Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Stau im Schlaflabor
Lesen Sie hier den ersten Akt des existenzialistischen Vierpersonenstücks über Schnarchkonzerte und andere Verbrechen
Folge 231
Tanja und Roman sind „nach viel zu langer Zeit“ mal wieder bei Clara und Nils zum Essen eingeladen. Es ist spät geworden und die Gedanken elastisch. Man spricht über Popmusik.
Roman: Neulich im Supermarkt lief Adele. Keine Ahnung, welches Stück. Irgendeins von diesen Liedern, die immer und überall laufen. Und plötzlich hab ich mich dabei ertappt, dass ich gedankenverloren mitgesungen habe. Da hab ich schon gedacht: Jetzt ist es vorbei mit dir und der Popmusik, jetzt singst du schon Adele mit.
Tanja: Erstaunlich. Sonst pfeifst du ja immer nur.
Roman: Ich pfeife?
Clara: Er pfeift?
Tanja: Ja, Roman ist Pfeifer. Er merkt das selbst gar nicht. Und er pfeift immer dasselbe Stück.
Roman: Quatsch! Welches denn?
Tanja: „Joan Of Arc“ von OMD.
Tumult bricht am Tisch aus. Alle versuchen die „Joan Of Arc“-Melodie zu rekonstruieren, während sich Roman weiter vehement wehrt.
Roman: Ich war zehn, als das rauskam. Ich mag das Lied gar nicht. Das hat keinerlei Bedeutung für mich.
Clara: Denkst du. Wahrscheinlich ist die Melodie für dich unbewusst mit positiven Gefühlen beladen, die mit so einem popdiskursmäßigen Gut oder Dooffinden gar nichts zu tun haben. Musik ist ja ein Erinnerungsspeicher.
Nils: Ich kannte Roman ja schon mit zehn. Der sah damals richtig scheiße aus. Das Stück kann gar nicht mit positiven Gefühlen für ihn beladen sein.
Clara: Wart ihr auch schon auf eurem ersten Drinnenkonzert (macht überdeutliche Anführungszeichen in der Luft) „nach der Pandemie“? Beschäftigt ja grad offenbar viele.
Tanja: Ich war bei den Sternen.
Roman: Die Sterne! Das heißt: Ich war bei Die Sterne.
Tanja: Danke, Roman. Gut, dass du das geradegerückt hast.
Nils: Ich war bei The Notwist.
Roman: Ich war noch auf keinem Konzert. Letztens wollte meine Mutter, als ich zu Besuch war, mit mir zu irgendeiner Coverband in der Dorfkneipe gehen. Da hab ich gesagt: „Geht nicht, Mama, ich kann nicht allen Ernstes in ein paar Jahren, wenn das Thema aufkommt, sagen, dass mein erstes Drinnenkonzert 2021 von ’ner Coverband in meinem Heimatkaff war.“
Clara: Ist doch total süß, dass deine Mutter fragt!
Nils: Wobei Konzertbesuche mit den Eltern ja immer schwierig sind. Man landet dann ja meistens bei so komischen Konsenskünstlern, die man sich sonst nie angesehen hätte.
Clara: Ich war noch nie mit meinen Eltern auf einem Konzert.
Tanja: Ich schon. Bei Paolo Conte zum Beispiel.
Nils: Genau so was meine ich mit Konsenskünstler.
Roman: Paolo Conte ist doch kein Konsenskünstler, der ist ein Genie! Da würde ich auch ohne meine Eltern hingehen.
Tanja: Ich war mal mit meinem Vater bei Mark Knopf er, das war schlimm.
Nils: Oh Gott!
Tanja: Ich glaube, ich war die einzige Frau. Das Schlimmste war aber, dass das Publikum so unleidenschaftlich war: Da sind massenhaft Leute vor der Zugabe gegangen, um nicht in den Parkhausstau zu kommen. Wir leider nicht.
Clara: Würdet ihr zu Mark Knopfler gehen, wenn ihr die Karten bei einem Preisausschreiben gewinnen würdet?
Nils: Nein!
Clara: Gibt es Preisausschreiben eigentlich noch?
Roman: Och, zu Studienzwecken würde ich schon hingehen.
Nils: Wobei ich vieles von ihm gar nicht schlecht finde. Frühe Dire Straits, bis zur „Love Over Gold“ etwa. Aber ein Konzert von Mark Knopfler, das ist ja Schlaflabor in der Mehrzweckhalle.
Roman: Also lieber zu Mark Knopfler als mit meiner Mutter zur Coverband in der Dorfkneipe. Und „Love Over Gold“ ist super.
Tanja: Ich würde mir mit deiner Mutter alles in der Dorfkneipe angucken. Sogar Mark Knopfler. Sogar mit Parkhausstau.
Nils (plötzlich ganz enthusiastisch): Kommt, wir hören die „Love Over Gold“!
Roman: Yess!