Indiana Jones: Warum „Das Königreich des Kristallschädels“ nicht der schlechteste Indy ist

Aliens und Affen an Lianen: Umgehend nachdem „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ ins Kino kam, wurde er zum unbeliebtesten Film der Abenteuer-Reihe. Zu Unrecht.

Es scheint eine Indiana-Jones-Faustregel zu geben. Bekannt wurde sie erst, nachdem sie vermeintlich gebrochen wurde. Indy dürfe – das erwarteten die Fans, wie sie im Shitstorm offenbarten – seinen Blick nur auf verborgene Schätze im Boden richten, in der Erde wühlen. Nicht nach oben schauen, nicht auf Ufos warten. „Watch The Skies!“: Das gilt vielleicht für Verrückte, sicher nicht für echte Forscher wie Dr. Jones. Groß war die Wut, als das erste Indy-Abenteuer nach 19 Jahren Pause Außerirdische ins Spiel brachte. Übersinnliches gehöre zum Archäologen dazu, das schon. Außerweltliches nicht.

Was wie ein Genrebruch anmutete, war in Wirklichkeit etwas anderes: bedingungslose Linientreue. Steven Spielberg und George Lucas legten ihren Abenteurer so an, dass er die politischen Gefahren seiner Zeit erkennen und bekämpfen sollte.

Spielberg in der Kritik:

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Das wurde mit den stilistischen Mitteln der jeweiligen Ära dargestellt. 1936 („Jäger des verlorenen Schatzes“) und 1938 („Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“) waren Nazis die Feinde der freien Welt. Indiana Jones‘ Geschichten sahen aus wie ein Western Serial. Das erblühte im Fernsehen ab den 1930er-Jahren.

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„Kristallschädel“ spielte 19 Jahre später, 1957. Gegen wen könnte Indy in dieser Ära kämpfen? Natürlich gegen die Russen. Atomare Bedrohung. Es geht immer um die Rettung des Planeten. Selbst im „Tempel des Todes“, dem zweiten Teil, wo er gekidnappte Kinder aus einem unterirdischen Reich in Indien herausholen sollte, wurde die Welteroberung geplant. Mola Ram wollte mit einer Armee von Zombies die Menschheit überrennen, zuerst die britischen Kolonialisten, dann die Moslems, die Juden und die Christen.

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„The Destroyer Of Worlds“, in Anlehnung an Oppenheimer, hieß ein früher Arbeitstitel des „Kristallschädels“. Amerika und die Sowjetunion im Kalten Krieg, die Aufrüstung durch Nuklearwaffen. Im „Jäger“ und dem „Kreuzzug“ musste Indy noch verhindern, dass Hitler mittels biblischer Artefakte zu unbegrenzter Macht aufsteigt. Der Nazi-Diktator interessierte sich tatsächlich für Okkultismus, den er aus dem Alten und Neuen Testament meinte ableiten zu können. Ende der 1950er-Jahre aber waren die Außerirdischen durch B-Movies wie „Gefahr aus dem Weltall“, „Die Körperfresser“ oder „Der Blob“ dominierende Unholde des Kinos geworden. Deshalb nun Aliens. Gott und die Heilige Schrift waren out.

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Auch die kleinen grünen Männchen standen für geheime Infiltration durch Kommies. Wer sich im „Kristallschädel“ an den stereotyp (geht das bei fiktiven Wesen überhaupt?) dargestellten Roswell-Figuren stört, geschlechtslose Nakedeis mit Riesenköpfen, vergisst: Das ist eine Hommage an die klassischen Besucher, wie wir sie uns damals vorstellten. Nicht zuletzt Spielberg selbst, in seiner „Unheimlichen Begegnung der Dritten Art“, stellte sie so dar wie in den Fünfzigern, viel später noch, 1977.

Indiana Jones: Nie wieder mit Sean Connery

Die B-Movie-Farbpalette ist Spielbergs beeindruckendste Konstruktion im „Kristallschädel“. Saturiert, glossy, strahlend. Es gibt wenige Bilder im Film, die mehr nach Amazonas, Calypso oder Tiki aussehen als Cate Blanchetts KGB-Agentin Irina Spalko, ein Lotte-Lenya-Verschnitt, schwarze Haare, schwarzer Stiefel, grauer Anzug, wie sie am Ast eines grünen Baums hängt, über sich ein klarer blauer Himmel, und eine rote Ameise zerquetscht. Es ist ein Kunstwerk aus Gefühlen, die über fünf Farben vermittelt werden. Es ist unfassbar stylish.

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Es gibt aber noch mehr Einstellungen, manche bewusst gewählt, andere aus der Not geboren, die von „Indy 4“ in Erinnerung bleiben. Das Drehbuch befand sich lange in der so genannten „Development Hell“ – unzählige Überarbeitungen des Stoffes und Uneinigkeiten zwischen den Beteiligten, die den Drehstart verzögerten. In Frank Darabonts Fassung des Scripts war erneut Sean Connery als Indys Vater, Henry Jones Sr., vorgesehen. Connery aber, damals 78, machte von vornherein klar, dass er unter keinen Umständen wieder vor die Kamera treten wolle. Damit war sein Rollentod beschlossene Sache. Der Senior war eine geliebte Figur, wie geht man mit dem Verlust um?

In einem knappen, aber umso berührenden Moment sehen wir den Sohn, wie er ein Porträtfoto des verstorbenen Herrn anblickt, eingerahmt auf seinem Schreibtisch. Für zehn Sekunden haben wir Connery wieder zurück. Harrison Ford verliert sich im Porträt. Sein Blick enthält alle Emotionen und Gedanken, die seine Figur gegenüber dem allmächtigen Vater bereithält: Skepsis, Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Wunsch nach Anerkennung. Und doch verzieht er keine Miene. Indiana packt seinen Koffer, er weiß, dass er sein vielleicht letztes Abenteuer bestreiten wird. Er hofft, dass der Vater über ihn wacht.

Tatsächlich war der Verzicht auf Connery kein Nachteil. Er hätte im „Kristallschädel“ Fords Tempo noch mehr runtergezogen. Der eine 66, der andere 78 Jahre alt. Der Besetzung drohte auch so schon Überalterung. Der mit Brimborium auf der Comic-Con in San Diego enthüllte Coup, Karen „Marion Ravenwood“ Allen aus „Raiders“ zurückgeholt zu haben, wurde mit zurückhaltenderem Applaus quittiert, als Steven Spielberg gehofft haben dürfte. Mit Allen, damals 57, wurde es im Dschungel dann noch mal eine Runde langsamer. Dazu John Hurt, 67, der eigentlich Abner Ravenwood hätte sein müssen, aber hier als „Professor Oxley“ auftrat. Die Schunkel-Crew war komplett.

„Welcome To Earth!“

Schon der verschlissene Drehbuchautor Frank Darabont hatte um die Gefahr der Verrentnerung gewusst und Sean Connerys Jones in seinem Script keine bedeutende Rolle zugewiesen. Henry Sr. war der ältere Herr, der zu Hause auf Indiana wartet und ihm Vorhaltungen macht. Darabonts in großen Teilen abgelehnte, dann von David Koepp („Jurassic Park“) überarbeitete und ergänzte Fassung finden Sie im Netz.

Der unbeliebte Sohn Mutt (Shia LaBeouf) kommt darin nicht vor. Das Drehbuch Darabonts ist nicht besser als Koepps, aber an manchen Stellen lustiger, zum Beispiel als Indys überwunden geglaubte Schlangenphobie wieder ausbricht. Anderes wurde zu Recht gestrichen, wie Jones‘ Schwarzenegger-Spruch, mit dem er das Endmonster erschießt: „Welcome To Earth!“ Dass der Amerikaner Jones, den das FBI verdächtigt mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten, sich Hilfe von einem Besuch bei seinem Freund „Heinrich in Leipzig“ verspricht, ist ein ziemlicher Schnitzer. Er beweist Unkenntnis der deutsch-deutschen Landkarte und geht vielleicht aufs Konto von Autor Koepp.

Allerdings ist jeder Indiana-Jones-Film nur so gut wie seine Eröffnung, und dieser Film präsentiert die beeindruckendste seit „Raiders“ von 1981. Die Kommies haben den Archäologen gekidnappt und in die Area 51 von Roswell gebracht. Er soll die Truhe finden, in der ein Außerirdischer liegt. Der anschließende Kampf gegen die Ivans würde jedoch nur der Anfang sein, und das darauf folgende Highlight ist das einzige, das nicht bereits im alles spoilernden Kinotrailer, der sämtlich Set Pieces des Films auffährt, verraten wurde. Per Test-Expresszug (dessen Existenz in Roswell als gesichert gilt), geht es in ein künstlich angelegtes, von Schaufensterpuppen bevölkertes Dorf in der Wüste. Wo ein Atomtest stattfindet. Den Indiana Jones überlebt. Weil er sich in einem Kühlschrank einschließt.

Karen Allen als Marion Ravenwood

Selten wirkte ein Schauplatz in einem Spielberg-Film verstörender als diese Atomtest-Kulisse. Die Puppen im Familienstil der amerikanischen 1950er, vor einem laufenden Fernseher drapiert, die grinsenden Plastikgesichter blicken leblos in die Röhre, draußen winkt der Postboten-Pappkamerad, neben ihm der künstliche Eismann: Die Postkarten-Idylle ist der reine Horror, der Countdown bis zur Zündung der Bombe auch. Es ist kein Wunder, dass Indiana Jones zunächst gar nicht versteht, wo er gelandet ist. In voller Abenteurer-Montur steht er neben einer behängten Wäscheleine im Garten. Eine unbezahlbare Aufnahme im Indiana-Jones-Kosmos, fast schon einer Verwechslungskomödie würdig. Auf dem Rasen rennt er ein Plastikmädchen um und bekommt fast einen Herzinfarkt. Er denkt, die Welt ist ausgestorben. Und er ruft immer nur „Hallo?“.

Im altmodischen Kostüm wird Indy zum Statisten in einem Comic-Albtraum. Was folgt, ist das härteste Bild der ganzen Reihe, die Konfrontation zweier ikonografischer Darstellungen im selben Bild: der Mann mit der Fedora und der Atompilz. Indiana Jones ist im Nuklearzeitalter angekommen.

Es ist auch ein Beleg dafür, wie Steven Spielberg sich seit dem voran gegangenen „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ von 1989 weiterentwickelt hat, welches Drama er dem Actionhelden mittlerweile zutraut.

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Etliche Fans behaupten, dass die Atombomben-Explosion, die Indy eingeschlossen in einem kilometerweit weggefegten Kühlschrank überlebt, den „Jumping the Shark“-Moment der Reihe ausmacht. Darunter versteht man, dass ein Film übers Ziel hinaus geschossen ist und seine Glaubwürdigkeit unwiederbringlich verloren hat. Für „Indy 4“ erfanden sie sogar eine neue Formulierung für Irrsinn, „Nuking The Fridge“. Lustig. Aber wer hier „Jumping The Shark“ unterstellt, hat die eine oder andere frühere Ungereimtheit vielleicht vergessen.

Da reicht ein Blick auf den als unantastbar geltenden „Jäger des verlorenen Schatzes“. Wie könnte Indy jene meilenlange Unterwasserfahrt nicht in, sondern auf dem U-Boot überlebt haben? Mit Kiemen plus sicherem Griff? Dennoch sprach hier keiner von „Jumping The Shark“. Vielleicht, weil niemand beurteilen wollte, was nicht gezeigt wurde oder weggelassen werden musste. Indy ist aber kein Fisch, er wäre also ertrunken. Boarding unmöglich. Aber warum genau hinschauen? Indiana Jones ist ein Held, er schafft das. Die Magie des Kinos. U-Boot und Kühlschrank: beides kein „Jumping The Shark“.

Die Ideen im „Kristallschädel“ zünden nicht immer, aber es ist ein mutigeres Werk als „der letzte Kreuzzug“ von 1989, der die erfolgreiche „Raiders“-Formel, Nazis, Wüste, Bibel, wiederholen wollte, nur mit etwas mehr Nestwärme durch Vater-Sohn-Gespann. Regisseur Spielberg hatte Recht mit der Behauptung, der Harrison Ford von 2008 sehe fitter aus als der 47-jährige des Vorgänger-Films. Indy ’89 trug zu Lederjacke und Fedora ja sogar eine Krawatte. Und ständig muss er eine Truppe älterer Herren, die ihn aufhalten, zusammenhalten, Henry Sr., Sallah und Marcus „Pen“ Brody.

Der „Kreuzzug“ wird gnädig beurteilt, obwohl die Schwächen offensichtlich sind. Die Stop-Motion-Effekte (Donovans Verwandlung) waren selbst für ihre Zeit erschreckend veraltet, Alison Doody und Julian Glover keine Love-To-Hate-You-Bösewichte. Die Actionszenen wirkten so, als seien sie einer „Worin haben wir Indy noch nicht gesehen?“-Checkliste entnommen (Motorrad, Motorboot, Doppeldecker). Douglas Slocombes Kamera, mindestens der Farbfilter und das Licht sind ungnädig: alle Darsteller haben einen Rotstich, als hätten sie sich einen Sonnenbrand geholt; Ford sieht aus wie aufgeblasen. Die Rätsel im Kreuzritter-Tempel wiederum bieten keine Spektakel, eine Spinnen-Szene wurde wegen ihrer „Raiders“-Ähnlichkeit gar herausgeschnitten, und die Fallen sind zutiefst bedenklich, was ihre Ablehnung von Muslimen angeht, wie jüngst auch „Cracked“ herausstellte.

Vielleicht ist der „Kristallschädel“ an manchen Stellen peinlicher, mehr Pop, mehr Camp – aber er ist auch der Versuch einer neuen Erzählung, bietet keine Rückversicherung zum Indy-Auftakt, wie der „Kreuzzug“ es sich leistete.

Was „Indiana Jones 3“, das Abenteuer um den Heiligen Gral, und nicht das Sci-Fi-Märchen „Indy 4“ zum schlechtesten Film der Saga macht.

Leider ist „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ trotz seiner atemberaubenden Eröffnung, trotz Roswell, Hochgeschwindigkeitszug, Atombombe und Kühlschrank, kein Meisterwerk geworden. Die Enttäuschung lässt sich genau bestimmen: Ab dem Dschungel wird’s schlechter. Indy und Freunde verlieren sich im Regenwald. Schon die Reisebewegungen auf der legendären Travel Map wurden dieses mal verlangsamt, weil Dr. Jones sich während des Abenteuers nicht weit von den USA wegbewegt, John Williams‘ Fanfare scheint davonzueilen.  Die südamerikanische „goldene Stadt“ als entleerte Ruine ist reizlos. Die im Trailer prominent hervorgehobene, buchstäbliche Entpuppung der dort versteckten Indios hat keinen Schauwert. Wasserfälle, und seien sie noch so hoch, vermitteln kein Gefühl von Gefahr, so lange sie computeranimiert sind. Und die tödlichen Fallen haben „National Treasure“-Niveau.

Die Wirkung der Panzerwagen-Verfolgungsjagd wird durch sichtbare CGI-Effekte abgeschwächt. Kein Vergleich zu den herausragenden Stunt-Leistungen des LKW-Rennens von „Raiders“. Überhaupt ließ Spielberg in der Wahl seiner „Kristallschädel“-Schauplätze gelegentlich Fingerspitzengefühl vermissen. Der als Comic Relief angelegte, aber nicht wirklich lustige Moment, in dem Indiana und Marion im Sumpf zu versinken drohen und dabei ausgerechnet die Frage nach einer Vaterschaft klären, findet allem Anschein nach in einer – schlecht ausgeleuchteten – Studiokulisse statt. So künstlich sah noch keine Indy-Umgebung aus.

Was ebenfalls stimmt und bedauernswert ist, auch wenn es Mäkelei auf Fanboy-Niveau darstellt: Dr. Jones gibt während des ganzen Films nicht einen einzigen Schuss aus einer Pistole ab. Die beiden Situationen, in denen Ford seine Peitsche schwingt, sind ebenfalls ungünstig geschnitten. Einmal, in der Area 51, sieht sein ganzer Körper aus wie animiert, das zweite mal verharrt die Kamera auf dem Oberkörper des Schauspielers, zeigt also den Schwung der Peitsche nicht – eindeutiges Zeichen dafür, dass Ford es verlernt hat.

Als größten WTF?-Moment bezeichneten Fans aber jenen Tarzan-Auftritt von Indys Sohn Mutt, dem Affen das Lianenschwingen beibringen. Das sieht wirklich affig aus. Aber es ging Spielberg da auch um etwas Anderes.

Es ging um die längst überfällige Entzauberung der Superhelden Indiana Jones und dessen möglichem Nachfolger Mutt. Wir mussten akzeptieren: Was die Zwei können, können Tiere noch besser. Zumindest manches.

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