Kritik: „The Essex Serpent“ – stargespickt und doch nur schwach funkelnd
Mit Claire Danes, Tom Hiddleston, Clémence Poséy
Als Produktionsfirma hinter preisgekrönten Filmen wie „The King’s Speech“, „Shame“ und zuletzt Jane Campions „The Power Of The Dog“ hat sich See Saw Films in den letzten zehn Jahren einen veritablen Ruf erarbeitet: schöne Bilder, große Namen vor wie hinter der Kamera – kunstvolles Konsenskino, stets gesetzt auf den Nominierungslisten für große Filmpreise. Doch das Kino könnte seit der Pandemie einen langsamen Tod sterben, eine junge Zuschauerschaft wächst nur spärlich nach. Verwertungsketten, in denen Kino einst auf einem Podest über allem anderen thronte, sind durch die multinational verfügbaren Streamingdienste, wie Disney, Amazon, Netflix und Co., in prekärer Lage. „The small screen rules supreme“, wie es eine Kollegin treffend auf den Punkt brachte.
Wenig überraschend somit, dass Filmemacher*innen serielles Erzählen auch als arbeitserhaltende Maßnahme sehen; dass Stoffe immer öfter von einer ursprünglich angedachten Filmadaption zu Serien umgearbeitet werden und die Machtverschiebungen innerhalb der Branche hin zu Streaming und Serie unaufhaltsam wirken. See Saw Films hatte die Zeichen der Zeit schon länger korrekt gedeutet: Mit zwei Staffeln von Jane Campions hartem Hinterlands-Krimidrama „Top Of The Lake“ und Andrew Haighs „The North Water“ übersetzte man die Expertise im Arthaus gekonnt ins Serielle und garantierte dort jene künstlerischen Qualitäten, die in der wachsenden Flut mediokrer Serien schwer zu finden sind. Soweit die Theorie, die sich auch zum neusten See-Saw-Streich „The Essex Serpent“ offenbart: Claire Danes, Tom Hiddleston und Clémence Poséy in den Hauptrollen, Clio Barnard auf dem Regiestuhl, gepaart mit einer opulenten Ausstattung und Kulisse, die vor wenigen Jahren in Fernsehserien eher die Ausnahme war. Kurz: Man sieht, dass Apple TV keine Rücksicht auf Budgets nimmt, die Taschen sind bodenlos tief.
Basierend auf dem Roman von Sarah Perry wird die Geschichte der frisch verwitweten Cora Seaborne ausgerollt. Die hat ihren tyrannischen Gatten soeben verloren und nutzt im spätviktorianischen England die neugewonnene Freiheit, um im provinziellen Essex den Berichten eines sagenhaften Ungeheuers auf den Grund zu gehen. Dort wo die Einheimischen an die Existenz eines Monsters glauben, geht Cora mit naturwissenschaftlichem Eifer den Vorkommnissen rational auf den Grund. Währenddessen freundet sie sich mit dem örtlichen Vikar Ransome (Hiddleston) an. Bald stehen sich in „The Essex Serpent“ Wissenschaft und Glauben, Religion und Vernunft als Gegensätze gegenüber, aber es entsteht eine große Leidenschaft zwischen dem Geistlichen und der Witwe. Dass Ransome glücklich verheiratet ist und Cora von einem befreundeten Arzt umgarnt wird, macht die Liebesgeschichte erwartungsweise kompliziert.
Gemächlich zeichnet die Serie ein Bild vom ländlichen Essex als nebelverhangene und wildromantische Moorlandschaft, durch die sich unsere Protagonist*innen mit windverzaustem Haar schmachten. Auf dem Papier klingt das nach wunderbarer Mischung aus großen Jane-Austen- und Emily Bronte-Emotionen und wohltemperiertem Gruselschauer irgendwo zwischen Mary Shelly und H.P. Lovecraft. Mit stirnrunzelndem Ernst sowie erstaunlichem Mangel an Subtilität bezüglich der zentralen Themen weiblicher Selbstbehauptung, sozialer Gerechtigkeit und dem Spannungsfeld aus Glauben, Aberglauben und Ratio, kann „The Essex Serpent“ jedoch kaum überzeugen. Zu träge der Erzählfluss, zu ausgelatscht die Klischeepfade, zu uninspiriert die Inszenierung.
Auf der Suche nach Dringlichkeit und Konflikt verfällt die Serie immer wieder in melodramatische Vorhersehbarkeit, was „The Essex Serpent“ als vertane Chance erscheinen lässt. Denn der Mangel an Scharfkantigkeit und das fehlende Gespür für die unheimlichen Elemente der Geschichte lassen so nur sachte erahnen, wie „The Essex Serpent“ hätte aussehen können.