Jens Spahn sagt, er kenne die Berliner Clubszene besser, als so mancher denken mag
Jens Spahn (CDU) wird zu einer Veranstaltung in Berlin-Kreuzberg eingeladen, um mit Vertreter*innen der Club-, Kultur- und Veranstaltungsbranche zu diskutieren. Der Politiker bekommt dabei viel Unverständnis zu spüren.
Bei einer Diskussionsrunde mit Vertreter*innen der Club-, Kultur- und Veranstaltungsbranchen am Samstag (28.08.2021) in Berlin-Kreuzberg hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zwar beteuert, den Clubs in ihrer seit Corona herrschenden existenziellen Notlage zu helfen. Man müsse die Dinge nicht länger beschränken, als notwendig sei. Konkreten Forderungen jedoch, für die das Ministerium aber zeitnah aktiv eine Lösung finden könnte, schien er nicht nachgehen zu wollen. Stattdessen verwies er auf eine notwendige Impfquote, damit es erleichterte Öffnungen geben könnte – und nannte als Stichzahl die 80-Prozent-Hürde. Derzeit sind etwa 60 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland geimpft. Damit bleibt allen Beteiligten vor allem weiterhin eines: hoffen auf eine Ende der Corona-Beschränkungen.
Mit Zettel und Stift steht der Bundesminister für Gesundheit im Club Ritter Butzke auf einer kleinen Bühne des Innenhofs. Und stellt sich den Fragen jener, die gerade in diesem Jahr viel Unverständnis für Entscheidungen seines Ministeriums übrig hatten: Club- und Gastronomiebetreibern. Von Anfang an war zu erwarten, dass verschiedene Standpunkte vertreten werden – dieses Treffen ist der Versuch einer gegenseitigen Annäherung. Initiiert und moderiert hat die Begegnung der CDU-Bundestagskandidat Kevin Kratzsch. Er kandidiert mit dem Slogan „Ein Kevin hat Berlin gerade noch gefehlt“ für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg-Ost (Berlin) bei der Bundestagswahl 2021.
„Ich bin wütend bis zum Anschlag“
Es geht um viel, denn die Branche sei nach Angaben von Vertreter*innen die einzige, die seit 18 Monaten stillsteht. Dabei ist die Definition „dieser Branche“ gar nicht so einfach. Konzert- und Event-Veranstalter, Schausteller, bis hin zu Betreibern von kleinen bis riesigen Clubs in ganz Deutschland urteilen: Man fühle sich trotz der großen Spannbreite in einen Topf geworfen und nicht richtig verstanden. Dies war auch Kritikpunkt in Abschlussberichten von vergangenen Ministerpräsident*innenkonferenzen.
Pamela Schobeß, Vorstand von LiveKomm und Vorsitzende der Clubcommission Berlin, sprach über den vorbildlichen Einsatz, den Veranstalter*innen und Clubs in Berlin in den letzten Monaten geleistet hätten. Mit Pilotprojekten hatten diese immer wieder versucht, neue wegweisende Konzepte zu entwickeln, die das Infektionsrisiko auf ein Minimum reduzieren sollten. Zu Bedauern war dann, dass Verbote trotz ausreichender Sicherheitskonzepte nicht aufgehoben wurden.
Jens Spahn notiert. Das tut er oft, und es wirkt aufmerksam. Wenn es jedoch um Konkretes geht, wirkt der Gesundheitsminister nicht ganz sattelfest, so, als ob er vielleicht doch nicht so viel von dem verstehe, was die andere Seite zu verstehen geben möchte. Das zeigt sich im Gespräch mit Jens Michow, geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft (bdv) e. V. Michow merkt an, dass es zur ausreichenden Planung von Veranstaltungen, wie z. B. bundesweiten Konzerten, einheitliche Regeln geben müsse. Spahn nennt als Gegenbeispiel die Fußball-Bundesliga, bei der genau diese bereits gelten. Clubs seien hingegen, wie er sagt, meistens und soweit er wüsste, an einen Standort gebunden. Diese wären damit von verschiedenen Regelungen auf Bundesländerebene nicht betroffen. Wo aber der Unterschied sei zwischen Club-, Konzert- oder Fußballveranstaltung, oder der Unterschied zwischen einem mager gefüllten Stadion mit Fußballfans oder eben einem Haus mit Konzertbesucher*innen, klärt sich nicht.
„Das Virus ist der Spielverderber, nicht der Gesundheitsminister.“
Marcus Pohl, der aus Köln für das Gespräch angereist ist, sei über die Umstände „wütend bis zum Anschlag“. Er spricht als Stellvertreter für die Selbstständigen in der Veranstaltungswirtschaft. Die Branche entwickle sich stetig anhand der anhaltenden Einschränkungen weiter und arbeite an Lösungsvorschlägen. Zugehört würde ihnen wenig bis gar nicht.
Auch aus dem Publikum gibt es immer wieder Zwischenrufe. Es werden klare Antworten gefordert, mit denen in Zukunft geplant werden kann. Spahn entgegnet, auch er könne nicht wissen, wie die Lage sich in den nächsten Monaten entwickeln wird, niemand könne das. Bereits zu Beginn seines Auftritts hat er mehrmals versucht klarzustellen: „Das Virus ist der Spielverderber, nicht der Gesundheitsminister.“ Beim ersten Mal wird da noch gelacht.
Vor allem kommen aus den Reihen der Zuschauern Forderungen, in Zukunft eine engere Zusammenarbeit mit den Behörden zu ermöglichen. Es hängen „Hunderttausende, wenn nicht Millionen Jobs“ an diversen Branchen, die oftmals nur als „Veranstaltungsbranche“ im öffentlichen Diskurs oder politischen Diskussionen zusammengefasst werden.
Als man sich mehrmals erkundigt, ob Spahn sich denn überhaupt mit den verschiedenen Branchen auskenne, beteuert er, er war auch mal in seinen Zwanzigern und kenne die Berliner Clubszene besser, als so mancher denken mag.
Jens Spahn verweist bei vielen Fragen darauf, dass eine 80-prozentige-Impfquote derzeit nötig ist, um flächendeckend jegliche Veranstaltungen wieder zu ermöglichen. Impf-Aktionen haben u. a. auch in Berliner Clubs bereits stattgefunden. Darüberhinaus hatten kürzlich bei Testprojekten mehrere Locations der Hauptstadt in Zusammenarbeit mit der Charité trotz steigender Infektionszahlen ein Wochenende lang öffnen dürfen. Die Ergebnisse weckten Hoffnung in der Szene.
„Wir können etwas dafür tun, dass es den Menschen besser geht“
Jens Spahn räumt ein, das Ergebnis dieser unter Aufsicht geleiteten Projekte, bei denen alle Teilnehmer*innen vor- und nachher PCR-getestet wurden, noch nicht eingesehen zu haben. Er wolle dies nachholen. Man müsse die Dinge nicht länger beschränken, als notwendig sei, sagte er, und übt sich in Phrasen („da hat keiner Spaß dran“). Pamela Schobeß erzählt zudem noch über einen anderen Punkt, der bereits recht früh benannt, aber nicht weiterverfolgt wird: Es gehe auch um die Steigerung des Lebensgefühls, sagt die Vorsitzende der Clubcommission Berlin. „Wir können etwas dafür tun, dass es den Menschen besser geht.“