#BackToLive-Interview mit Sven Väth: Kultur ist systemrelevant!

Einer der bekanntesten DJs verbrachte die Lockdowns in London und auf Ibiza. Doch natürlich vermisst SVEN VÄTH die Clubs. Und hat eine Forderung an die Politik.

Wie viele Lockdown-Phasen gab es für dich seit März 2020?

Den ersten großen Lockdown habe ich nach dem letzten Auftritt Anfang März mit meiner Lebensgefährtin zuhause in London verbracht. Wir haben die Zeit genossen, um ehrlich zu sein. Danach folgten viele regionale Lockdowns, da waren wir viel auf Ibiza. Hier fühlte sich alles lockerer an, da das Wetter schön war und wir in die Natur gehen konnten.

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Wie ist das, plötzlich ausgebremst zu sein?

Es stellen sich auf einmal viele Fragen: Und jetzt – was machen mit den ganzen Planungen, den Shows, meiner Firma? Und natürlich: Wann wird es weitergehen – und wie?

Welche Auswirkungen hatte Covid-19 bislang denn für eure Booking- und Club-Projekte?

Sie waren natürlich verheerend, sowohl finanziell als auch moralisch: Es gab einen Totalausfall, keine Branche wurde so früh geschlossen und als letzte wieder geöffnet (und aktuell wieder geschlossen!). Alles wurde ersatzlos gestrichen oder in die Zukunft verlegt. Da die Situation weltweit sehr dynamisch war und immer noch ist, konnten wir international immer wieder mal Events realisieren, auch hier in Deutschland ging im vergangenen Sommer was, aber die Möglichkeiten waren insgesamt sehr begrenzt.

Wie habt ihr das konkret erlebt?

Man muss sich sehr stark in Geduld üben, die Lage hat sich irgendwann täglich geändert. Mein Agent kann ein Lied davon singen, man arbeitet auf etwas hin und muss dann oftmals sehr kurzfristig wieder absagen, damit verbunden die komplette Rückabwicklung der Reisen, Hotels, Verträge und so weiter. Täglich und von Land zu Land variierende Regeln und Reisebeschränkungen einschließlich der ganzen Einreise-Formulare und der Testerei bedeuten enormen logistischen Aufwand, die Stimmung schwankt ständig zwischen Hoffnung (auf Besserung) und Verzweiflung (nach erneuten Schließungen und Absagen). Insgesamt war ja vielerorts die Politik überfordert und man kündigte Maßnahmen sehr kurzfristig an, was natürlich Gift für eine planungsabhängige Branche wie die unsere ist.

Was bedeutet das für dich finanziell?

Ich persönlich war anfangs natürlich geschockt: Nach 40 Jahren das erste Mal ohne Einkommen, von 100% auf null, zusätzlich Geld in die Firma stecken, damit sie überlebt, das war psychologisch eine Herausforderung. Aber ich will nicht jammern, ich habe finanzielle Rücklagen gebildet und konnte die Zeit letztendlich kreativ nutzen. Viele Kollegen und Berufstätige aus der Branche haben es da viel schwerer.

Du hast die Zeit genutzt, dein erstes Album seit 20 Jahren aufzunehmen – wäre es auch ohne Corona dazu gekommen?

Dazu muss ich ausholen: So viel Zeit zu haben war wirklich etwas Besonders. Einmal die Gelegenheit zu haben, um zurückzuschauen auf das, was so alles passiert ist in den vergangenen Jahrzehnten. Ich konnte mich mit dem Gedanken gut anfreunden, mich musikalisch in die Anfangszeit meiner DJ-Arbeit zurückzuversetzen – es ging 1981 los… und so entstand die Idee zur Compilation „What I Used To Play”. Das hat viel Zeit in Anspruch genommen. Das war so cool, denn die hatte ich ja auf einmal. All diese alten Platten wieder zu hören stimulierte mich sehr und viele Erinnerungen wurden wach. Es sind die speziellen Tracks, die ich von 1981 bis1989 gespielt habe. Ich erstellte zunächst sechs Playlists mit ungefähr 120 Titeln. Electrofunk, Indie, Early House und Techno, Afrobeat, Industrial bis Balearic Sounds, da ist einiges zusammengekommen. 40 Titel davon werden in diesem Jahr auf einer exklusiven Vinyl Box auf Cocoon Recordings erscheinen. So habe ich auch mein Team beim Label bei Laune gehalten. Es war eine Fleißarbeit, die ganzen Rechte zu klären, das dauerte ein ganzes Jahr.

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Parallel habe ich angefangen zu schreiben was mir alles so durch den Kopf ging. Die alten Platten und die dazu gehörenden Geschichten und Erlebnisse sprudelten aus mir raus. Es war wie ein Reinemachen („Katharsis“ hat ja diese Bedeutung), wie lange das alles in mir schlummerte, und damit fertig bin ich auch noch lange nicht. Es liegt 40 Jahre zurück, dass ich bei meinen Eltern im Club als Discjockey angefangen habe. Also gab es doch einen guten Anlass dafür, ein Buch-Projekt anzugehen. Ich bin dann noch tiefer rein in die Vergangenheit: Fotos, Videos, Kassetten, Zeitungsartikel und vieles mehr ist mein Team mit mir durchgegangen. Es soll einen großformatigen Bildband mit Text geben, wie ein Coffee-Table-Book. Das ist alles im Jahr 2020 passiert, Anfang 2021 ging ich dann ins Studio.

… um ein Album mit neuen, eigenen Tracks aufzunehmen. Wofür steht „Catharsis“? Wovon hast du dich befreit, was hat dich geläutert?

Anfang 2021 habe ich für Cocoon Recordings eine Anfrage von Pete Tong bekommen. Mein Label feierte letztes Jahr Zwanzigjähriges und BBC Radio 1 wollte einen „Essential Mix“ mit meinen persönlichen Favoriten gemixt bekommen. Den fertigen Mix haben meine Lebensgefährtin und ich uns dann im Radio angehört, wir haben richtig aufgedreht und haben alleine zuhause in die Nacht getanzt. Den Morgen darauf beim Saftpressen verspürte ich einen Impuls und bin ich zu mir ins Gym, habe mich hingesetzt und den Text zum Titel „Feiern“ geschrieben. Das vergangene Jahr hatte sehr viel bewegt in mir. Die alte Musik, das Schreiben und die Sichtung der archivierten Fotos, dann der Abend zuvor mit der Musik und das Tanzen. Es ist was passiert, und da überkam mich die

Sehnsucht nach dem Ganzen, was mir doch so wichtig ist und mir fehlte: Menschen mit meiner Musik zum Tanzen zu bringen und mit Ihnen zu verschmelzen. Das ist für mich wie eine Befreiung und meine Passion seit Jahrzehnten. „Catharsis“ ist dann daraus erwachsen und mit meinem Produzenten Gregor Tresher habe ich intuitiv den richtigen Musiker gefragt, ob er das mit mir zusammen produzieren möchte. Es sind definitiv viele Einflüsse meiner musikalischen Vergangenheit in das Album eingeflossen. Aber auch aus meinen Reisen, die mich geprägt und immer inspiriert haben. Das Album zieht einen Bogen verschiedener Styles, aber hauptsächlich ist es dem Dancefloor gewidmet. No Dance, No Paradise.

Was wünschst du dir von der Politik, damit die Musik- und Clubszene diese Krise besser übersteht?

Definitiv mehr Hilfe für die Branche und generell mehr Gehör! Die Veranstalter haben größten Teils sehr verantwortungsvoll gehandelt und viele praxisorientierte Konzepte erarbeitet. Es kann nicht sein, dass unsere Kultur (und Kultur generell) als nicht systemrelevant eingestuft wird.

#BackToLive

Wir haben ab 26. Januar einen digitalen Space gestartet, den wir für Bands, Musiker*innen, Veranstalter*innen, Clubs und Solo-Selbstständige im Live-Musik-Geschäft eingerichtet haben. Hier können alle ihre Konzertankündigungen, -verschiebungen und -absagen kommunizieren und sich über Projekte, Jobs und besondere Veröffentlichungen informieren. Hier können auch Statements gemacht und Meinungen diskutiert werden.

Schickt eure Infos und Kommentare (maximal 700 Zeichen) zur (kostenlosen) Veröffentlichung, gern mit Foto, an: backtolive@rollingstone.de. Die BackToLive-Seite findet ihr unter rollingstone.de/backtolive

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