Exklusiver Comic: „Mondo Reverso“ – Western im Gender-Wahn
Arnaud Le Gouëfflec und Dominique Bertail zeigen den Wilden Westen mit umgekehrten Vorzeichen: Frauen haben hier die Colts in der Tasche und Männer häkeln Spitzendeckchen.
Manche nennen es die Befreiung von Geschlechterketten, andere schlicht Genderwahn. Die Auseinandersetzung mit identitätspolitischen Fragen hat in den letzten Jahren – auch angetrieben von der Me-Too-Bewegung – längst die Universitäten verlassen. Während Kino, Serien, Literatur und Musik ihre jeweils höchsteigene Auseinandersetzung mit dem Thema pflegen, ist der Comic seit jeher ein Medium, das die (behaupteten) Grenzen zwischen Mann und Frau kreativ durcheinander wirbelt.
„Mondo Reverso“ von Dominique Bertail (Zeichnungen, bekannt durch „Ghost Money“) und Arnaud Le Gouëfflec haben sich für ihre hintersinnige, vor allem aber spaßige Gender-Fantasie „Mondo Reverso“ von einem Filmgenre inspirieren lassen, das für seine starren Geschlechterbilder bekannt ist und doch spätestens durch „Brokeback Mountain“ von Ang Lee längst eine Revision erfahren hat: den Western.
AmazonDabei sind jene Cowboys, die zwischen Eisenbahnschienen, Viehherde und Saloon ihren Lebensraum gefunden haben, an sich schon seltsame Gestalten. Raue, kräftige Kerle mit Hang zur übersprudelnden Gewalt. Aber auch sensible Schönlinge, die sich gut zu kleiden wissen und mit der Einsamkeit haushalten müssen.
Überwältigende Felswände in der Prärie gibt es in „Mondo Reverso“ wie in jedem Western, doch ansonsten ist hier alles anders als gewohnt: Die Frauen sitzen fest im Sattel und die Männer hüten sorgfältig das Haus. Während der Leser auf den ersten Seiten noch staunt über wilde männliche Hühner, die sich vom kalten Wasser schrecken lassen, betritt recht schnell die patente Desperada Cornelia das Parkett – eine der grausamsten Gesetzlosen des Wilden Westens.
Hintersinnige Verwechslungskomödie
Natürlich ließen sich Bertail und Le Gouëfflec von zahlreichen Filmklassikern des Genres inspirieren, Bertail scheint dabei mehr als einen Bildband aus dieser Zeit regelrecht verschlungen zu haben, so detailreich und fotorealistisch sind seine Striche. Aus der Grundidee, die Geschlechterrollen zu tauschen, weben beide gleich mehrere überdrehte Verwechslungspossen, bei denen bald nicht mehr klar ist, wer denn nun Mann und Frau ist oder wer sich nur als das andere Geschlecht verkleidet.
Natürlich ist hier vieles nur absurdes, episodisches Spiel, das vor allem im letzten Drittel des Bandes kaum mehr eine klare Linie geschweige denn eine anspruchsvolle Handlung erkennen lässt. Das haben Autor und Zeichner wohl schon zu Beginn ihres Projektes erkannt. Und deshalb konzentrieren sie sich auf fabelhaft gestaltete Karikaturen und freche Miniaturen, die immer wieder ins Alberne abgleiten. Für einen Moment bekommt man das Gefühl, dass all die akademischen Haarspaltereien, die seit langem rund um die Gender-Theorien existieren, bedeutungslos sind gegenüber den erzählerischen Freiheiten, die sie den Künstlern gewährt.
„Ich zeige Ihnen mein Problem… Einen Penis, der mir plötzlich gewachsen ist. Der meinen legendären Ruf als Brutalissima untergräbt. Sie können sich vorstellen, wie es mir damit geht.“