Ende der Eskalation nicht abzusehen: Roger Waters und der Boykott Israels
A Saucerful of Antisemitismus: Der Bassist und seine Musikerfreunde rufen zum Israel-Boykott auf
Eines der meistdiskutierten Konzerte des vergangenen Jahres fand gar nicht statt. Die auch in diesem Magazin hochgeschätzte britische Rapperin Kate Tempest wollte am 6. Oktober in der Berliner Volksbühne spielen, es wäre das erste Konzert unter der Regie des neuen Intendanten Chris Dercon gewesen. Doch eine Woche vor dem Termin sagte Kate Tempest den Auftritt ab: Sie habe in E‑Mails und den sozialen Medien „Drohungen“ erhalten. Den Grund für die „Drohungen“ verschwieg sie freilich. Tempest wurde in den genannten Kommentaren des Antisemitismus bezichtigt. Darum forderte man die Volksbühne auf, ihr keine öffentliche Plattform zu bieten.
Nun war Tempest bislang zwar nicht mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen. Allerdings hat sie vor zwei Jahren eine Petition der Gruppe Artists for Palestine unterzeichnet, die britische Künstler auffordert, nicht in Israel aufzutreten. Deren bekanntester Akteur ist der ehemalige Pink-Floyd-Bassist Roger Waters, der seit Jahren schon jeden Musiker, der etwa ein Konzert in Tel Aviv geben möchte, mit kräftigen Shitstorms überzieht. Kürzlich gerieten Radiohead in sein Visier, die zwar trotzdem in Tel Aviv spielten, aber die von Waters gegen sie entfachte Kampagne als „zermürbende Erfahrung“ bezeichneten.
Artists for Palestine wiederum sind mit der propalästinensischen Initiative Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) verschwistert. Diese betrachtet Israel als Apartheid-Staat, dessen Existenzrecht sich bestreiten lasse. Ihr Ziel ist der vollständige Boykott Israels nach dem Vorbild der Anti-Apartheid-Boykotts gegen Südafrika in den 80er-Jahren. Bisher war die Organisation vor allem in den USA und Großbritannien tätig, sie rief zum Boykott von Kulturveranstaltungen auf, an denen der Staat Israel beteiligt ist, und von Wirtschaftsunternehmen, die in Israel produzieren lassen oder auch nur Güter dorthin verkaufen.
In Deutschland war BDS bisher weniger aktiv und nicht so bekannt. Ihren ersten größeren Auftritt hatte die Organisation im August, als sie eine Reihe von arabischen und europäischen Musikern dazu brachte, das Berliner Pop-Kultur-Festival zu boykottieren. Grund dafür war der Auftritt einer israelischen Musikerin, Riff Cohen, die von der Israelischen Botschaft in Berlin mit 500 Euro Reisekostenzuschuss bedacht worden war – was die Kampagnenführer von BDS zum Anlass für die falsche Aussage nahmen, der israelische Staat hätte das Festival mitorganisiert. Darum erging an sämtliche beteiligten Künstler der Aufruf, nicht bei Pop-Kultur aufzutreten.
„Als wäre nichts geschehen?“
Auch als klar wurde, dass die Israelische Botschaft keinerlei Einfluss auf das Programm hatte, hielt BDS an der Kampagne fest: denn jede kulturelle Präsenz Israels sei zu boykottieren. Was auch die Frage beantwortet, ob die Organisation antisemitisch oder „nur“ – wie sie sich selbst bezeichnet – anti-israelisch ist: Wen die Teilnahme einer israelischen Künstlerin an einem Festival dazu verleitet, dessen totalen Boykott zu fordern, der betrachtet einen einzelnen Menschen nicht mehr als solchen, sondern als Symbol eines verhassten Volkes. Das ist ohne Frage antisemitisch und sollte auch mühelos als solches erkannt werden können. Zur allgemeinen Überraschung des Publikums und zum Entsetzen der Veranstalter sagten dennoch – oder gerade deswegen – sämtliche eingeladenen arabischen Künstler und auch einige Europäer ihre Teilnahme ab.
Auf diesen Boykott folgten die Aufrufe zum Gegenboykott: Einige Journalisten durchpflügten die Unterstützerlisten des BDS und stießen dort unter anderem auf den Namen – Kate Tempest. Könne es denn sein, dass sie ein Konzert in der Volksbühne spielen dürfe, als wäre nichts geschehen? Die Volksbühnen-Verantwortlichen versuchten die Künstlerin zu einer Erklärung zu bewegen, in der sie sich von antisemitischen Umtrieben im Allgemeinen und von BDS im Besonderen distanziert. Dazu war Tempest offenbar nicht bereit. Stattdessen sagte ihr Management den Auftritt ab.
Man könnte das Ganze als Petitesse aus der hauptstädtischen Pop- und Theaterszene betrachten – aber die Spirale aus Boykott und Gegenboykott dreht sich weiter. Beim Konzert von Nick Cave verteilten BDS-Aktivisten Flugblätter, auf denen sie gegen Caves geplanten Auftritt in Tel Aviv protestierten. Und die britische Rap-Gruppe Young Fathers, die ihren Auftritt beim Pop-Kultur-Festival wegen der BDS-Kampagne abgesagt hatte, findet für ihre geplante Deutschlandtournee nun keine Auftrittmöglichkeiten mehr.
So hat der Nahostkonflikt mit seinen unerbittlichen Polarisierungen in das hiesige Kulturleben Einzug gehalten. Ein Ende der Eskalation ist nicht abzusehen.