Review: „Twin Peaks“, Staffel drei, Folge neun: Audreys rote High Heels
Lynch „geht viral“, erinnert an Tarantino – und führt den Irrweg seines Coopers weiter. Review von „The Return – Part 9“.
Wer Folge neun von „The Return“ direkt nach der achten sieht, wird Zeuge eines gigantischen Kontrasts. Auf den „Destroyer Of Worlds“ eines Oppenheimer, auf die Hiroshima-Bombe und die Geburt des Dämonen BOB, sprich: auf eine Folge, über die auch in Jahren noch Lynch-Anhänger reden werden, folgt das: ein Spaziergang in der Natur.
Lynchs Auge für Schönheit, die den Schrecken nicht zu verbergen vermag, zeigt sich auch hier, in der allersten Einstellung von Episode neun. Cooper (Kyle McLachlan) kommt im Sonnenlicht langsam näher, entlang einer von Bäumen gesäumten Allee. Ein prächtiges Bild, wie der Südstaaten-Plantagen-Romantik von „Fackeln um Sturm“ entnommen. Dann sind die ersten Krähen zu hören, Coop reißt wie beiläufig ein rotes Piratenhalstuch von einem Zaun, ist schon dichter dran – und wir sehen, dass sein Gesicht blutüberströmt ist. Ja, da war doch was: Eigentlich ist er tot, wurde in der Wüste erschossen.
Es gibt eine zweite fantastische Einstellung in „The Return – Part 9“. Dougie (McLachlan) sitzt vor dem Büro seines Chefs, nach seiner Rückkehr aus der Black Lodge noch immer apathisch, und dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Er sieht in einer Zimmerecke die US-Flagge, sie hängt an einem Ständer wie traurig und nicht abgeholt, und „America The Beautiful“ ertönt leise; sein Blick streift über Frauenbeine, die Füße in roten High Heels, und sein Blick wandert weiter zur Steckdose: Das ist Coopers Austrittsportal in unsere Welt.
In dieser Szene steckte alles drin: das Pflichtbewusstsein des Agenten (die Flagge), die Verführung durch Audrey Horne (die roten Schuhe), und die Magie von Twin Peaks (die Steckdose). Vielleicht kann Audrey ja Dougie/Cooper aus dem traumatisierten Zustand befreien?
Von den Figuren der ersten beiden „Twin Peaks“-Staffeln, denen wir auch in den „Return“-Folgen bislang wieder begegnet sind, gehört Bobby Briggs (Dana Ashbrook) sicher zu denen mit der überraschendsten Entwicklung. Der einstige Kleinganove ist nun Cop, und auch in dieser Folge wird er gelobt, von seiner Mutter, für den Anstand, den er mittlerweile zeigt. „Dein Vater hatte nie das Vertrauen in Dich verloren“, sagt Betty Briggs (Charlotte Stewart), und der Sohn ringt um Fassung.
Die Wahrheit steckt in der Kapsel
Unvergessen bleibt die Szene, als Major Garland Briggs (Don S. Davis) Bobby einst aus dem Nichts eine heftige Backpfeife gab; noch unvergessener die Szene, als er ihm unerwartet seinen Vaterstolz bekannte und Bobby sprachlos zurückblieb. Die Mutter führt nun ihren Sohn, Sheriff Truman (Robert Forster) und Hawk (Michael Horse) zu einem Geheimnis, das ihr verschollener Ehemann jahrelang für die Polizisten zurückließ.
Mit „The Chair“ hören wir dann die erste neue, auffällige Angelo-Badalamenti-Komposition der dritten Staffel (sie erhält auch im Nachspann eine Erwähnung), aber auch hier spielt Regisseur Lynch mit unseren Erwartungen. Betty Briggs stellt sich hinter einen roten Samtsessel und wartet. Rote Sessel haben in „Twin Peaks“ immer eine Bedeutung gehabt – doch hier taucht kein Geist auf, der Platz nimmt. Betty entfernt stattdessen per leichtem Klick eine Kapsel aus dem Sessel-Rahmen. Eine Gadget-Situation wie bei James Bond. In der Kapsel steckt eine Nachricht.
Cole will das Eis brechen
Das FBI-Duo Gordon Cole/Albert Rosenfield (David Lynch/Miguel Ferrer) liefert wieder die lustigsten Momente. „Ah! Das Wartezimmer!“ ruft Cole offiziös in einen leeren Raum, in den er geführt wurde, und Rosenfield beschwichtigt sogleich: „Nein, sie stehen schon hinter uns.“ Später gesellt Cole sich während einer Raucherpause zur wenig gesprächigen Diane (Laura Dern), und seinen erwartungsvollen, aber hilflosen und damit urkomischen Blick wird man so schnell nicht vergessen.
Folge neun liefert aber auch einige eher seltsame Referenzen. Das Duo Tim Roth und Jennifer Jason Leigh, hier als Hillbilly-Kriminelle, wirkt wie eine abgehalfterte Version von Honey Bunny und Pumpkin aus „Pulp Fiction“ – erstaunlich, denn Lynch hat sich bislang nicht von Quentin Tarantino beeinflussen lassen. Und die in dieser Episode ins Spiel gebrachte Website „The Search For The Zone“ existiert tatsächlich. Lynch sorgt anscheinend für eine virale Einbindung der Serie, schuf eine Homepage im Look von 1997. J.J. Abrams leistete mit „Lost“ und „Cloverfield“ ähnliche virale Marketing-Verknüpfungen, versuchte Fiktion über das Netz als Realität zu verkaufen.
Erstaunlich ist aber, dass David Lynch seine Website über die Suche nach einer anderen Dimension nicht als solche allein darstellt – wer auf bestimmte Links klickt (der zu Netscape ist natürlich tot) gelangt auf die Seite des wirklich existierenden Labels „Rhino“. Dort kann man, nun ja, nicht Berichte über Außerirdische lesen, sondern den Soundtrack zur dritten Staffel vorbestellen.