WM 2018: Guardiola-Orakel, Ersatz-Lieblinge und die Tugend des stilvollen Verlierens

Nacheinander sind nicht nur die deutsche Mannschaft, mit der unser Autor eine Art Hassliebe verbindet, sondern auch Argentinien (erwartet) und Spanien (sehr unerwartet) ausgeschieden. Was bedeutet das jetzt für die Runde der letzten acht Teams? Was muss Jogi Löw nun tun, um die DFB-Elf wieder in die Erfolgsspur zu bekommen?

„I go my way and you go Uruguay“
Marx-Brothers

Aber warum nur, warum? Warum die falschen Favoritenstürze? Warum stürzten die Spanier und nicht die Brasilianer? Warum gab es nicht ein Achtelfinale Mexiko gegen Schweiz und Brasilien gegen Schweden? Stattdessen war das Beste am Achtelfinale Schweiz gegen Schweden, dass einer von ihnen danach draußen sein musste. Natürlich die Falschen.

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Die erwartbare Niederlage der Kolumbianer, die dann ja während des Spiels doch zunehmend weniger erwartbar wurde, habe ich erst in dem Moment nicht mehr erwartet, als sie dann eintrat – denn dass die Engländer mal ein Elfmeterschießen gewinnen, war nun wirklich unerwartet. Bei dieser überaus merkwürdigen WM werden also nach und nach alle ungeschriebenen Fußball-Gesetze und Erwartungen über den Haufen geschmissen.

Allmählich beginne ich zu erwarten, dass die Russen Weltmeister werden…

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Das „Guardiola-Orakel“ tippt auf England. Die ARD verkündete diesen etwas schlichten Prognose-Algorithmus, nach dem 2010 Spanien Weltmeister wurde und Pep Guardiola mit dem FC Barcelona Meister wurde, 2014 Deutschlands Titel mit Guardiolas Titel in Deutschland parallel lief. Und da in diesem Jahr Guardiola mit Manchester City den Titel holte, liegt die Sache klar.

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Was tun? Man sucht sich Ersatzfavoriten. Die Belgier waren schon von Anfang an die Ersatzholländer dieser WM – so spielen sie auch: Etwas schlechter, etwas weniger genial, aber offensiv und hinten hilft der liebe Gott. Wahrscheinlich ist es nicht, aber vielleicht gelingt ja ein Wunder wie vor acht Jahren, als Holland im Viertelfinale Brasilien überraschend schlug. Und Uruguay ist das Ersatz-Argentinien.

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Viva Uruguay – nur ihretwegen ist die WM noch nicht zu einer um Brasilien erweiterten EM geworden. Aber es spricht leider alles dafür, dass die Ersatz-Argentinier dass Brasilien und Frankreich im Halbfinale stehen werden, und der Sieger Weltmeister werden wird. Ich hoffe, dass nur nicht Brasilien, der FC Bayern unter den Nationalmannschaften den Titel holt. Aber genau so wird es vermutlich kommen.

Ich hoffe, dass sich dann in den weiteren Partien England und Kroatien durchsetzen, dass wir von den schwedischen Blutgrätschern und russischen Betonmischern befreit sind und ein furioses Halbfinale sehen. Die Chancen sind immerhin da.

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Bei dieser WM gilt es also, die Tugend des stilvollen Verlierens zu praktizieren, oder überhaupt erst zu lernen.
Da haben vor allem die Deutschen noch eine Menge zu tun.

Dieses stumpfe Schweigen, das seltsame Phlegma der „Mannschaft“ war auffallend. Alle außer Hummels redeten so, wie die DFB-Elf spielte: Zart, leise, tastend, wenn man es freundlich sagen will, müde, blutleer, vollkommen uninspiriert, wäre präziser. Immer fehlte irgendetwas. Eine große, zumindest erkennbare Emotion, und sei es Verzweiflung, Wut, Zorn. Aber kein Zug, kein Ruck ging durch ihre Sätze, und schon gar nicht durch ihr Spiel auf dem Rasen. Die Mannschaft der Hipster war ausgelaugt, müde, fertig. Das lag auch an einer kräftezehrenden Saison – weil diese aber auch Spieler anderer Mannschaften hinter sich hatten, muss man sagen: Es lag noch mehr an dem fehlenden Funken, an einer Art Blindheit für das Naheliegenste.

Es war eine ratlose Vorstellung von Anfang an, aber zugleich war man sich nie sicher, ob eben dies der Mannschaft überhaupt bewusst war. Kein Einfall, kein Plan B. Noch schlimmer aber: Kein taktisches Geschick; kein Vermögen umzustellen, und sich etwas einfallen zu lassen. Und keinen, der auf dem Platz auch nur versuchte, die Initiative zu ergreifen.

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Die Tugend des stilvollen Verlierens, bedeutet auch zu begreifen, dass Verlieren Veränderung heißt. Joachim Löw will jetzt Bundestrainer bleiben, und wahrscheinlich ist das auch gut so. Wer sollte denn übernehmen? Aber jeder hat jetzt begriffen, wie eitel Löw ist, mit seine Yoda-Attitüde und der schwarzen Kleidung.

Ob er in der Lage sein wird, zu seinen Ursprüngen zurückzukehren? Zu dem Mut, jungen Spielern zu vertrauen, und auf eine ganz neue Weise Fußball zu spielen. Im Rückblick gelang das vor allem bei der WM 2010 in Südafrika. Da spielte man im besten Sinn undeutsch: Mutig, riskant. Mit Offensivdrang und technischer Stärke, ohne Blutgrätschen und Gerumpel.

Man muss Löw jetzt gegen die Reaktionäre verteidigen. Etwas mehr Führung, etwas weniger flache Hierarchien sind nötig, etwas weniger Mutti Löw und dafür gelegentlich eine Blutgrätsche könnten nicht nur in der Politik sondern auch im Fußball nur nutzen – gerade wenn man nicht in die Steinzeit zurückwill. Beweglichkeit, die Fähigkeit auch eigenes Verhalten zu verändern, ist überall das Gebot der Stunde. Denn nur dann gibt es keine Rückkehr zum unsäglichen Rumpelfußball und seinen politischen Repräsentanten, zur Union der Dreggers und Zimmermanns.

Wer mit solcher berechtigten Kritik an Löw und einigen Spielern jetzt aber das ganze moderne Spielsystem abschaffen will, und fußballerisch zurück zu den Effenbergs und Baslers möchte, sollte sich daran erinnern, was sie in der Nationalmannschaft erreicht haben: Nichts.

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Immerhin, wie schon einmal geschrieben: Alle, die den deutschen Fußball lieben, sollten sich über das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft freuen. Ein Aus gegen Brasilien im Achtelfinale hätte man unter „Das kann immer passieren“ abgetan. Aber nun gibt es jetzt kein Drumherumreden. Und nur wenn sich etwas ändern muss, ändert sich wirklich etwas.

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