Ann Wilson
„Fierce Bliss“
Silver Lining (VÖ: 29.4.)
Die Stimme von Heart weiß immer noch, was Drama ist.
Selbst in Nashville gilt schon länger: Anything goes. Weshalb auf den zweiten Blick kaum noch verwundert, dass auch Ann Wilson gern mal ein lokales Gast-Goldkehlchen engagiert, hier den supernetten, keinen Anruf ignorierenden Vince Gill, zuletzt mit den Eagles eher so semiglücklich. Als hätten sie die Eingangsthese vernommen, geht’s ran an einen Queen-Klassiker. Was dann aber doch keine so gute Idee war. Nicht weil Wilson und Gill an „Love Of My Life“ gesanglich scheitern würden – nein, das Stück eignet sich per se schlecht für ein Duett, weil ein imaginiertes Gegenüber die Abwesenheit einer Liebe halt besse darstellt als ein reales. Wobei: „When I grow older, I will be there at your side to remind you how I still love you.“ Vielleicht haben sie nur die Zukunft von einst zur Gegenwart gemacht. Altersmäßig haut das ja inzwischen hin.
Anders als die beiden Vorgänger rückt „Fierce Bliss“ auch die Songschreiberin Ann Wilson wieder ins Rampenlicht
„Love Of My Life“ bleibt nicht das einzige Cover auf Ann Wilsons erst drittem Soloalbum. Ein umstandsloser Hardrock-Verschnitt von „Missionary Man“ (Eurythmics) etwa funktioniert ziemlich passabel. Aber anders als die beiden Vorgänger – leidlich geglückte Wilson-singt-allerlei-Veranstaltungen – rückt „Fierce Bliss“ auch die Songschreiberin Ann Wilson wieder ins Rampenlicht. Wobei zumal ihre Zusammenarbeit mit Warren Haynes (Gov’t Mule) Früchte trägt. Warum? Weil diese Stimme immer noch Drama kann und auch mit fast 72 Jahren immer noch am besten ist, wenn sich das Drama langsam und machtvoll entfaltet.
Sieht man nicht fast Russell Crowe aus den Katakomben kommen, wenn sich ihr „Gladiator“ auf die letzte Reise macht? „Angel’s Blues“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, während der Rest, angeführt vom bissigen Opener, „Greed“, als solide Classic-Rock-Kiste durchgeht und damit näher an Heart ist als ihre Cover-Stilübungen danach. Dazu passt, dass Sie sich nicht verguckt haben: Dies ist wirklich ein neues Albumcover von Roger Dean. Vielleicht der richtige Moment, um mal wieder in diesem großformatigen Buch irgendwo da hinten im Regal zu schmökern.