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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Highlights of Lo-Fi

Unser Pop-Tagebuch-Kolumnist wagt einen Ausritt in die Wunderwelt of Homerecording.

Folge 196

In der vor allem bei Jugendlichen beliebten Pop Tagebuch-Sub-Serie „Anlassloses Geschreibsel“ soll es heute um mehr oder weniger vergessene Perlen des Homerecording gehen. Um Musik also, die nicht in professionellen Studios, sondern unter der Prämisse der vorsätzlichen technischen Tiefstapelei, meist unter Verwendung von 4- oder 8-Spur-Rekordern entstand.

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In den Neunzigern war solcherart produzierte Musik ja durchaus mal in Mode und zeitigte einige der besten Platten des Jahrzehnts: „Alien Lanes“ von Guided By Voices, Smogs „Julius Caesar“, Becks „Mellow Gold“ oder „In An Aeroplane Over The Sea“ von Neutral Milk Hotel. Die folgenden Beispiele sind nicht ganz so bekannt, besitzen manchmal auch nicht die Kohärenz der genannten Werke, dürfte Freundinnen und Freunden analoger Schlafzimmer-Produktionen aber das ein oder andere Zungenschnalzen entlocken.

R. Stevie Moore – „Teenage Spectacular“ (1987)

Der heute 67-jährige amerikanische Multiinstrumentalist R. Stevie Moore gilt als einer der Pioniere des DIY, als „godfather of home recording“. Ariel Pink ist dem Vernehmen nach großer Moore-Fan, man kann das auch hören.

Nachdem Moore Ende der Sechziger Jahre von seinen Eltern ein 4-Spur-Gerät bekommen hatte, war es um den Beatles-Fan aus Madison, Tennessee geschehen. Rund 400 (größtenteils selbstvertriebene) Alben soll er seit 1968 rausgehauen haben, die erste reguläre Veröffentlichung stellt das 1976er-Album „Phonography“ dar.

Ich bin, ehrlich gesagt, kein allzu besessener Moore-Fan – und das hat nur am Rande damit zu tun, dass er, als ich ihn vor Jahren live sah, eine Jogginghose trug, die der Big Lebowski aus ästhetischen Gründen längst in die Altkleidersammlung gestopft hätte. Wenn man so will, handelt es sich bei Moore um eine Art Lo-Fi-Zappa, der a) prinzipiell alles spielen kann (und es auch tut) und b) seine musikalischen Darbietungen häufig mit einem Freak-Humor versieht, der einem durchaus auf den Zeiger gehen kann.

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Die vorliegende Platte ist insofern besonders, als sie in einem semi-professionellen Studio aufgenommen wurde und einige recht zugängliche Songs enthält, unter denen die an Westentaschenversionen von McCartneys „RAM“-Songs gemahnenden „Hobbies Galore“ und „Blues For Cathy Taylor“ herausragen. Auch Moores berühmtester Song „Play Myself Some Music“ findet sich hier. Es bleibt das beste Lied der Platte, die leider unter einem allzu zerebralen Habitus leidet und zusätzlich von einem grauenhaften Plastik-Drumsound kompromittiert wird. „Teenage Spectacular“ klingt häufig wie die Lehrstunde eines bekifften Pop-Professors, der sich selbst ganz irre ulkig findet: manchmal unterhaltsam, oft schlicht enervierend.

Ich vergebe 6 C-60-Tapes.

John Davis – „Blue Mountains“ (1997)

Vom Fan zum musikalischen Partner: John Davis, der in grauer Vorzeit auch mal bei den Palace Brothers tätig war, schickte Anfang der Neunziger dem von ihm bewunderten Sebadoh-Sänger Lou Barlow einen Stapel Aufnahmen daheim produzierter Songs zu. Barlow war derart angetan von dem Material, dass er gemeinsam mit Davis das Sebadoh-Nebenprojekt The Folk Implosion ins Leben rief, dessen claim to fame der Song „Natural One“ (zu finden auf dem Soundtrack zu „Kids“ ) aus dem Jahr 1995 war. Während einer Pause der Band produzierte Davis 1997 sein erstes Studioalbum „Blue Mountains“, eine ebenso verhuschte wie verrauschte Wunderplatte, die stellenweise an einen Besuch unter Syd Barretts Fliegenpilz gemahnt.

Man nehme etwa das tolle Stück „Tethers“: ein verpeilt intoniertes Kinder- bzw. Kunstlied mit absteigenden Harmonien und vernehmbaren Tape-Ein- und Ausschaltgeräuschen, das an die lichteren Momente in Barretts Schaffen erinnert. Auch toll ist „Jeep Cherokee“, wo Davis klingt, als habe Donovan mitten in einer Country-Folk-Phase eine neue Zahnspange bekommen. Andernorts kommt auch schon mal die Incredible String Band auf einem Flickenteppich vorbeigeflogen.

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2004 lösten sich Folk Implosion auf. Während sich Lou Barlow wieder voll auf Dinosaur Jr. und Sebadoh konzentrierte, nahm Davis eine Lehrtätigkeit an, die bis heute sein Auskommen sichert. Soweit es seine Zeit zulässt, macht er immer noch Musik: Im letzten Sommer veröffentlichte er – nach dem 2017er Album „El Pulpo“ – das rein instrumentale Werk „Gnawing On the Bone“, das via Bandcamp zu erstehen ist. „Blue Mountains“, seine beste Platte, ist rotäugig dahergeklampfter Slacker-Folk und sollte Fans des frühen Devendra Banhart dazu animieren, mal wieder die lustige Körperfarbe rauszukramen und sich nach Herzenslust damit zu bepinseln.

Ich vergebe 8 Rauschunterdrückungsknöpfe.

Jack Logan – „Bulk“ (1994)

„Fuck everything you know“. So lauten die ersten Zeilen, die Jack Logan aus Athens/Georgia auf seinem Opus Magnum „Bulk“ zur Schrammelgitarre vorträgt. Eine wie auch immer geartete Karriere war nie vorgesehen: Logan war als Handwerker und Comiczeichner tätig und nahm zwischen 1985 und 1993 um die 400 Stücke mit Unterstützung wechselnder befreundeter Begleitmusiker zuhause auf; Sorgen um künstlerische Limitierungen plagten ihn dabei wenig. Irgendwann stolperte Peter Buck über die Aufnahmen und empfahl sie dem ehemaligen Replacements-Manager Peter Jesperson, der daraus das vorliegende Doppel-Album – 42 Songs auf zwei CDs – destillierte. Das Ergebnis ist ein immer wieder faszinierende Off-Americana-Meisterwerk.

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Schon in besagtem Auftaktsong meint man dem Geist des tragischen Moby Grape-Gitarristen Skip Spence zu begegnen, und es wird klar: This is American Music der ebenso humorfähigen wie dunklen Art. Das folgende „Shrunken Head“ könnte auch ein Song von The Silos oder den Vulgar Boatmen sein; „Love, not Lunch“ wiederum kündet davon, wie Dylan und The Band geklungen hätten, wenn die „Basement Tapes“ in den frühen 90ern entstanden wären.

Zwischendurch klingt „Escape Clause“ mit seiner grandios bescheuerten Fuzz-Gitarre fast wie die 39 Clocks. Auch Neil Youngs „On the Beach“ wird nachempfunden. Die erstaunlichsten Songs aber sind „15 Years in Indiana“, ein 2-Akkord-Wunder, das ein Kellnerinnenschicksal erzählt, und das unheimliche „The Parishoners“.

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Auch Jack Logan macht immer noch Musik, unter Vermeidung nennenswerten kommerziellen Erfolges versteht sich. „Bulk“, dieser unbehauene Klumpen amerikanischer Songkunst, bleibt sein Meisterwerk.

10 Pan-Regler dafür!

Mehr Lo-Fi vielleicht demnächst. Jetzt muß ich erst einmal als Gegengift irgendeine Hugh Padgham-Produktion aus den 80ern hören

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