Joe Jackson live in Berlin: Das Chamäleon beißt noch
Der ewige Alleskönner zelebrierte im Admiralspalast 40 unvergessliche Jahre auf der Bühne. Eine Feier der nimmermüden Wandelbarkeit, begleitet von einer Band, die über alle Zweifel erhaben ist.
Es sollte eigentlich nur ein Gag sein, aber es drückte mehr aus, als tausend Worte es könnten: Kurz vor Abschluss ihres triumphalen Konzerts im Berliner Admiralspalast ließen Joe Jackson und seine Band von einem Moment auf den anderen von ihren Instrumenten ab und froren vor den Augen der erstaunten Zuschauer ein. Musikerstatuen. Salzsäulen. Denkmäler, die davon erzählen, dass diese Typen öfter auf Tour sind als in ihren eigenen vier Wänden. Ein unheimlicher Anblick, der zugleich aber geradezu listig demonstrierte, was der Impresario mit seiner „Four Deacde Tour“ beweisen will.
Joe Jackson erinnert daran, dass er bereits seit 40 Jahren auf der Bühne steht und von „Look Sharp“ (1979) bis zum akteullen, 20. Album, „Fool“, so ziemlich jedes Register gezogen hat, das einem Musiker möglich ist, um die Menschen (anspruchsvoll) zu unterhalten und sich nebenbei in die Musikgeschichte einzuschreiben. Trotz einiger Single-Hits und natürlich „Stepping Out“ blieb Jackson dennoch stets ein Outsider; talentiert, eigensinnig und live ein grimmiges Chamäleon.
Keine Show gleicht der anderen, die Arrangements verändert Jackson ganz bewusst, um vor allem sich – und erst in zweiter Linie sein Publikum – nicht zu langweilen, wie er in der Vergangenheit schon mehrfach betonte. Zu hören gibt es auf der aktuellen Tour, die noch einige weitere Deutschland-Gigs vorsieht, Erlesenes aus der Vergangenheit. Aber auf Jackson-Art: Der inzwischen 64-Jährige suchte sich ein Album aus jeder Dekade heraus, um es on the road noch einmal auf seine Gültigkeit zu überprüfen. So kamen „Rain“ (2008) aus den Nullerjahren, laut Jackson eine seiner besten Platten, und „Laughter And Lust“ (1991) gleich mit mehreren Stücken zum Tragen. Dazu eine Handvoll lässig aufgespielte Tracks aus „Fool“.
Mit „Fool“ hat sich Joe Jackson selbst ein Jubiläumsgeschenk gemacht
Man muss es ja jetzt sagen, weil zur Auswahl der Jahresbestenliste aus viel zu menschlichen Gründen viele Glanztaten der ersten Wochen des Jahres vergessen sind: „Fool“ ist mit seinen umstandslosen, von Spiellust geleiteten Bar-Rock-Stampfern bisher eines der schönsten, rundesten Alben des Jahres. Endlich wieder jene pointierte Sentimentalität, die wir an Jackson lieben – von einer unwiderstehlichen Dramaturgie (eine Seite Tragödie, eine Seite Komödie) angetrieben. Das Titelstück mit seinen herrlichen Tempi- und Genresprüngen gelingt live vorzüglich. Der Closer „Alchemy“ wird auf Tour gleich gedoppelt: als fragil daherkommende Jazzballade, die sogleich in das vital zupackende Relikt „One More Time“ übergeht, und dann tatsächlich als Rausschmeißer, bei dem die wunderbar eingespielten Bandmitglieder einzeln die Bretter verlassen.
Spätestens mit „Is She Really Going Out With Him“, dem ersten obskuren von vielen obskuren Hits Jacksons, ist dann auch klar, dass hier munter durch die Zeiten gesprungen wird und der Teilzeit-Berliner eben auch ein Heimspiel hat. Die Stimmung ist so gut, wie ich es in dem altehrwürdigen Gebäude in Berlin schon lange nicht mehr erlebt habe. Zur Zugabe reißt es die Menschen von den Sitzen, einfach nur, weil sie gespannt sehen wollen, wie Jackson „Stepping Out“ genauso spielt, wie es 1982 im Alleingang aufgenommen wurde. Mit Glockenspiel, verzögertem Beat und tatsächlich noch erhaltener Drum Machine. Das gute Stück wird von den Musikern wie ein heiliger Genstand behandelt. Es hat der langen Karriere des Musikers eine Sahnehaube aufgesetzt.
Die Stimme will nicht so recht mitziehen
An diesem Abend stehen aber ganz bewusst andere Kostbarkeiten auf dem Programm: Jackson koppelt seine brillanten Songs („You Can’t Get What You Want…“, „Real Men“, „I’m The Man“) an vermeintlich nachrangige („My House“, „Wasted Time“), lässt sie von seinen Kollegen, allen voran der ewig junge Bassist Graham Maby, mit viel Nachdruck und Drall spielen. Als wäre das Konzerthaus eine Festivalbühne. Mehrere Drumsticks lassen ihr Leben, auf der Dinosaur-Jr.-Lautstärkeskala gibt es eine krachende 3/5.
Gespielt werden auch das (egale) Beatles-Cover „Rain“ und das (hochtrabende) Steely-Dan-Cover „King Of The World“. Insgesamt also ein Mehrgängemenü, bei dem ausgerechnet der Chefkoch etwas schwächelt. Die Stimme will nicht so mitmachen, auch wenn gequäkt und lamentiert wird wie in alten Zeiten. Jackson dazu süßsauer: „Das nervt, aber es ist nicht schlecht, was ich hier liefere, oder?“ Kann man so stehen lassen.