass man mehr zahlen muss: für Ökostrom, das Bio-Essen oder das E-Auto. Dass sich in Amerika jeder ein Auto leisten kann und dass ein Liter Öl weniger kostet als ein Liter Orangensaft, das liegt daran, dass das krass subventioniert wurde, dass die Politik das möglich gemacht hat. Also ich glaube, die Politik könnte auch Weichen stellen, dass die Entwicklung viel schneller in die Richtung geht, die wir eigentlich brauchen. Das passiert aber nicht. Die Verantwortung liegt weiterhin beim Konsumenten.
Philipp Dausch: Die Politik muss kompromissloser werden.
Als Band seid ihr ja viel unterwegs und müsst auch oft fliegen, weil ihr international Konzerte spielt – plagt euch da ein schlechtes Gewissen?
Philipp Dausch: Was bringt einem das schlechte Gewissen am Ende? Es geht nicht darum, dass wenige einzelne gar keinen CO2-Abdruck haben, sondern es geht darum, dass alle weniger haben. Also es geht nicht darum, dass wir alle perfekt sind. Es geht darum, dass dieser Prozess und die Schritte quantitativ zunehmen. Und deswegen glaube ich, es würde nichts bringen, wenn wir jedes Mal, wenn wir uns in ein Flugzeug setzen, ein schlechtes Gewissen haben, weil wir dann auch ziemlich oft ein schlechtes Gewissen hätten.
Clemens Rehbein: Dann müsste man so hardlinermäßig sagen: wir gehen nicht mehr auf Tour. Aber ich glaube, es geht viel mehr darum, das System an sich zu ändern, als allen kleinen Individuen zu sagen: Flieg jetzt mal nicht mehr in den Urlaub.
„Die Musik vermittelt ein Lebensgefühl und gepaart mit genau den Themen, für die man sich einsetzt, erzeugt das einen Auftrieb“
Ihr wollt Aufmerksamkeit für das Thema Klimakrise schaffen und es emotionalisieren, aber ihr schreibt keine politischen Songs – dabei gibt es doch kaum etwas, das mehr emotionalisiert als Musik.
Clemens Rehbein: Ich glaube, das käme jetzt sehr unauthentisch rüber, würden wir jetzt einen Song übers Bäume pflanzen schreiben. Ich glaube aber, dass wir mit der Kombination Musik und auf-das-Thema-aufmerksam-machen trotzdem emotionalisieren und Leute anders erreichen als zum Beispiel Politiker. Die Musik vermittelt ein Lebensgefühl und gepaart mit genau den Themen, für die man sich einsetzt, erzeugt das einen Auftrieb.
Philipp Dausch: Bis jetzt war unsere Musik immer ein Ventil für unsere ganz eigenen individuellen Gefühle. Was nicht heißen soll, dass die Dinge, die in der Welt passieren, uns nicht emotional berühren.
Beeinflusst euch dann diese ganze Thematik Klimakrise nicht bei der Arbeit am neuen Album?
Philipp Dausch: Doch, aber nicht übertrieben krass. Für mich muss man in der Musik immer ehrlich und authentisch sein. Nur weil man ein Projekt startet zu einem gesellschaftlichen Thema, heißt das nicht automatisch, dass das auch Platz in deiner Musik oder Kunst haben muss. In einem Song auf dem neuen Album geht es um die Perspektive von jemandem, der plötzlich auf dieser Erde landet. Wir haben probieren, die Welt, wie sie jetzt gerade ist, mit objektiven Augen darzustellen – und dass sie teilweise sehr seltsam ist.
Ist es dann auch eine Art Abgrenzung, dass ihr für diesen Nachhaltigkeits-Prozess die eigene Website „Milky Change“ gestartet habt?
Philipp Dausch: Ja, genau. Es war uns wichtig, dass wir uns von Anfang an nicht als grüne Band gelabelt haben. Es ist unser Versuch, als Projekt nachhaltiger zu werden und das möchten wir dokumentieren, denn das ist ein Prozess. Wir machen alle die gleichen Fehler. Und am besten ist es, wenn wir alle probieren, weniger Fehler zu machen. Und ich glaube, da ist es nur hilfreich, bei anderen zu sehen, was die ausprobieren.