AnnenMayKantereit im Porträt: Danke, Internet!

An den Kölner Musikern scheiden sich die Geister. Im zweiten Werk „Schlagschatten“ liegt eine minimale Entwicklung, doch der Erfolgsschlüssel der Band ist nicht die Musik. Eine Analyse

Brauchen AnnenMayKantereit noch Presse? Vielleicht nicht. Die Kölner Band hat nahezu alles selbst in die Hand genommen, was an Kommunikation zum neuen Album zu erledigen ist. Das Quartett hat wie nur wenige deutschsprachige Bands das Internet verstanden – dass man seinen Anhängern häppchenweise immer wieder neues Material präsentieren soll.

Da ist etwa die Facebook-Gruppe, bei der die Mitglieder wie in einem Tagebuch von den Studioaufnahmen erzählen. Die Hälfte des neuen Albums „Schlagschatten“ – die bessere – ist vor der Veröffentlichung des Albums bereits auf YouTube veröffentlicht worden. Beinahe jede Woche bekommen Fans ein neues Lied in zwei Fassungen zu hören – einmal die Studioaufnahme sowie eine Live-Fassung in der spanischen Natur. Die Platte wurde in Spanien aufgenommen.

AnnenMayKantereit auf Facebook:

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AnnenMayKantereit greifen damit ihr Entstehungsgeschichte auf und den Ort, an dem sie am beliebtesten sind: im Netz. Die ersten Erfolge hatte die Band – neben Straßenmusik-Mitschnitten – mit intim inszenierten Videos, in denen die Musiker dabei zu beobachten sind, wie sie die Songs spielen. Für YouTube, das derzeit sein neues Bezahlformat mit exklusiven Inhalten bewirbt, hat das Quartett eine Dokumentationsserie zu den Album-Arbeiten angefertigt. Darin vermitteln sie die Dringlichkeit ihrer Musik und, ja, ihre Authentizität.

Gefühlsechtheit mit YouTube-Dokumentation, Schrebergärten, Türkei-Konzerten

Der zweite wichtige Musikpartner im Internet ist Spotify. Die Band hat selbstgezimmerte Pop-Up-Stores in Schrebergärten deutscher Großstädte aufbauen lassen, das analoge Erlebnis sozusagen. Da gibt es Merch-Verkauf und eine Fotoausstellung und eine Pre-Listening-Ecke, alles auf Instagram dokumentiert. Die Erlöse gehen an gemeinnützige Projekte. Maßgeschneidert für das Publikum aus dem Internet also, das nicht jung sein muss; es muss lediglich wissen, wie man einen Facebook-Like abdrückt oder was ein YouTube-Abonnement ist.

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AnnenMayKantereit denken übrigens, dass sie die Presse doch brauchen. Christopher Annen und Malte Huck scherzen darüber, dass in dem lässigen Hotel, wo zum Gespräch geladen wird und das perfekt zur Mentalität der Mittzwanziger passt, immer wieder dieselben Videos über die Fernsehschirme laufen.

Sie reden viel über den abwesenden Sänger Henning May, der für die meisten Texte und Melodien verantwortlich zeichnet. Sie sprechen viel über das Fühlen, denn das ist den jungen Männern sehr wichtig. Dieses zweite Album, „Schlagschatten“, ist für sie das Ergebnis einer emotionalen Befreiung, sagen sie. „Freimachen von bestimmten Normen war wohl das, was sich durchgezogen hat. Alles ein bisschen entzerren, was mit uns und der Band in den ersten Jahren passiert ist“, sagt Bassist Malte dazu.

Ja, da sind Brüche in den zuvor aufgestellten musikalischen Normen der Band. Da ist „Weiße Wand“, ein so deutliches politisches Zeichen für deutsche Popmusik, dass die Band aufpassen sollte, dass sie mit Sätzen wie „Flüchtlingskrise hört sich an wie Reichstagsbrand“ nicht auf der Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes landet. Die Kölner lassen damit alle still werden, die behaupten, dass AnnenMayKantereit eine unpolitische Mittelschichts-Band für ein anspruchsloses junges Publikum seien. Malte relativiert: „Wir wollen aber nicht mit dem Zeigefinger richten, sondern zeigen, wo wir selbst damit stehen.“

„Wir wollen das Studio mehr als Instrument zu nutzen“

Auch musikalisch beweist der Titel mehr Klangtiefe als frühere Lieder, mit mehr Gitarren – und mehr Atmosphäre. „Wir haben viel über Aufnahmeprozesse gelernt, da wir nicht mehr einfach so die Stücke, die wir schon sehr oft gemeinsam gespielt hatten, einfach noch mal live einspielten“, erklärt Christopher. Das durch und durch Handgemachte wird nun ergänzt von „Spielereien am Computer“, wie der Gitarrist sie nennt. „Wir haben die Entscheidung getroffen, das Studio mehr als Instrument zu nutzen.“

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Die gefälligen Plattitüden überwiegen noch

Natürlich sind da immer noch Lieder wie „Marie“ oder „Jenny Jenny“, banale lyrische Beobachtungen mit Wiederholungen von weiblichen Vornamen, die versuchen, die Idee von AnnenMayKantereit als gefühsauthentische Band zu bestätigen und sich damit großer Radio-Beliebtheit erfreuen. Aber da ist auch ein Lichtblick wie „Schon krass“, eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Drogenleben, ein Gegenentwurf zum lässigen Kiffer-Bild der Band, mit dem die Mitglieder zuvor kokettiert hatten. Sie deuten in den Texten auch den Druck an, den inneren und äußeren, der mit dem Erfolg gekommen ist. Aber Malte weicht aus: „Viel besser darüber reden, wie wir mit diesem Druck umgehen, können wir wahrscheinlich in zwei, drei Jahren.“

AnnenMayKantereit wissen selbst genau, dass sie ohne das Internet nicht dort wären, wo sie jetzt sind. Sie haben zur richtigen Zeit das Potenzial der Musikplattformen im Netz entdeckt. „Dass man seine Musik veröffentlichen und zeigen kann, als eine Band, die keine Kohle hat, die überhaupt noch nicht weiß, was sie machen will – das ist eine der krassesten Möglichkeiten unserer Zeit“, äußert der Bassist. Kürzlich waren in der Türkei und wollten in einem kleinen Istanbuler Club probespielen. „Da standen auf einmal 1000 Leute vor dem Laden, in den eigentlich nur 100 reinpassen, weil die sich das auf YouTube reinziehen.“

„Ihr habt kein Mitspracherecht in unserer Kunst“

Es ist berechtigt, sich weiterhin über AnnenMayKantereit lustig zu machen – im Netz deklariert jemand die Band zum „Beck’s des Indie-Pop“. Die musikalische Redundanz und aufdringliche Gefühligkeit bleiben oft schwer erträglich. Sie sind jedoch ein Phänomen, ein musikalisches und gesellschaftliches, mit dem es sich auseinanderzusetzen lohnt. „Ihr habt kein Mitspracherecht in unserer Kunst“, sagt Malte Huck den Kritikern.

Und das wohlwollende Internet wird es auch noch etwas länger geben.

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