Roxy Music
Roxy Music
Eine aufregende Entdeckung: Die Deluxe-Box zum Debütalbum macht die ersten Roxy-Music-Aufnahmen zugänglich
Bryan Ferry war tatsächlich mal ein junger Mann seiner Zeit. Er trug halblange Haare mit Seitenscheitel, das Goldkettchen über dem T-Shirt. Nur Eno sah immer wie Eno aus. Ein paar Fotos im Bildband zur Deluxe-Wiederveröffentlichung des Roxy-Music-Debüts entstanden während der Studioaufnahmen, sie zeigen die Band in einer privaten Situation. Auf der Bühne waren sie von Beginn an eine Rock’n’Roll-Fantasie, ein Hybrid aus Elvis Presleys Goldlamé-Anzug und transvestitischen Pfauenfederjäckchen.
46 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung nun also „Roxy Music“ als elegante 4-CD-Box im LP-Format. Sie enthält das von Bob Ludwig 1999 remasterte Originalalbum, einen neuen Mix von Steven Wilson, die Peel-Sessions, zehn Album-Outtakes, ein paar Live-Tracks und eine DVD mit Konzert- und TV-Auftritten. Sie enthält aber vor allem die hier erstmals veröffentlichen Demoaufnahmen aus dem Mai 1971.
Und die sind eine Entdeckung. Wie zart „Ladytron“ dräut: 70 Sekunden lang darf Eno an seinem VCS 3 herumdrehen, bis Andy Mackays elektronisch verdoppelte Oboe ihren Weg durch die Synthieschlieren findet, um schließlich davon verschluckt zu werden und Ferrys dekadentem Vibrato Platz zu machen. Verglichen damit ist die Albumversion eine Hitsingle. Wir hören also die von sanften Paukenschlägen begleitete Urfassung, eingespielt von der Originalbesetzung mit dem psychedelischen Jazz-Gitarristen Roger Bunn und dem Avantgarde-Schlagzeuger Dexter Lloyd. Anders ein Jahr später, als Bunn durch Phil Manzanera und Lloyd durch Paul Thompson ersetzt wurden und treibende Drums die finale Albumversion von „Ladytron“ bestimmen, in deren Mitte nun ein Gitarrensolo thront.
Die allerersten Aufnahmen zeigen eine Band, die sich zwischen Jazz, Art-Rock und perkussiver, semielektronischer Avantgarde bewegt. Enos Experimente dominieren, Mackays Spiel erinnert an Yusef Lateef. Krautrockige Instrumentalpassagen prägen das hier siebenminütige „2HB“, und plötzlich kann man sich Ferry als Sänger bei King Crimson vorstellen – 1970 war er dafür im Gespräch gewesen.
„Die Musik schimmert ungesund wie ein Stück verfaultes Fleisch“, urteilte Robert Christgau 1972 in der „Village Voice“, als das Debütalbum schließlich erschien. Das Ende des Rock’n’Roll, wie er ihn kannte. Roxy Music waren aufregend fremd. Kitsch, Intellekt, Glamour, Avantgarde und Eklektizismus trafen sich zu einer Sternstunde des Pop. Inkommensurabel indeed! (Universal)