Reeperbahn Festival 2021: Hoch- und Tiefkultur, Disco und Diskurs, Pop und Politik
Wie steht es um die Musikbranche? Beim diesjährigen Reeperbahn Festival wird über Chancen und Herausforderungen diskutiert – und tolle Acts treten auf.
Auf der Reeperbahn gibt es die Kneipe „Zur Ritze“, die keine Fenster hat, aber einen Boxring. Das sagt einiges über die Prioritäten dieser Gegend. Körperliche Nähe, Schweiß, Bewegung: essentiell; frische Luft: weniger. Nach einem Jahr, in dem wir alle die Vokabeln „Aerosole“ und „Inzidenz“ gelernt haben, hat es die, in Udo gesprochen, „geile Meile“ also nicht leicht. Alle anderen geilen Meilen der Welt auch nicht. Und auch darum wird es gehen, beim diesjährigen Reeperbahn Festival, das vom 22. bis 25. September zwar nicht in der „Ritze“ stattfindet, aber sonst so ziemlich überall, in so klangvollen Etablissements wie dem Molotow, dem Grünspan, dem Indra, dem Knust, auch der Elbphilharmonie. Hoch- und Tiefkultur, Disco und Diskurs, Pop und Politik: an vier Tagen und dutzenden Orten, auf Europas größtem Clubfestival.
Zu den vielen Highlights des Musikprogramms zählen Auftritte des österreichischen Rappers Mavi Phoenix (Donnerstag, Arte Concert Stage), der deutschen Indie-Bands Isolation Berlin (Samstag, Draußen im Grünen) und Die Höchste Eisenbahn (Samstag, St. Michaelis-Kirche), und der deutschen Popmusikerin Balbina (Freitag, Grünspan). Natürlich zeichnet sich das Festival auch dadurch aus, dass es noch wenig bekannten Acts die Gelegenheit zur Showcase gibt. Am Samstagabend wird einer von ihnen mit dem Anchor Award ausgezeichnet, dem Festivalpreis, dessen Jury dieses Jahr vom Bowie-Gitarristen Tony Visconti angeführt wird. Es lohnt sich definitiv, und liegt bei diesem Festival in der Natur der Sache, sich auch fernab der großen Namen und Bühnen aufzuhalten, aufmerksam und begeisterungswillig, um dann in drei Jahren sagen zu können: „Ich hab Albertine Sarges 2021 auf dem Reeperbahn Festival auftreten sehen, vor ungefähr fünfzig Leuten. Damals kannte die noch kein Mensch! Und heute ist sie Bundeskanzlerin!“
Neben seiner Identität als Publikumsfestival ist das Reeperbahn Festival mittlerweile zu einem bedeutenden Branchentreff avanciert, auf dem die dringenden Fragen der Industrie diskutiert werden. Wie kann der Veranstaltungssektor klimaneutral werden? Wie steht es um die Geschlechtergerechtigkeit im Musikgeschäft? Welche Einnahmequellen bieten Apps wie TikTok? Zu den Industriefiguren, die dieses Jahr auf der Konferenz zusammenkommen, zählen Lyor Cohen, Global Head of Music von YouTube/Google, und Jack Conte, Gründer und CEO der Plattform Patreon, die es Kreativen ermöglicht, direkt von ihren Fans bezahlt zu werden.
In den Tagen vor der Bundestagswahl besonders relevant: Katarina Barley, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, spricht mit drei Bundestagsanwärtern aus der Musikindustrie über das Verhältnis von Pop und Politik. Denn noch ist die Krisenzeit nicht vorbei, ein womöglich harter Winter steht bevor, und es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die geile Meile, und alle geilen Meilen, bestehen bleiben. Damit es auch zukünftig weiter so reiche, aufregende, vielfältige Veranstaltungen gibt wie das Reeperbahn Festival.