A-ha-Songwriter Pål Waaktaar im Interview: „’Take On Me‘ hat alle Türen geöffnet, aber …“
Über einen Zeitraum von zwei Jahren ließ sich A-ha-Mastermind Pål Waaktaar vom Journalisten Ørjan Nilsson für ein Buch begleiten. Entstanden ist ein einfühlsames Porträt des Songwriters – der jedoch eine klare Haltung vertritt, was das Norwegen seiner Kindheit angeht und die heutige Rolle seiner Band.
Mit „Tears from a Stone“ (Riva) erscheint die bislang umfangreichste Biografie über Pål Waaktaar-Savoy. Der A-ha-Gitarrist, 56, ist der wichtigste lebende Songwriter Norwegens, etliche Hits wie „Take On Me“, „Hunting High and Low“ oder „The Sun Always Shines On T.V.“ stammen aus seiner Feder. In dem vom Kulturjournalisten Ørjan Nilsson verfassten Porträt, zusammengetragen aus einem zweijährigen Interviewzeitraum, erzählt Waaktaar über seine Kindheit in Oslo, den ersten Anfängen mit A-ha sowie über seine Skepsis, was die jüngste Entwicklung des Trios angeht. ROLLING STONE traf Waktaar und Nilsson in der Norwegischen Botschaft in Berlin am Tag des A-ha-Konzerts in der Mercedes Benz Arena (29. Januar 2018)
Herr Nilsson, in der Biografie werden Musiker gestreift, die Pal Waaktaar inspiriert haben. Etwa der Puerto Ricaner José Feliciano, der das Gitarrenspiel auf „Summer Moved On“ beeinflusst hat.
Ørjan Nilsson: Das war eines der Ziele, die ich mit „Tears From A Stone“ verfolgte: Ich wollte herausfinden, was sich in den Songs entdecken lässt. Welche Kunst Pal gefiel, welche Filme er gesehen hat – was also zu welchen Liedern führte. Zum Stück gehören Melodie und Text, natürlich, aber auch die Zeit, in der es entstand.
Pål Waaktaar-Savoy: Was wie eine einfache Aufgabe klingt. Aber keine war.
Sind Sie bei ihren Interviews an Grenzen gestoßen?
Nilsson: Ich hatte damit gerechnet, aber wir verstanden uns schnell. Pål hatte mein erstes Buch gelesen, eine Biografie über die Kings Of Convenience. So wurde auch klar, dass ich kein Interesse hatte an einer A-ha-Story, die sich um Skandale oder Streitereien dreht. Es ging mir ums Songwriting.
Waaktaar: Ich wollte bewusst keine Kontrolle über das Material haben. Ørjan durfte fragen, was er wollte.
Nilsson: Es gab drei Lebensräume, denen ich mich näherte: Wir sprachen in New York miteinander, wo Pal seit vielen Jahren wohnt, in Oslo sowie auf Tournee. Das Buchprojekt fiel in eine sehr ereignisreiche Zeit. A-ha feierten ihre Reunion, es gibt nun neue Musik mit seiner Band Savoy, außerdem sein Duo Waktaar & Zoe. Pål, Du sagtest mal zu mir, Du würdest auf Tournee keine Songs schreiben. Dann traf ich Dich ein halbes Jahr später in Berlin, und da präsentiertest Du mir gleich vier neue. Es gab viele Veränderungen in Deinen Erzählungen, das machte den Reiz aus.
Wie sind Sie in der Auswahl der Gesprächspartner vorgegangen?
Nilsson: Für mich stand fest, dass ich nicht bei Morten Harket und Magne Furuholmen anfragen würde. Das wäre ein „A-ha Light“-Buch geworden. Ich sprach mit Påls engstem Umfeld: seinen Eltern, seiner Ehefrau Lauren Savoy, Produzenten wie Alan Tarney. Und ich schildere Erfahrungen von jüngeren A-ha-Konzerten, die nicht zu den besten ihrer Karriere gehören.
Waaktaar: Es waren die frühen 1990er-Jahre, die eine besondere Zeit für uns als Live-Act darstellten. Wir spielten vor 40.000 und mehr Zuschauern und hatten eine Backingband, die 100 Prozent live spielte. Wir gingen im Rehearsal einen neuen Song an und spielten ihn am Abend live vor den Fans. Es war das erste Mal in unserer Karriere, dass wir uns wie eine Liveband fühlten.
Nach der vorläufigen Trennung 2010 traten A-ha doch noch ein weiteres Mal auf: Bei der Gedenkfeier für die Todesopfer der Anschläge in Oslo und auf der Insel Utoya. Warum wird das im Buch nicht behandelt?
Nilsson: Es gibt dazu eine Fußnote in der Biografie. Es war ein sehr wichtiges Konzert, aber A-ha standen bei der Gedenkfeier nicht im Mittelpunkt. Es ging bei der Veranstaltung um die Todesopfer. Das Attentat war für uns Norweger traumatisch.
Herr Waktaar, Sie gehen zum Teil hart mit A-ha ins Gericht. Sie weisen darauf hin, dass Morten Harket kaum noch mit tieferer, oder wie Sie sagen: männlicherer Stimme singt, es fällt der Begriff „Kastratensänger“. Sprechen Sie mit ihm über seinen Stil?
Lassen Sie mich kurz Luft holen (lächelt, deutet an sich Luft zu verschaffen, indem er seine Jacke auszieht). Wir diskutieren innerhalb der Band selbstverständlich alles. Ich bin mir sicher, dass Morten in jeder Tonlage gerne singt. Wir versuchen ihm da aber nicht hineinzureden. Er hat sich auch noch nie beklagt. Natürlich liegt der größte Wiedererkennungswert in seinem Falsett. Es ist sein Markenzeichen. Aber ich finde auch, dass er diesen Effekt manchmal überstrapaziert hat.
Ein Fokus der Biografie liegt auf Ihrem Songwriting. Sie sagen, der Vers ist manchmal wichtiger als der Refrain – das kann man sich kaum vorstellen, wenn man etwa „Take On Me“ hört, das ganz auf die Eingängigkeit des Chorus setzt …
Doch, und der C-Part, die Middle Eight, kann manchmal wichtiger sein als der Vers!
Ein herausstechender Song ist „I Call Your Name“. Nach dem ersten Refrain floriert das Lied frei, kehrt nicht mehr zum Strophe-Refrain-Muster zurück …
Sowas lässt sich grundsätzlich nicht bei der Komposition planen. Das Lied diktiert mir das. Mein Blues-Gitarrenriff ab der zweiten Hälfte war wie eine Post-Chorus-Melodie.
Mitte der Neunziger hatten Sie von „Take On Me“ derart genug, dass Sie den Song gar nicht mehr spielen wollten. Dabei begründete er Ihre Karriere. Empfinden Sie das Lied als Fluch oder Segen?
Es ist ganz sicher kein Fluch. Aber mit diesem Lied bin ich fertig. Ich interessiere mich nicht mehr dafür. Es liegt immer in der Luft, wir haben es eine Millionen mal aufgeführt. Aber, ja, „Take On Me“ hat uns damals sehr schnell alle Türen geöffnet. Wäre ein anderer Song als erste Single erschienen, wäre alles vielleicht langsamer verlaufen, hätte die Band vielleicht einen anderen Handlungsbogen eingeschlagen. Wir sind Norweger, und uns gelang ein Erfolg, der Landsleuten verwehrt geblieben war. Und wir wollten ja den größtmöglichen Erfolg. Inzwischen ist es einfacher geworden, auf sich aufmerksam zu machen. Man muss nicht mehr aus England oder den USA kommen.
Sie müssen überzeugt davon gewesen sein, dass „Take On Me“ ein Hit wird. Erst die zweite Version wurde eine Nummer eins, und insgesamt hatten Sie das Lied dreimal veröffentlicht.
Dabei war unser Verlagshaus sogar anderer Meinung. Dort hieß es, wir sollten „Living a Boy’s Adventure Tale“ als Debütsingle herausbringen. Und „The Sun Always Shines On T.V.“ war zwar das letzte Lied, das wir dem Album beifügten, aber auch darüber wurde als mögliche erste Auskopplung diskutiert.
Die norwegischen Medienanstalten scheinen internationalen Pop bis in die mittleren 1980er-Jahre verschlafen zu haben. Dass A-ha für den staatlichen Rundfunk NRK 1991 ein triumphales Studio-Konzert einspielten, muss eine Genugtuung für Sie gewesen sein.
Waaktaar: Ich wuchs in den 1960ern auf, es war eine andere Welt, it was a whole different ballpark. Eine Stunde die Woche – das war die Dauer, für die NRK damals Popmusik vorstellte. Das war alles, und woanders gab es gar nichts. Man hatte dann schnell zu sein mit dem Kassettenrekorder, um aufzunehmen, was dort lief.
Die norwegischen Charts wurden von den Sendern bestimmt, es lief kaum englischsprachige Musik.
Ja. Und ich war glücklich mit unserer Live-Aufzeichnung für NRK. Es war vielleicht das erste Mal, dass wir eine Fernseh-Aufnahme bewerkstelligten, die kein Playback mit Lippensynchronität war. Es war die Ära von „East Of The Sun, West Of The Moon“ und „Memorial Beach“, 1990 bis 1993, als wir einfach keine Popstars mehr sein wollten. Das Gegenteil von dem, was A-ha die ersten fünf Jahre ihrer Karriere verfolgten.
Zwischen den Songs wurden Texte des Schriftstellers Lars Saabye Christensen eingespielt, die er selbst vortrug.
Sowie Toureindrücke meiner Ehefrau, der Musikerin Lauren Savoy. Christensen hat einfach eine tolle Radiostimme.
Es verwundert, dass Sie bei ihrer aktuellen „Unplugged“-Tour keine Songs aus „East Of The Sun …“ spielen. Die Platte zelebrierte doch ein reduziertes Bandgefühl.
Fragen dieser Art werden uns sehr oft gestellt. Aber wir Drei setzen uns nunmal nicht hin, gehen die einzelnen Alben durch und achten darauf, dass von jedem Werk die gleiche Anzahl Songs aufgeführt wird. Wir betrachten die Lieder dahingehend, wie wir sie in neuer Form aufbereiten können. Dies ist ein weiterer Grund für den Verzicht auf Stücke dieser Platte: Wir hatten damals das Gefühl, „East Of The Sun …“ war gut so in seiner Form. Und dass es nun für „Unplugged“ eine größere Herausforderung war, Songs von Alben zu nehmen, die damals andersartig produziert wurden. Viele unserer Lieder wurden ja auf Klavier oder Gitarre allein komponiert. Im Kopf hatte man da noch die perfekte Version. Sobald das Stück eingespielt wird, beginnt die immerwährende Jagd nach Perfektion. Nach jenem Gefühl, dass der Song Dir ganz am Anfang gab.