Pixies
Surfer Rosa
Kein Grunge ohne diese Platte: Das Debütalbum der Pixies, „Surfer Rosa“
Geschmückt wird „Surfer Rosa“ vom Foto einer barbusigen Flamenco-Tänzerin, hinter ihr ein zerrissener Vorhang und ein Kruzifix. Sexualität und Religion, Trieb und Schuldgefühle. Das schlechte Gewissen. Black Francis, 22, schrie die Doppelbelastung heraus: Er glaubte an Gott, und er hätte gerne Sex.
Er orientierte sich dabei an einem Ratschlag, den er vor gar nicht allzu langer Zeit erhielt: „No, Scream it like you hate that bitch!“.
Dazu forderte ihn sein chinesischer Nachbar auf, als er, noch mit dem echten Namen Charles Michael Kittridge Thompson ansprechbar, an der Gitarre übte. Er sollte mehr Brutalität, mehr Aggression in die Stimme legen. Und natürlich mehr Lautstärke.
Mit den Pixies entwickelte Black Francis die heute gängige Leise-Laut-Dynamik. Strophe normal, Chorus geschrien. Schon bei ihrer Debüt-E.P. „Come On Pilgrim“ von 1987 wurde ein Song mit dem schönen Titel „Caribou“ zum Akt einer Selbstverstümmelung: „This human form/Where I was born/I now repent.“
Mit ihrer Debüt-LP „Surfer Rosa“ zementierten die Pixies dann ihre „Loud Quiet Loud“-Dynamik, heute nennt man sie offiziell so, strenggenommen müsste sie, dem Songaufbau entsprechend, „Quiet Loud Quiet“ heißen. Thompson, nun also Black Francis, ließ keinen Zweifel daran, dass ihm Sex zusteht: „Break My Body“, „Broken Face“, und die Vagina ist eine „Bone Machine“.
Aber es war keine den Männern vorbehaltene sexuelle Gewalt. Auch das von Kim Deal gesungene, vermeintlich niedliche „Gigantic“ dreht sich um Penisgrößen. Black Francis, ein Egomane, ließ „Gigantic“ als allererste Single-Auskopplung der Pixies zu; er riskierte, dass Deal damit als Haupt-Sängerin der Band bezeichnet werden könnte. Die stets lächelnde Bassistin stutzte den Chef, den Chef mit seinen Allmachtfantasien, allein mit ihrer Anwesenheit zurecht.
In den um Haltung bemühten College-Rock brachten Pixies das Chaos, Steve Albini richtete dazu einen Drum-Sound ein, so brutal, dass Bands wie Nirvana oder Manic Street Preachers den Produzenten danach selbst engagierten. Für den „Surfer Rosa“-Schlagzeugklang war angeblich nur die Akustik eines der Aufnahmeräume nötig. Die Gitarrenplektren waren aus Stahl.
Albini schrieb später einen Artikel über die Pixies, in dem er ihre angebliche Hörigkeit gegenüber Management und Plattenfirma kritisierte: „Nie zuvor habe ich solche vier Ochsen gesehen, die sich so freiwillig an ihren Nasenringen herumführen ließen.“ Die vier Musiker schienen solche zu sein, die ihre Wut nur in den Songs auslebten.
Sei’s drum, die in die Tracklist eingestreuten Sprechschnipsel brachten Horror („I said you fucking die!“) oder Humor („All I know is that … There were rumours he was into field hockey players“) in eines der sowieso schon aufregendsten Debütalben des Jahrzehnts.
Wie lässt sich die Musik der Pixies beschreiben? Eine Beschreibung gelingt nicht mal denjenigen, die sich für die Denker des Pop halten. In der 2004 veröffentlichten Videodokumentation „Gouge“ ist es geradezu lustig, wie Großkünstler sich daran versuchen. Bono im Superlativ: „Black Francis ist einer der größten amerikanischen Songwriter aller Zeiten.“ PJ Harvey: „Die Dynamiken! Die Musik!“ Graham Coxon: „Das Wort Penis hatte ich noch nie vorher in einem Song gehört!“
Coxon und Blur-Bassist Alex James, ebenso Radiohead-Sänger Thom Yorke betonen, dass sie beim ersten Europa-Auftritt der Pixies im Publikum saßen, 1988 im Londoner „The Mean Fiddler“. Bei Yorke und den Blur-Leuten klingt Demut durch. So viel Ehre durch Anwesenheitsbekundung kam vorher wohl nur den Sex Pistols zuteil. Bei deren Debütauftritt 1976 in Manchester, „der Geburtsstunde des Punk“, will auch jeder dabei gewesen sein, jenen Funken gespürt haben, der die eigene Karriere initiierte, von Mick Hucknall über Tony Wilson bis Morrissey und Mark E. Smith. So entstehen Legenden.
Ausgerechnet David Bowie, der wie kaum ein anderer die Rätselhaftigkeit im Kompositionsprozess zum Prinzip erhoben hatte, stellt in der „Gouge“-Doku einen schulmeisterlich an seinen Fingern abgezählten Dreipunkte-Plan-auf, mit dem er die Magie der Pixies fassbar machen will. 1. Die Leise-Laut-Dynamik. 2. Die Texte, in denen Black Francis die Gewalt aus biblischen Geschichten herausfiltert. Inzest, Vergewaltigung, Transsexualität. 3. Joey Santiagos Leadgitarre, die Wechsel von engelsgleich zu teuflisch.
Dabei redet selbst Pixies-Gitarrist Santiago in Rätseln über seine Musik. Als Jugendlicher, sagte Santiago, hörte er erstmals das Velvet-Underground-Album „White Light / White Heat.“
Und sagte danach: „Das ist machbar. Das kann ich auch.“ So einfach? Unfassbar.