Joe Strummer von The Clash: Dies ist die Todesursache der Punk-Ikone
Joe Strummer war eine der prägendsten Figuren des Punk.
England in den Siebzigern: Das Empire liegt längst in Scherben, die De-Industrialisierung der Mutterinsel schreitet munter voran. Gruben machen dicht, Fabriken werden geschlossen, man hangelt sich von Streik zu Streik, und das ehemalige Qualitätssiegel „Made in England“ wird mittlerweile eher als Drohung empfunden. Der Londoner Stadtteil Brixton ist eine jener Gegenden, die man besonders gerne verlässt. Wenn man es sich leisten kann. Mick Jones ist dort zuhause, Kunststudent und Gitarrist der Band London SS. Paul Simonon stammt ebenfalls aus dem Problembezirk im Süden der Stadt, auch er besucht die Kunsthochschule. Einen Bass hat er noch nie in Händen gehalten, was ihn im Sommer 1976 jedoch nicht daran hindert, mit Jones eine neue Band zu gründen: The Clash. Gitarrist Keith Levene ist ebenfalls dabei, verschwindet aber recht bald und taucht erst später wieder bei John Lydons Band Public Image Ltd.auf.
Ersatz ist Joe Strummer, Diplomatensohn, Hausbesetzer, ehemaliger Straßenmusiker und Gitarrist der Band The 101ers. Als Schlagzeuger wird Terry Chimes angeheuert. Bernard Rhodes, ein Kumpel von Sex-Pistols-Erfinder Malcolm McLaren, besorgt der Band einen 200.000-Dollar-Vertrag mit CBS. Das Debütalbum „The Clash“, aufgenommen an drei Wochenenden, erscheint im April 1977. Nicky „Topper“ Headon ersetzt Schlagzeuger Chimes, das „klassische“ Clash-Line-Up steht. Punk für denkende Menschen, textlich kämpferisch, musikalisch undogmatisch und stets von überbordender Energie. Dass Headon aufgrund seiner Heroinsucht abdanken muss und durch Ur-Drummer Chimes (und später Pete Howard) ersetzt wird, ist noch zu verschmerzen: „Combat Rock“ (1982) hält den Qualitätsstandard weiterhin hoch.
„London Calling“
In London standen Arbeitslosigkeit und eine explodierende Drogenszene auf der Tagesordnung, als 1979 „London Calling“ entstand. Die 19 Songs des Albums sind Ausdruck dieser apokalyptischen Stimmung – und doch geprägt von dem unerschütterlichen Glauben, dass Rock’n’Roll die dunklen Mächte schon in ihre Schranken weisen wird.
Vom legendären 70er-Studio-Madman Guy Stevens produziert, schlingert und schleudert das dritte Clash-Album durch desillusionierten Punk („London Calling“), randalierenden Ska („Wrong ’em Boyo“) und resignierten Konsumüberdruss („Lost In The Supermarket“). Die ökonomische Ausnahmesituation prägte auch die Produktion des Albums selbst: Die Band war hoch verschuldet und lieferte sich mit ihrer Plattenfirma einen öffentlichen Schlagabtausch.
Joe Strummers Erinnerungen
Joe Strummer und Mick Jones schrieben die Songs in der Wohnung von Jones Großmutter. „Nachdem er erst einmal gelernt hatte, auf der Schreibmaschine zu tippen, flossen die Texte aus Joe nur so heraus“, so Jones. „Auf dieser Basis konnte ich dann ein paar Takte Musik raushauen.“ Anschließend verbrachten Strummer, Jones, Bassist Paul Simonon und Drummer Topper Headon fast drei Monate damit, das Material in einer Garage im Londoner Stadtteil Pimlico einzustudieren und erste Demos aufzunehmen – „mit einer einzigen Lampe und einem versifften Teppich an der Wand als Schalldämmung“, wie Strummer sich 1989 erinnerte.
Amazon„Wir fühlten, dass wir einen Abhang hinunterglitten und krallten uns mit den Fingern fest.“ Wenn sich die Inspiration nicht einstellen wollte, war Guy Stevens zur Stelle und warf mit Stühlen um sich, weil er das Gefühl hatte, dass der Track noch besser sein konnte.
Das Ende von The Clash
Als 1983 Strummer und Simonon Mick Jones aufgrund „musikalischer Differenzen“ nahe legen, die Band zu verlassen, markiert das jedoch den Anfang vom Ende. Eigentlicher Grund Jones hatte sich dagegen ausgesprochen, den 1978 gefeuerten Manager Rhodes erneut einzustellen. Rhodes, an dessen Professionalität berechtigte Zweifel bestanden, hatte zwischenzeitig sogar gegen die Band prozessiert.
Nach Jones Rausschmiss werden die Gitarristen Vince White und Nick Sheppard angeheuert, das Album „Cut The Crap“ (1985) ist zwar ein kommerzieller Erfolg, wird jedoch von der Kritik mehrheitlich zerrissen. Ende 1985 geben Strummer und Simonon die Auflösung der Band bekannt.
Mick Jones feiert mit seinem neuen Projekt Big Audio Dynamite durchschnittliche Erfolge, Paul Simonon hat mit Havana 3 a.m. allerdings weniger Glück. „Topper“ Headon veröffentlicht 1986 ein Soloalbum, wird jedoch kurz darauf des Drogenhandels schuldig gesprochen und wandert für 15 Monate in den Knast. Weiterhin aktiv ist auch Joe Strummer, zunächst als Solist, später als Interims-Sänger bei den Pogues und Frontmann seiner neuen Band Joe Strummer & The Mescaleros.
Woran starb Joe Strummer?
Nichts scheint zu Beginn des neuen Jahrtausends darauf hinzudeuten, dass Joe Strummer bald die Bühne verlassen würde. Er ist viel unterwegs, tourt in Europa und außerhalb. Längst ist er in der A-Liga des Musikadels angelangt. Mit Johnny Cash covert er Marleys „Redemption Song“ und mit Bono schreibt er „46664“, ein Song für Nelson Mandela und seinem Kampf gegen AIDS in Südafrika. Anfang Dezember spielt Joe Strummer sein letztes Konzert. Eine kleine, inoffizielle Clubshow in seinem Heimatort im britischen Somerset. Am 22. Dezember erliegt der ehemalige Frontmann von The Clash einem vollkommen unerwarteten Herzinfarkt in seinem Haus. Ein zu Lebzeiten nicht diagnostizierter Herzfehler ist die Ursache, die seine Familie und Millionen Fans fassungslos zurück lassen.
Joe Strummer und The Clash als Satiriker
„In der Musik von The Clash liegt eine Wärme, die meiner Meinung nach Teil ihrer großen Anziehungskraft ist“, sagte Chris Salewicz, Autor einer 600 Seiten starken Biografie mit dem Titel „Redemption Song: The Ballad of Joe Strummer“.
„Es gibt tatsächlich großartige Melodien, und sie haben eine große Unmittelbarkeit, kombiniert mit Joes Texten“, so Salewicz weiter. „Die Leute sprechen über The Clash als politische Band. … Ich sah sie als eine satirische Band. Ihre Funktion war wirklich so etwas, wie es die Untergrundpresse früher war, um auf Institutionen und Autorität hinzuweisen. Um sich über sie lustig zu machen.“
In einem Interview Dokumentarfilm „Westway to the World“ kurz vor seinem Tod sagte Strummer fast dasselbe. „Politisch sah es zu dieser Zeit mit Thatcher in Großbritannien und Reagan im Weißen Haus für die Linke nicht allzu gut aus. Und wir waren immer auf der linken Seite. Trotzdem wir hatten wir keine Lösung für die Probleme der Welt. Ich meine, wir versuchten, auf sozialistische Weise in eine Zukunft hineinzuwachsen, in der die Welt vielleicht weniger elendig ist als jetzt.“
Die Ablehnung von Autorität
„Autorität gründet sich angeblich auf Weisheit“, sagte Strummer in „Westway to the World. „Aber ich konnte schon sehr früh erkennen, dass Autorität nur ein System der Kontrolle ist. Und sie hatte keine inhärente Weisheit. Mir wurde schnell klar, dass man entweder zu einer Macht oder dass man zerschlagen wird.“ Joe Strummer wurde manchmal als Möchtegern-Unterklasse kritisiert, doch Chris Salewicz ist überzeugt, dass er ehrlich zu seinen Überzeugungen fand, nachdem er die Kunstschule abgebrochen hatte.
„Er hat nur das erste Jahr gemacht, und dann wurde er zum Hausbesetzer. Ich glaube, dadurch werden die Leute wirklich gleich“, sagte Salewicz. „Zu dieser Zeit erhielt er von Veteranen der Hausbesetzerszene eine linke Indoktrination, doch ich denke, es ist eine sehr demokratische Gesellschaft. Alle sind wirklich gleich … denn sie haben es wirklich schwer. Sie werden auf den wirklichen Grund der Gesellschaft reduziert.“
Die erste Single von The Clash, „White Riot“ von 1977, war ein Aufruf an weiße Jugendliche, sich zum Protest zu erheben. So wie es schwarze Jugendliche in Großbritannien nach Joe Strummers Ansicht bereits taten. Strummers soziales Bewusstsein spornt auch heute noch Musiker an, darunter Bruce Springsteen, Green Day, U2 und The Wallflowers. Im Song „Constructive Summer“ von 2008 rufen The Hold Steady ihren Helden aus: „Raise a toast to Saint Joe Strummer!/I think he might have been our only decent teacher.“
The Edge von U2 über seine Liebe zu Joe Strummer und The Clash
Tausende Garagenbands in ganz Irland und Großbritannien sind nur wegen The Clash entstanden. Sie live zu sehen war für U2 und viele andere aus unserer Generation ein Ereignis, das unser Leben verändert hat. Man kann’s nicht anders beschreiben.
Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich The Clash das erste Mal sah. Das war im Oktober 1977 in Dublin. Sie tourten mit ihrem ersten Album und spielten in einem 1200 Leute fassenden Saal im Trinity College. Dublin hatte so was noch nie erlebt Der Auftritt schlug mächtig Wellen, und ich treffe heute noch Leute – DJs oder Musiker –, die im Musikbusiness sind, weil sie dieses Konzert gesehen haben.
U2 waren damals noch eine ganz junge Band. Und völlig von den Socken. Wir fragten uns: Warum machen wir Musik?
Sie zeigten uns, was man brauchte
Worum zum Teufel geht’s dabei überhaupt? Die Mitglieder von The Clash waren ja wahrlich keine Weltklassemusiker, aber Krach schlagen, das konnten sie, das war unüberhörbar – die pure, körperliche Energie, die Wut, die Überzeugung. Sie waren in jeder Hinsicht ungehobelt, und sie machten keinen Hehl draus, dass es ihnen um viel mehr ging als um präzises Spiel und sauber gestimmte Instrumente. Das war nicht nur Entertainment. Es ging um Leben und Tod. Durch sie konnten auch wir uns ernst nehmen. Ich glaube, wir wären kaum die Band geworden, die wir sind, hätten wir nicht dieses Konzert und diese Band erlebt. Sie zeigten uns, was man brauchte. Und es ging allein ums Herz.
Die sozialen und politischen Themen der Songs waren sehr inspirierend – für U2 jedenfalls. Es war ein Weckruf: Macht euch schlau, regt euch auf, werdet politisch und dann sprecht es aus, und zwar laut. Wobei interessant ist, dass die Clash-Mitglieder total unterschiedliche Typen waren. Paul Simonon kam von der Kunstschule und Joe Strummer aus einem Diplomatenhaushalt. Aber man spürte deutlich, dass sie Waffenbrüder waren. Sie waren sich total einig, sie schimpften über Ungerechtigkeit, auf ein System, das sie einfach gründlich satt hatten. Und von dem sie fanden, es müsse weg.
Ein Jammer, dass es The Clash nicht länger gab. Ihre Musik ist zeitlos. Es steckt so viel Kampfgeist drin, so viel Seele, dass sie einfach nicht altert. Man hört sie heute noch in Green Day und No Doubt, Nirvana und den Pixies, und natürlich in U2. Bei The Clash hatte man nie das Gefühl, dass sie mal den Gang rausnahmen. Sie meinten es ernst. Das hört man.