Kommentar

Nach dem Sturm auf das Kapitol: Stellt Trump vor Gericht

Er hat gelogen, gehetzt, zum Staatsstreich aufgerufen: Ein Prozess gegen Donald Trump, den regierenden Brandstifter und gescheiterten Putschisten, wäre die richtige Konsequenz. Und eine späte Genugtuung für Neil Young.

Im Sommer des vergangenen Jahres nutzte Donald Trump einen Song von Neil Young für seinen Wahlkampf. „Rockin‘ In The Free World“ schien ein faustballender Slogan, wie gemacht für seine Kampagne. Und natürlich ein Missverständnis. Neil Young legte bei einem New Yorker Gericht Beschwerde wegen Urheberrechtsverletzung ein (und zog sie zurück, als Trump abgewählt war).

Der Song kann nichts dafür, dass sich Trump-Fanatics von ihm angesprochen fühlen. Dass sie sich in der Zeile „There’s a lot of people sayin‘ we’d better off dead/ Don’t feel like Satan, but I am to them“ erkennen, dass die Beschreibung sozialer Missstände auch ihre Wahrnehmung ist. Die Aufforderung, nicht müde zu werden die freie Welt zu rocken, haben Trumps Polit-Hooligans am 6. Januar vor und im Kapitol in Washington auf groteske Art und bis zuletzt angeheizt vom Urheberrechtsverletzer Trump in eine Attacke gegen die Freiheit umgedeutet.

Jake Angeli und weitere Trump-Supporter haben das Kapitol gestürmt

Es sind Bilder, die um die Welt gehen und sich im amerikanischen Gedächtnis einbrennen. Menschen, die in Tarnanzügen und mit roten „Make America Great Again“-Basecaps durch die eingeschlagenen Fenster ins Kapitol eindringen, johlend, schreiend, lachend. Menschen, in ihrer überwältigenden Mehrzahl weiße Männer, die Konföderierten-Flaggen schwenken und Trump-als-Rambo-Plakate, und die auf die Ausrüstung flüchtender Kameraleute einschlagen. Ein entfesselter Mob. Manche in Camouflage, andere in sportiver Freizeitkleidung oder wie für einen diabolischen Karneval kostümiert – der berüchtigte QAnon-Schamane Jake Angeli trug eine Trapper-Fellmütze mit Hörnern über dem rot-weiß geschminken Gesicht. Wer die Bilder der Randale genau betrachtet, findet auch irritierende popkulturelle Zeichen: Von Metallica häufig benutzte, der Amerikanischen Revolution entnommene „Don’t Tread On Me“-Gadsden-Flaggen, ein Protestierer mit Bob-Marley-Rucksack. Verirrte und irritierende Verweise, missbraucht wie Neil Youngs Song.

Drinnen im Kapitol, auf der anderen Seite: Zivile und uniformierte Polizisten, die mit gezogenen Waffen im Saal des Repräsentantenhauses auf eindringende Trumpisten zielen, während sich Parlamentarier hinter Sitzmöbeln ducken. Es sind staatstreichartige Szenen. Die Bilder erinnern an den Militärputsch in Argentinien vor 42 Jahren. Oder den Putschversuch in Spanien 1981.

Sebastian Zabel, Chefredakteur ROLLING STONE: „Wie viele andere Menschen saß ich vor dem Fernseher und sah Bilder, die in die Geschichte eingehen. Bilder eines versuchten Putsches in Washington.“

Sie erinnern aber auch an die versuchte Stürmung des Reichstags in Berlin, als im Sommer vergangenen Jahres sogenannte Querdenker und Coronaleugner Polizeisperren durchbrachen und einige von ihnen, eingeladen nicht von Trump, sondern der AfD, Bundestagsabgeordnete anpöbelten. Hier wehten Reichsflaggen statt die der Konföderierten.

Die Ursuppe ist die gleiche: Ein Gebräu aus diffuser Unzufriedenheit, Lügen, Verschwörungsfantasien, Demokratiemüdigkeit, Autoritätssehnsucht, zusammengerührt von rechten Populisten, ausgelöffelt von einer inhomogenen Gruppe von Menschen, die sich von „der Politik“ und „den Medien“ belogen und betrogen fühlen. Eine Parallelgesellschaft, die „alternative Fakten“ schafft und an sie glaubt. Laut einer Umfrage in den USA denken noch immer knapp 45 Prozent der republikanischen Wähler, dass Trump und ihnen die Wahl „gestohlen“ wurde. Allen Nachzählungen und Gerichtsentscheiden zum Trotz.

„Stand back and stand by“, bat er die „Proud Boys“. Das taten sie. Bis zum Sturm auf das Kapitol

Kein Wunder: Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten hat seit seiner Amtsübernahme Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker umworben, sich als Autokrat geriert und die Demokratie verachtet. Er gab sich als einer von ihnen, ein zu Macht gekommener Underdog (was er nie war), der das Land von einer korrupten Elite zurückerobert. Der Anti-Establishment-Typ im Golf-Cart. Ein Präsident, der von Wahlbetrug fantasierte und andere zum Wahlbetrug aufforderte, der Hass kultivierte und die Wut schürte. „Stand back and stand by“, bat er die rechtsextremen „Proud Boys“. Das taten sie. Bis zum Sturm auf das Kapitol.

Trump und seine Vasallen haben die Gesellschaft gespalten und sie buchstäblich in schwarz und weiß aufgeteilt. Es ist selbsterklärend, warum gegen Black-Lives-Matter-Demonstranten mit aller Härte vorgegangen wurde, während man die Trump-Meute auf die Treppen des Kapitols steigen ließ. Oder warum die Nationalgarde gegen Anti-Trump-Demonstranten eingesetzt wurde, nicht aber, um das Kapitol vor den Demokratiefeinden zu schützen.

Trump ist abgewählt und muss gehen. Der Trumpismus wird bleiben. Der Populismus wird bleiben.

Was zu tun bleibt, außer die Scherben im Kapitol aufzukehren, ist das, was Neil Young versucht hat: Donald Trump vor Gericht stellen. Ein fairer, rechtstaatlicher Prozess. Wegen versuchtem Staatsstreich – und Urheberrechtsverletzung.

SAUL LOEB AFP via Getty Images
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