Arne Willander schaut fern: „Late Night Alter“ bei ZDFneo

Eine halbe Stunde gute Unterhaltung: „Late Night Alter“ bringt bei ZDFneo eine alte Show-Idee zu frischem Glanz

Ariane Alter betritt einen schäbigen Umkleideraum, in dem ein Gerippe vom Regal hängt. Eine wuchtige Krankenschwester zieht Gummihandschuhe an und greift zur Spritze. An den Wänden sieht man sie auf Fotos mit Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf. Im Kloraum sieht man einen kleinen Altar: der jesusmäßige Harald Schmidt mit ausgebreiteten Händen. „Sie sind eine Frau, sie gehören zur Risikogruppe“, sagt die Krankenschwester. „Und die auf den Fotos – wurden die auch geimpft?“ – „Die sind Männer, die sind nicht gefährdet.“ So beginnt die zweite Staffel von „Late Night Alter“, der Show von Ariane Alter.

Alter folgt auf Böhmermann

Sie hat jetzt den „Sendeplatz von Jan Böhmermann“, nachdem dessen „Magazin Royale“ ins große ZDF gewechselt ist. Alter ist eine sagenhafte Berliner Knalltüte mit dem Revolvermundwerk von Desirée Nick und Hella von Sinnen, die bei MTV, YouTube und funk, dem Onlinedienst der Öffentlich-Rechtlichen „für Leute zwischen 14 und 29“, reüssierte. Jetzt ist Alter etwas älter und hat ihr eigenes Magazin, das den Routinen der Late-Night-Show folgt. Nach dem hämisch begleiteten Scheitern von Anke Engelke (und Thomas Gottschalk) war die Late Night aufgegeben worden. „Es gibt in Deutschland eben nicht diese Stars wie in Amerika“, hieß es.

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Nun je. Und es braucht sie auch nicht. Bei „Late Night Alter“ ist der glamouröse Tarik Tesfu zu Gast, der mit „deep und deutlich“ zu Fernsehprominenz gelangte. Tesfu ist das, was ältere  Zuschauer als „Paradiesvogel“ kennen. Ariane Alter hat neben „Netflix leer gucken“ und „masturbieren“ eine weitere Betätigung gefunden: spazieren gehen! Der Schauder wird in „Pimp My Spaziergang“ zur Wonne der Isolation. Tarik Tesfu ist freilich skeptisch: Sein Schlangenmustermantel und seine weißen Schuhe vertragen sich nicht mit einem Waldspaziergang. „Ja, mit Kälte und so“, sagt Ariane Alter. Und schwups, schon stehen sie am Wegweiser und gehen auf den Lehrpfad „Männer vor unserer Zeit“.

Eine Show für Menschen ohne Fernseher?

Die hier zu erwartenden Zoten, Klischees und Witzeleien werden von Alter und Tesfu auf das Charmanteste unterlaufen. Zwar begegnen sie einem Holz hackenden „Mannosaurus Axt“, einem Muskelmann mit freiem Oberkörper – aber Tesfu erläutert geduldig („Damit es ein bisschen akademisch wird, Ari: dekonstruieren!“) die sogenannte toxische Männlichkeit: „Das, was wir als Männlichkeit konstruiert haben, hat halt oft einen toxischen Output.“ Er schlägt dann einmal ohne Nachdruck die Axt in den Holzscheit. „Tschüs, Mannosaurus!“ Auf dem Lehrpfad begegnen ihnen noch der Flug-Mannosaurus und der T-Bone-Mannosaurus am Grill. „Late Night Alter“ ist eine Late-Night-Show für Menschen, die womöglich keinen Fernseher besitzen.

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Aber der Ablauf, die Rubriken folgen der Tradition: Die Showband Pudeldame um den Schauspieler Jonas Nay spielt flockig und geschmeidig. Songtexte werden lustig umgedichtet. Im Wochenrückblick sagen Autor Tim und Redakteurin Maren die Pointen auf, die sie sich für Ariane ausgedacht hatten. Bei „Schlecht gealtert“ wird die Facebook-Gruppe „Stefani Germanotta, you will never be famous“ veralbert. Selber schlecht gealtert! Doch die Autoren um Gianna-Mariella Tripke suchen die komödiantische Erzählung, die dem schauspielerischen Talent von Ariane Alter – sie wurde von der Schauspielschule abgelehnt – entspricht. In der Weihnachtsepisode sah man die Musiker von Pudeldame in einem Kleinbus auf dem Weg zur Weihnachtsfeier im Studio – ein selbstironisches Glanzstück von Jonas Nay –, wo sich die Belegschaft anschickerte, der Kellner das Selbstgeschriebene feilbot und Alter die Jahresbilanz singen durfte.

Eine halbe Stunde sehr gute Unterhaltung

Late Night handelt immer vom Nächstgelegenen und zugleich vom Entlegenen. Das Bizarre, das David Letterman und Jay Leno etabliert haben, unterscheidet die Spätshow vom Kabarett, der Satire und der Comedy. Also nicht „heute-show“, nicht Dieter Nuhr und nicht Torsten Sträter. „Late Night Alter“ bei ZDFneo zeigt, dass die gratis gescholtenen öffentlich-rechtlichen „Jugendsender“ durchaus das haben, was Michael Schanze einst „Talentschuppen“ nannte. Allein schon wie Ariane Alter „Whaaat?!“ ruft. Es ist eine halbe Stunde sehr gute Unterhaltung.

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