Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Wirf mit mir ein Saxophon ins Meer!
Übersetzungen italienischer Texte ins Deutsche wohnt eine poetische Strahlkraft inne. Davon abgesehen ist 2019 das Jahr eines ganz bestimmten Instruments.
Folge 172
Ich hab’s!
Wenn’s mal gar nicht mehr läuft, wenn ich endgültig leer geschrieben und müde musiziert bin, die Zahlungsaufforderungen aber trotzdem weiter verlässlich den Briefkasten fluten, dann wüsste ich etwas, womit ich mir weiterhin ein paar Groschen verdienen könnte. Ich würde eine Tour durch die evangelischen Buchhandlungen, katholischen Weinhandlungen und konfessionslosen Bierkeller des Landes buchen und deutsche Übersetzungen von Liedtexten Paolo Contes vortragen. Yesss!!
Unlängst nämlich fiel mir ein Album Contes entgegen, dem ein Blatt mit den Übersetzungen der Texte ins Deutsche beigefügt war. Und, Donnerwetter: Diesen deutschen Übersetzungen wohnt – mal ganz ungeachtet des italienischen Originals – eine poetische Strahlkraft inne, nach der man in der deutschen Gegenwartslyrik lange suchen muss. Zugegebenermaßen suche ich selten in der deutschen Gegenwartslyrik nach irgendwas, aber lesen Sie doch bitte einfach mal die folgende Übersetzung des Stücks „Aquaplano“:
Wasserflugzeug
Ein Flugzeug
In der blonden und warmen Luft
Es fliegt langsam
Und lässt eine schöne braune Welt hinter sich
In der der Januar-Fluß fließt
Flieg tiefer, Pilot
Laß mich sehen, tiefer
In geringer Höhe
Damit ich besser sehen kann
Und erzählen kann
Was es ist, das dort auf dem Meer so glitzert …
Ich bin sicher:
Es ist wirklich ein Konzertklavier
Das seinen Klang dem Geheimnis verdankt
Ein schwarzer Konzertflügel
Sicher hat es dort gegeben
Dort unten, eine ganz komplizierte Geschichte …
Man braucht sehr viel Kraft, um zu werfen
Einen Konzertflügel ins offene Meer …
Und dort, wo ein Klavier steht
Gibt es rundherum auch Leute, die Krach machen
Es gibt Augen, die sich suchen
Es gibt Lippen, die sich ansehen …
Ich habe kein Vertrauen
Manchmal ist ein Klavier ein Schrei
Dort gibt es Beine, die sich berühren
Und Versuchungen, die miteinander reden
Dreh um Pilot
Laß uns wieder ganz nach oben in den Himmel streben
Kehr zurück zu der Welt mit der schönen braunen Farbe
Finde mir den Januar-Fluß …
Ich kann nicht anders: Seit ich den Text entdeckt habe, muss ich ihn ständig überall unaufgefordert vortragen. In Kneipen, auf Geburtstagen, daheim am Küchentisch. Mit dem „Wasserflugzeug“ wird mir schlagartig jeder Ort zur Lesebühne. Manchmal lese ich ihn auch einfach nur, wie zur Vergewisserung, mir selbst vor.
***
Eben ging ich an einem Plakat vorbei, das den Auftritt der Dave Matthews Band in meiner Heimatstadt bewarb. Noch bevor sich Verwunderung über die unverlangte Dave-Matthews-Band-Rückkehr und alte Ablehnungsreflexe gegenüber der Gruppe um die Gefühlsvorherrschaft in dieser Angelegenheit zu balgen beginnen konnten, stellte sich Amüsement ein. Denn: Auf das Plakat, so sah ich beim Nähertreten, hatte jemand mit einem Edding das Wort „Tierquälerei“ geschrieben.
Nun mag man der Dave Matthews Band ja so einiges vorwerfen – aber „Tierquälerei“ scheint mir eine einigermaßen originelle Beschuldigung zu sein. Oder weiß ich von irgendetwas nicht? Sind die Mitglieder allesamt notorische Pelzträger? Wird auf offener Bühne geschächtet oder Erdmännchen der Kopf abgebissen? Verlangen die Musiker auf dem Tour-Rider nach Streichel-Gnus im Backstage-Bereich? Hat sich der Bassist der unter dem etwas ekligen Banner „Jam-Rock“ geführten Band des Herumreitens auf Hühnern schuldig gemacht? Ist irgendein Band-Mitglied gar selbst ein Tier?
Gibt man im Internet „Dave Matthews Band Tierquälerei“ ein, kommt nichts. Selbst die Suchanfrage „Dave Matthews Band Tiere“ fördert nichts zutage.
Vielleicht wollte jemand ja nur seinen Edding ausprobieren. Möglicherweise wollte er aber eigentlich das Plakat einer anderen, tatsächlich der Tierquälerei überführten Band bekritzeln, hatte aber stark getrunken und aus Versehen das falsche Plakat getroffen. Oder das Ganze ist Teil einer großen Destabilisierungskampagne dunkler Kräfte, die auf subtile Verwirrung im Alltag setzen. Ich halte da alles für möglich.
Ich fürchte, ich muss mir das Konzert leider angucken.
***
Es ist übrigens Jahr des Saxophons. Super, ein ganzes Jahr voller Saxophone! Viele langweilige Menschen schmähen das Instrument ja allzu gerne, und billige Saxophonistenwitze können sich einfach abgeholter Lacher gewiss sein.
Mein Lieblings-Saxophonsolo jenseits des Jazz – Sie hatten gefragt – wird von Gato Barbieri (der Vorlage für „Zoot“, den Saxophonisten der Muppets-Band) geblasen und findet sich am Ende von Antonello Vendittis Lied „Modena“. Zur Warnung: Antonello Venditti zählt zu jener Sorte italienischer Sänger, die sich mit Tauben auf der Schulter fotografieren lassen. Sein Gesangsstil gemahnt ein wenig an Cat Stevens mit starken Zahnschmerzen. Auch trägt er gerne alberne Sonnenbrillen und Strohhüte. Kurzum: Ich liebe den Mann.
Das besagte Solo hört sich gelegentlich an, als sei es von Helge Schneider gespielt worden, am Ende werden gar Erinnerungen an die Anfangsszene von „Der Partyschreck“ wach, wo Peter Sellers als tödlich verwundeter Armeetrompeter einfach nicht aufhören will zu tröten. Für diese kostbaren Momente wurde das Instrument erfunden.
Auch Antonello Vendittis Platten liegen bisweilen deutsche Textübersetzungen bei. Und auch aus diesen sollte ich wohl dringend öffentlich vortragen. Anbei die deutsche Übersetzung des Lieds „Eleonora“:
Schau wie groß die Sterne sind am Himmel
Und wie schön es ist, zu spüren
Wie die Nacht übers Herz gleitet
Diese Nacht auf dem Dach – und wir warten
Auf das Lied, das uns das Weltall singt
Halte jetzt meine Hand noch stärker
… dieses Schweigen macht mir etwas Angst.
Eleonora, nackt auf dem Sofa – sie snifft
Und dieses Zimmer dreht sich immer mehr
Ein verbotenes Fest, wie es im Buche steht
Dort sitzt sogar müde ein Stadtrat
Alles feine und gebildete Leute
Die sich vor dem Leben nie fürchten
Eleonora … komm wir gehen
Wo Venus ein Traum ist und gut Sax spielt
Diese stille Liebe genügt uns, du wirst sehen
Wie auch immer: weg von diesem Fest
Weg von dieser Stadt
Weg von diesem Schnee der Peripherie
Komm, wir gehen
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