Keanu Reeves im Interview: „Die Emotionen sind groß und die Einsätze hoch“
ROLLING STONE im Gespräch mit „John Wick“-Hauptdarsteller Keanu Reeves über „Matrix“, Martial Arts und Messerschneeballschlachten.
Aus dem Mann im schwarzen Anzug wird man einfach nicht schlau: Keanu Reeves ist ein rätselhaftes Wesen. Das macht ihn interessant, aber auch schwer greifbar. Nach der „Matrix“-Trilogie war er der bestbezahlte Schauspieler der Welt, doch Hochmut durch Ruhm setzte bei ihm anscheinend nie ein. Teile seines Geldes spendete er heimlich, seine Gage ließ er teilweise für weitere Darsteller in Filmen neben sich kürzen. Reeves ist ein Philanthrop, der nicht im Mittelpunkt stehen will – würde er nicht so gerne Filme machen.
Und obwohl er die Schauspielerei liebt, war nicht abzusehen, ob der Kanadier in Hollywood noch einmal eine große Rolle spielen würde. Doch mit „John Wick“ ist Keanu Reeves tatsächlich zurückgekommen: In Chad Stahelskis Action-Reihe hat er die Rolle des Auftragskillers neu definiert.
Und nun steht er da, im Berliner Hotel De Rome. Wie im Film, mit diesem Blick, diesen Haaren und eben diesem Anzug: Keanu Reeves im Interview mit ROLLING STONE zu „John Wick: Kapitel 3“.
Rolling Stone: Herr Reeves, hilft Ihnen der Anzug dabei, sich besser mit der Rolle von John Wick zu identifizieren?
Keanu Reeves: Zweifellos, John Wicks Anzug ist Teil seines Charakters. Ich denke, es ist eine Art Panzer für ihn. Wortwörtlich ist er das übrigens auch, weil er kugelsicher ist.
Also wie ein Ritual?
Ja, zwischen Kapitel zwei und drei bin ich buchstäblich in denselben Anzug geschlüpft und ab dem ersten Tag, an dem ich ihn angezogen habe, fühlte ich mich sehr wohl damit, steckte sofort im Charakter. Ich habe Anzüge, in denen ich kämpfe, die haben verschiedene Einschnitte und Schraubzwingen, mit dehnbareren Stoffen und einem anderen Schnitt. Und dann gibt es natürlich den perfekten „John Wick“-Anzug. Und irgendwann sind auf einmal alle kaputt.
Trotz Verletzungsrisiko sieht in diesen Kampfszenen alles so einfach aus. Warum haben Sie für sich entschieden, alles selbst zu machen?
Regisseur Chad Stahelski hat eine klare Vorstellung von Action und davon, wie er sie umsetzen will. Was ich daran liebe, ist, dass es eindringlich ist und je mehr Action ich selbst machen kann – wie ich es in „Point Break“, „Speed“ oder den „Matrix“-Filmen versucht habe – desto besser kann ich die Verbindung zum Publikum aufrecht erhalten. Und mir persönlich macht es einfach Spaß den Charakter zu verkörpern, der die Actionszenen spielt – die Emotionen sind groß und die Einsätze hoch.
AmazonGeht es Ihnen nicht auch darum, nichts dem Zufall zu überlassen?
Bei „John Wick“ gibt es den Stuntman Jackson Spidell. Wenn John Wick also von einem Auto angefahren wird, ist es Jackson, der getroffen wird. Ich werde nicht von einem Auto angefahren.
Aber würden Sie es machen, wenn Sie dürften? Ich denke an die Szene in Rom mit der Treppe aus Kapitel 2…
Der Treppen-Sturz in Rom ist eine große Ausnahme. Dafür habe ich nicht das Training. Auch wenn es nach Spaß aussieht: Jackson kennt die ganzen Techniken um den Aufprall abzufedern, sobald ihn das Auto trifft. Das sind wirklich gefährliche Situationen und wenn am nächsten Tag gefilmt werden muss, wäre es nicht besonders klug das selbst zu machen. Aber es schaut nach Spaß aus!
Es gibt auch in „John Wick: Kapitel 3“ eine charakteristische Szene: Der Messerkampf im Waffenraum – beeindruckend, wie man mit so viel Witz jemandem ein Messer in den Körper rammen kann. Wie entwickelt Chad mit Ihnen solche Szenen?
Es gibt eine Menge Humor in „John Wick“ – „John Wick“ bedeutet Humor. Chad wollte einen Messerkampf haben und ihn wie eine Schneeballschlacht aussehen lassen. Das war also seine Idee: Zeigen wir einfach Leute, die sich ein Messer nach dem anderen greifen und sich gegenseitig damit bewerfen, wie bei einer Schneeballschlacht eben.
Chad Stahelski hat ihre Rolle in den „John Wick“-Filmen als Keanu-Reeves-Comeback seit der „Matrix“-Trilogie bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Das denke ich nicht. Es ist einfach eine andere Geschichte. Ich denke, wenn wir es aus kommerzieller Hinsicht betrachten, dann habe ich seitdem sicherlich in keinem so erfolgreichen Actionfilm mehr mitgespielt. Ob ich die „Matrix“-Trilogie als reinen Actionfilm sehen würde, weiß ich übrigens nicht. Aber auch nicht, ob ich „John Wick“ nur als Actionfilm bezeichnen würde.
John Wick ist nicht der klassische Assassine. Was unterscheidet ihn Ihrer Meinung nach von anderen Killer-Charakteren?
Das ist eine Gesamtfrage für die ganze Reihe als solche. Das Action-Design, selbst der Tonfall, der Humor, aber auch die Farbtöne zwischen der echten und dieser alternativen Welt sind anders.
Und er spricht nicht gerade viel.
Er spricht, wenn er die Gelegenheit dazu hat. Es gibt die Szene mit der unglaublichen Anjelica Huston, in der er ihr sein Herz ausschüttet. Er teilt etwas mit uns. Aber in den meisten Fällen kämpft John um sein Leben. Okay, es gab nicht viel Konversation während der Messerschneeballschlacht. Aber ich hoffe, es kommt etwas von der Verletzlichkeit des Charakters bei den Zuschauern an.
Wir lernen ihn kennen, wenn er um Liebe kämpft, er hat die Liebe seines Lebens verloren und das weiß er, also trauert er um sie. Und wir finden heraus, warum er weiterleben will, darum kämpft er so hart. In „John Wick“ geht es auch viel um Regeln, Treue und Konsequenzen, und ich denke, dass er eine Ehrenpflicht hat, also ein sehr ehrenwerter Charakter ist. Aber er ringt auch mit diesen Regeln und Folgen seiner Handlungen in der Welt, in der er lebt.
Wenn Sie einige Jahre zurückdenken, an das revolutionäre Konzept von „Matrix“ und die Idee dahinter: Glauben Sie, Filme wie „John Wick“ wären ohne die Reihe möglich gewesen?
Für mich ist Film wie Malen. Und die Einflüsse des Gemäldes und der Kunst, die man zuvor gesehen hat. Es gibt sehr viele Einflüsse in „John Wick“: Hong-Kong-Kino, südkoreanisches und italienisches Kino, Western. Es gibt eine Menge, das Chad einbezogen, mit etwas in Kontakt gebracht hat und liebt. Und all diese Techniken fließen hier mit ein und werden zu Chads eigenem Werk und dem Original-Gemälde – das „John Wick“ ist.
Ganz wörtlich genommen: Die Farben dieses Gemäldes sind stark neon geprägt. Es gibt eine Menge neue Designs…
Ja, Chad arbeitet mit einem wundervollen Kameramann, Dan Laustsen, der den zweiten und jetzt auch den dritten Teil gefilmt hat. Er und Chad haben sehr eng miteinander gearbeitet, zusammen mit Kelly McCormick, dem Produktionsdesigner und Luca Mosca, dem Kostümbildner. Kamera und Farben sind sehr durchdacht.
Aber ohne Chad wäre es schwierig, gerade als lang eingespieltes Duo, oder?
Ja klar, er und ich sind wirklich Partner geworden, im Sinne von zusammen Ideen sammeln und die Geschichten und Charaktere dahinter, und was passieren wird. Es hat wirklich Spaß gemacht so kreativ zu sein und diese „John Wick“-Welt miteinander zu erschaffen.
ROLLING STONE sprach auch mit Regisseur Chad Stahelski. Das komplette Interview gibt es hier.
„John Wick: Kapitel 3“ ist ab Donnerstag (23. Mai) im Kino zu sehen. Der vierte Teil der Reihe wurde jetzt offiziell bestätigt – er soll am 21. Mai 2021 erscheinen.