Kritik: Guns N’Roses live in Berlin – leider geil, also: richtig geil

Sie kommen rüber wie Viper-Room-Millionäre, aber auch 2018 erinnern Guns N'Roses daran, dass sie einst die größte Rockband überhaupt waren. Kritik, Videos, Fotos und Setlist vom Konzert in Berlin

Von Tribünenrand aus hat man einen guten Blick auf den Backstage-Korridor hinter der Bühne des Berliner Olympiastadions. Was zehn Minuten vor dem Auftritt von Guns N’Roses passiert, wäre zu schön, aber auch zu grandios irre, um wahr zu sein. Die Bandmitglieder und ihre Entourage laufen Richtung Bühne, Slash erkennt man schon aus der Ferne am Hut, den riesigen Duff McKagan an seiner Baumbart-artigen Knorrigkeit. Dann aber gehen sie nicht etwa die Treppe rauf, sondern warten hinter der Stage – und nichts passiert. Eine gefühlte Ewigkeit lang. Weil wohl einer fehlt.

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Schließlich kommt denselben Weg eine abgedunkelte Mercedes-Limousine herangefahren. Sie entlässt einen – nicht sichtbaren – Passagier. Auf jeden Fall scheinen Guns N’Roses nun bereit zu sein, und die Show kann beginnen.

Ob Axl Rose im Wagen war und eine Extra-Wurst bekommen hat, vielleicht, weil Fußwege so anstrengend sind, ist nicht bekannt. Aber das wäre eine tolle Vorstellung. Denn GN’R wurden geliebt, gerade weil deren Sänger zu seinen Hochzeiten 1987 bis 1993 launisch und größenwahnsinnig wie kein Zweiter in der Rockmusik war.

Guns N’Roses in Sacramento 2017

Es geht los mit „It’s so Easy“ und „Mr. Brownstone“, das sind Machtdemonstrationen aus einer Ära, in der Hardrock cooler war als heute. Die Band spielt sie makellos. Für solche Eröffnungen sind Stadionkonzerte gemacht. Duff spielt das Hornissen-Intro, und schon schwappen die ersten Wellen im Publikum, fast bis nach hinten durch. Würden Guns N’Roses doch ihr ganzes „Appetite for Destruction“-Album von 1987 spielen!

Doch auch Anfang der Neunziger sorgten GN’R noch für die meistdiskutierten Konzerte. Es gab Abbrüche der Sets, Gewaltausbrüche der Musiker und auch Gewaltausbrüche der Fans. Die zerlegten Säle. Dazu ein Rose, der, wenn ihm danach war, mit zweieinhalbstündiger Verspätung die Bühne betrat und fast die ganze Zeit im Sitzen sang. Die „Use Your Illusion“-Tour von 1991 bis 1993 war ein Spektakel. Es gab keinerlei Sicherheiten dahingehend, was zu erwarten war.

Das ist mit der „Not In This Lifetime“-Tour anders, auch, weil Guns N’Roses mehr denn je ein Wirtschaftsunternehmen sind. Sie wissen, dass sie vielleicht kein gemeinsames Studioalbum mehr rausbringen werden, unabhängig davon, dass man heutzutage sowieso nur noch mit Auftritten Geld verdient. Seit Beginn der aktuellen Konzertreise gab es nicht einen einzigen Aufreger. Shows finden statt. Rose kommt so pünktlich wie Phil Collins. Die Einnahmen sind gigantisch, GN’R führen Rankings an.

Die Gigs werden gut promotet: Die Stadionkamera fängt nicht nur Bassist Duff McKagan ein, sondern hinter ihm auch permanent, also optimal positioniert, das Hirschgeweih-Werbebanner eines Schnapsherstellers. Eine bittere Ironie, der Mann ist trockener Alkoholiker, der Legende nach ist ihm wegen der Sauferei einst fast die Bauchspeicheldrüse explodiert. Ja, explodiert. Immerhin zeigt die Duff-Kamera häufig auch seinen mit Stickern beklebten Bass, den seit zwei Jahren auch das „Love Symbol“ von Prince ziert. Idole da, wo man sie nicht vermutet.

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Leadgitarrist Slash jedenfalls, wie McKagan seit 2016 wieder dabei, wirkt, als hätte er in der leeren Snakepit-Ära  seiner Karriere auf nichts anderes gewartet als die Reunion. Seine Gibson verleiht dem sonst eher aufgeschwemmt erscheinenden Musiker noch immer jene Eleganz, die man nicht lernen kann, egal wie lange man vor dem Spiegel übt. Rose-Wegbegleiter Richard Fortus, nicht weniger meisterhaft, darf jedoch auch einige Soli seines berühmten Kollegen übernehmen.

Slash spielt, der Hype des dritten „Paten“-Films von 1990 steckte damals auch ihn an, wie schon früher das „Godfather Theme“ Nino Rotas auf der Gitarre. Es gibt quasi einen 1990er-Mafia-Block im Set, denn Axl Rose intoniert später noch die Coda von „Layla“, jenem Hit von Derek and the Dominos, den nicht wenige heutzutage vor allem mit „GoodFellas“ assoziieren. Das Lied wurde im Scorsese-Film während einer Montage eingespielt, die übel zugerichtete Mordopfer des Mobs zeigt.

Guns N’Roses: Axl hat an seiner Stimme geübt

Als Musiker hat Axl Rose den größten Nachholbedarf. Gelegentliches Krächzen, abgebrochene Höhen, manchmal hält er das Mikro ins Publikum, damit er selbst nicht singen muss. Aber es ist überhaupt kein Vergleich zu den bedeutungslosen Gunners-Jahren zwischen 1994 und 2016, als Rose, dokumentiert in zahllosen Fail-Videos, wie sein eigener Karaoke-Sänger auftrat, bis einem das Ohr schmerzte.

Sein Training beruht sicher auch auf dem Engagement als Leadsänger von AC/DC, das er vor zwei Jahren begonnen hat. Da konnte er nicht mehr machen, was er wollte. Da war nicht er der Boss, sondern Angus Young. Und AC/DC ist eine Band mit längerer Tradition und härterer Fanbase. Rose‘ neue Power und Disziplin haben wir damit wohl auch diesem Job zu verdanken.

Guns N' Roses live auf ihrer „Not In This Lifetime “-Tour
Guns N‘ Roses live auf ihrer „Not In This Lifetime “-Tour

Guns N’Roses wirken natürlich wie Viper-Room-Millionäre, volltätowiert, mit etlichen Ketten behangen, und Axl Rose, 56, tanzt auch seinen Standardmove aus der Hüfte – die Schlange, die sich Serpentinen hinaufbewegt – nicht mehr so geschmeidig wie vor 30 Jahren. Er bewegt sich jetzt im Hooligan-Stampfschritt, und die dünner gewordenen Haare sind drapiert, als trüge er sie über einer straffen Gesichtsmaske. Apropos Viper Room: So viel L.A. wie aktuell war in Berlin lange nicht, am Montag treten die Hollywood Vampires auf, die Band von Alice Cooper, Joe Perry (Aerosmith) und Viper-Room-Gründer Johnny Depp.

Es ist eine herrliche Nostalgie-Show. Auch im Publikum. Lange gab es nicht mehr so viele Guns-N‘-Roses-Shirts zu sehen wie hier, vor allem in der Farbkombination Rot-Gelb und dem Bandnamen in jenem berühmten Font, der, schnell gegoogelt, Corvinus Skyline heißt. Auch die Vorband Manic Street Preachers gedenkt der alten Zeiten. Ihr Greatest-Hits-Set aus zehn Songs hat das Debüt „Generation Terrorists“ von 1992 im Mittelpunkt, deren Gitarren-Soli wie Tribute an die Helden klingen: „Motorcycle Emptyness“ und natürlich „Slash N’Burn“, das die Verehrung schon im Titel trägt und mit Kuhglocke aufwartet.

Axl Rose: der Opernsänger

Als Liveband lassen sich Guns N’Roses am ehesten mit Led Zeppelin vergleichen. Beide führ(t)en gar nicht mal so viele Songs auf, aber die werden dann ordentlich per Soli gestreckt. Das fing bei den Gunners mit der „Use Your Illusion“-Tour an, und auch 2018 kommt einem Axl gelegentlich wie der Gaststar bei seinem eigenen Gig vor, der mal links, mal rechts durch den Vorhang für Minuten von der Bühne verschwindet und Slash das Geschehen überlässt. Schade nur, dass die Konzerte dennoch kürzer sind als die letzten USA-Auftritte, „Don’t Cry“, vor allem „You Could Be Mine“ fehlen hier doch sehr.

Zu „Use Your Illusion“, nicht „Appetite for Destruction“, gehörte auch der Pomp, wie etwa „Estranged“, ein komplex aufgebautes Lied aus zirka acht Strophen, die auch Refrains sein könnten, unterbrochen von zirka sechs Gitarren-Soli. „When you’re talkin‘ to yourself“, singt Rose, „And nobody’s home“, am Endes des gigantischen Lieds verbeugt er sich gar vor dem Publikum. Als wäre er ein Opernsänger. So eine Musik enstand 1991, und es hat sie seitdem nicht mehr gegeben.

Früher hatten Guns N’Roses immer einen Ansager, er kam auf die Bühne und rief diesen einen Satz: „You wanted the best. Well they didn’t make it! So here’s what you get. From Hollywood. Guns. N. Roses!“ Vielleicht war das ein Spott in Richtung anderer Bands, die viel versprechen, aber es nicht halten können – ihr wolltet das Beste, aber das haben die nicht hingekriegt.

Guns N’Roses sind heute so: Sie machen nichts Neues, ihnen gelingt nichts Neues. Aber einst erschufen sie das Beste, mindestens im Hardrock. Und daran erinnern, das können sie noch ziemlich gut.

Setlist Guns N’Roses in Berlin

  • It’s So Easy
  • Mr. Brownstone
  • Chinese Democracy
  • Welcome to the Jungle
  • Double Talkin‘ Jive
  • Better
  • Estranged
  • Live and Let Die
  • Rocket Queen
  • Attitude
  • This I Love
  • Civil War
  • Slither
  • Slash Guitar Solo
  • Speak Softly Love (Love Theme From The Godfather)
  • Sweet Child O‘ Mine
  • Wichita Lineman
  • Used to Love Her
  • Wish You Were Here
  • November Rain
  • Knockin‘ on Heaven’s Door
  • Nightrain
  • Patience
  • Paradise City

Guns N’Roses: Videos aus Berlin

https://www.youtube.com/watch?v=fEnyn7Ol_F4

https://www.youtube.com/watch?v=h5Vhx1MyG-s

https://www.youtube.com/watch?v=OD9PzJNc2qs

https://www.youtube.com/watch?v=8Uye-W4953s

https://www.youtube.com/watch?v=Z9OnOiOhU74

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