Fotograf Jeff Katz im Interview: „Ich war die Linse, die das Image auffing, das Prince der Welt mitteilen wollte“
Zwischen 1985 und 1996 war Jeff Katz der Hausfotograf eines Genies. Ein Gespräch über Prince in Südfrankreich, Prince im Wilden Westen und Prince als Rollschuh-fahrender Batman.
Ein Interview vom September 2020.
Die berühmtesten Bilder, die wir von Prince kennen, stammen von ihm: Jeff Katz. Der amerikanische Fotograf lichtete den Superstar zwischen 1985 und 1996 ab. Darunter fielen Alben-Cover wie „Sign O‘ The Times“ und „Parade“, Konzertfotografien als auch intime Nahaufnahmen, die Prince als Menschen zeigen, wie man ihn noch nie gesehen hatte.
Mr. Katz, welches Foto-Shooting mit Prince war ihr liebstes?
Das Besondere an Prince war seine Unberechenbarkeit. Er präsentierte buchstäblich jedes Jahr ein neues Konzept, einen neuen Look, eine neue Frisur, neue Farben, neue Kostüme. Wenn ich ihn in Minneapolis besuchte, konnte ich nie wissen, wie er aussehen würde. Es entstand das fast schon paradoxe Gefühl, jedesmal denselben, aber dann doch wieder einen brandneuen Künstler abzulichten. Aber mein liebstes Shooting war vielleicht sogar mein erstes mit ihm: Als ich ihn 1985 in Südfrankreich besuchte, in Nizza, wo er „Under The Cherrymoon“ drehte und ich ihn für das Soundtrack-Album „Parade“ ablichtete. Das Bild, was zum Cover wurde, entstand bei meiner ersten 1:1-Session mit ihm. Es war damals auch der Anfang meiner Karriere. Ich wusste damals nicht, dass dieses Bild die Plattenhülle zieren würde. Aber das war immer so: Es gab nie die Ansage, „lasst uns das Albumcover machen!“. Ich würde jedes Mal davon überrascht, für welches Motiv Prince sich entscheiden würde.
Wie kamen Sie zu dem Job?
Die „Parade“-Session fand im September 1985 statt. Ich begann meine Karriere 1982 und fotografierte recht bald für Warner Brothers und die großen Spielstätten in Los Angeles, wie das Hollywood Rose Bowl. Prince‘ Plattenfirma Paisley Park brachte im Frühjahr das Debütalbum der Band The Family heraus. Prince wollte in der Fotogestaltung für dieses Projekt involviert sein – Warner bat mich, ihn zu unterstützen, die Bilder für das Booklet zu schießen. Prince schien das zu gefallen. Kurz darauf kam der Anruf, dass ich nach Frankreich fliegen solle. Er wollte mich als seinen persönlichen Fotografen haben. Dieser Wunsch wurde wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt geäußert, als ich noch kein einziges Bild von ihm selbst gemacht hatte.
War es eine Herausforderung, das „Sign O‘ The Times“-Cover zu schießen, das im Gegensatz zu „Parade“ nicht nur eine Person, sondern eine Person mit zusätzlichen Wimmelbild-Elementen zeigte?
Nein, gar nicht. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass es damals noch kein Photoshop gab. Alles musste aufgebaut und zurechtgerückt werden. Wir konnten nichts digital verändern oder neu komponieren. Jedes Element ist echt. Das meiste schafften wir aus Prince‘ Haus und seinem Aufnahmestudio rüber. Immer mehr, immer mehr. Das Shooting fand im Dinner Theatre in Chanhassen statt, einem Veranstaltungssaal. Das „Parade“-Cover bestach durch starke Schwarz-Weiß-Kontraste. Es sah auch ein wenig aus wie Old Hollywood. „Sign O‘ The Times“ war psychedelisch.Es spiegelte die Stilvielfalt und die Dynamik der Musik wider. Irgendwann stellte Prince sich vor meine Kamera und ich drückte ab. Fertig war das Cover.
Hat er gesagt, warum er nur die Hälfte seines Gesichts auf dem Cover zeigen wollte, und das nur verschwommen?
Solche Konversationen führten wir nie. Es gab auch keine Vorabinformationen zu den Produktionen. Gleiches beim „Sign O‘ The Times“-Tourbuch. Prince teilte nicht mit, welche Bilder er wofür würde verwenden wollen. Ich dachte darüber aber auch nie nach. Was nicht hieß, dass ich nicht Vorschläge machte zumindest dahingehend, welche Aufnahmen mir gefielen. Sobald ich ankam, ging das Nonstop-Shooting los, mit ihm allein oder mit seiner Band.
Beim „Sign O‘ The Times“-Single-Cover dachten einige Fans, darauf sei Prince abgebildet – obwohl die Person, die ihr Gesicht mit einem Herz verdeckt, eindeutig weiblich ist. Wie erinnern Sie sich an die Aufnahmen?
Nach „Parade“ und der Tour war erstmal Pause. Die Kino-Weltpremiere von „Under The Cherrymoon“ war kurios: Die amerikanische Premierenstadt wurde tatsächlich ausgelost und Prince und seine Filmcrew würden dort vorbeischauen.
Das Los fiel auf ein kleines Nest im Mittleren Westen, Sheridan.
Ein kleines Nest im Wilden, Wilden Westen! Eine Cowboystadt in Wyoming. Daran erkannte man auch, dass diese Auslosung kein Fake war. Das Nest hätte abgelegener nicht sein können. Zu dieser Zeit hatte ich schon viele Popstars und Schauspieler vor der Kamera. Ende des Jahres rief Prince an und fragte: Kannst Du wiederkommen, die nächste Session steht an! Im Januar 1987 war sein Paisley-Park-Komplex noch mitten im Bau, wir nahmen die Fotos in seiner Lagerhalle in der Nähe des Paisley Park auf, dort fanden auch die Rehearsals für die „Sign O‘ The Times“-Tour statt. Der Raum, wo die Aufnahmen zur Single stattfanden, war leer. Ich lichtete Cat ab, den Spiegel und Prince.
„Es war ein magischer Vorgang, sich gemeinsam die Fotos anzusehen“
Hatte sich ihr Verhältnis zueinander mit den Jahren verändert?
Prince hat mir wirklich vertraut. Ich verstand ihn schnell. Er mochte es nicht, wenn zu viele Fragen gestellt wurden. Man musste versuchen, seine Gedanken zu lesen. Es ist nicht so, dass er wenig redete. Aber es war wichtig zu antizipieren, wie er fotografiert werden wollte. Unabhängig davon war er offen und experimentell veranlagt. Erst mit der Digitalfotografie wurde es möglich, Bilder sofort zu begutachten. Mit Film ging das natürlich nicht. Das war ein magischer Vorgang, sich gemeinsam die Fotos anzusehen. Mit den Jahren verstand ich mich als Teil seines Konzepts. Und die meiste Zeit waren wir zu zweit. Keine Assistenten, die ebenfalls Vorschläge einbringen würden.
Das „Lovesexy“-Albumcover wiederum stammte von Jean-Baptiste Mondino.
Ja, meine Bilder landeten aber im Tour-Buch. Ich setzte auf Pop-Art-Farben, einen Mix verschiedener Stile. Das „Lovesexy“-Konzept der Freizügigkeit spiegelt sich in diesem Buch wider.
Darin waren auch die ersten Bilder vom Paisley Park enthalten – Sie lichteten Prince und die Band vor dem kalten, kantigen Gebäude ab.
Ich hatte Prince schon lange nicht mehr draußen fotografiert. Das letzte Mal davor könnte in Südfrankreich gewesen sein, für „Under The Cherrymoon“. „Sign O‘ The Times“ enthielt nur Studiofotografie.
Im Tour-Buch sind auch jene Bilder zu sehen, die ihn – vielleicht das letzte Mal – beim Crossdressing zeigen, also auch mit weiblichem Touch.
Die Fotos, auf denen er dazu eine Polizeimütze trägt, ja. Aber Sie kennen sicher auch die darin enthaltenen Aufnahmen, nahezu ungeschminkt und mit Fünftagebart. Das waren die ersten Bilder. Dann gab’s eine Pause, und nach einigen Stunden kehrte Prince zurück: rasiert. Und sah aus wie ein ganz eigener, neuer Mensch, im Crossdressing. Ich war darauf nicht vorbereitet. Aber genau darauf kam es an: keine Fragen stellen, „Hey, wie kamst Du denn darauf?“. Sondern gleich loslegen.
Wie brachten Prince und Sie sich in Stimmung?
Es gab Musik am Set. Oft seine eigene. Das Album, an dem er arbeitete. Aber durchaus auch die Songs anderer Künstler.
Hat er sich für technische Aspekte des Fotografierens interessiert?
Nie für das „Wie“ oder „Warum“. Er trug seinen jährlich rundum erneuerten Look ja nicht nur für die Kamera – das war sein Lebensstil. Was für uns Bühnenkostüme waren, das war für ihn Alltagskleidung. Das hatte auch für mich den Vorteil, dass ich mich länger mit seinem Styling vertraut machen konnte.
Mein heimliches Lieblingsfoto stammt von 1989: Prince im „Batman“-Look und auf Rollschuhen.
Ja, die„Batman“-Phase. Das Bild entstand auf dem Tennisplatz bei seinem Haus in Chanhassen, nahe des Paisley Park. Ich wartete auf ihn. Dann kam er um die Ecke gebraust. Nun, auch da hieß es, keine Fragen stellen – sondern mit dem Knipsen anfangen. Sie lachen, aber für mich war das einfach aufregend. Schauen Sie, die meisten Künstler sind Bühnenpersönlichkeiten. Im wahren Leben sind sie es nicht. Prince fiel alles zu. Er wusste, wie man sich visuell dynamisch darstellt, und das 24/7.
In Ihre gemeinsame Zeit fielen die wohl erotischsten Aufnahmen von Prince – später würde er, wohl auch, weil er wie wir alle älter werden, weniger anzügliche Fotos veröffentlichen. Glauben Sie, dass Prince ganz andere Bilder von sich hätte machen lassen, hätte nicht Sie, sondern eine Frau ihn abgelichtet?
Nein. So betrachtete Prince die Welt nicht. Er war offen für alles. Er stellte sich nicht anders dar, nur weil ich ein Mann war. Er tat, was er tat. Geschlechtszugehörigkeit war ihm egal. Schauen Sie, als Live-Musiker hat Prince doch auch nicht unterschieden, ob er für Männer oder Frauen auftritt. Prince machte die Bilder nicht für mich. Ich war nur die Linse, die das Image auffing, das er der Welt mitteilen wollte.