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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: 13 Wohnzimmer

Könnte Schule machen: Eine Ochsentour durch die gemütlichsten Konzertstätten des Landes.

Folge 138

Wenn sie diese Zeilen lesen, befinde ich mich immer noch auf einer Tournee durch 13 Wohnzimmer, während der mein Team und ich das erste Wohnzimmer-only-Livealbum der Musikgeschichte aufnehmen. Ich wollte schon immer etwas tun, was noch niemand vor mir getan hat, und da Bergbesteigungen in Papp-Ritterrüstungen, das Herstellen aus Käse geschnitzter Krippen oder die Aufführung des Genesis-Frühwerks unter Wasser schon vergeben waren, habe ich mich für die Sache mit dem Wohnzimmer-Livealbum entschieden.

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Man mag mir nachsehen, dass mich dieses Thema auch an dieser Stelle in Beschlag nimmt. Das Konzertieren in Wohnzimmern bringt einige exklusive Reize mit sich, von deren Köstlichkeit Musiker wie Aero­smith, Noel Gallagher oder Katja Ebstein niemals erfahren werden: Oft sind Kinder und Haustiere anwesend. Manchmal kommen auch die Eltern der Veranstalter dazu. Der Toningenieur muss sein Equipment in der Regel irgendwo zwischen Stehlampe, Spielesammlung und Bücherregal klemmen; manchmal sitzt er auf dem Bett der Gastgeberin. In den meisten Fällen spielt man vorm Freundeskreis der netten Menschen, die den Abend ausrichten, gelegentlich kommen auch die Nachbarn vorbei. In einigen Fällen ist es auch gut, dass die Nachbarn nicht vorbeikommen. In Hamburg etwa wurde das Konzert vom drohenden Auftritt der älteren Dame von unten überschattet, die für den Fall unbotmäßiger Lautstärke ihren Protest angekündigt hatte. Um dem Intervenieren der Dame zu entgehen, wurde ich von der Gastgeberin gebeten, doch bitte schon um 18 Uhr anzufangen. Dies hatte zur Folge, dass statt eines leichten Abendessens zahlreiche Kuchen gereicht wurden.

Kraftlos in den Sesseln

Was die meisten Menschen, die sich mit Fotos ihrer Räumlichkeiten darum beworben haben, einen der Konzert-Austragungsorte zu stellen, vermutlich vorher so nicht wussten: Meine Songs sind tendenziell eher auf der depressiven Seite des Songspektrums angesiedelt. (Mein Management bittet mich regelmäßig, statt „depressiv“ bitte „melancholisch“ zu sagen, aber ich bestehe auf „depressiv“.) Die Folge ist, dass Menschen, die sich auf einen zünftigen Abend zwischen Kuchen und Bier ­gefreut und schon den inneren Party­luftballon aufgepumpt hatten, irgendwann kraftlos im Möbel hängen. Bei allem Verständnis, diese Menschen sollten froh sein, dass sie sich mich und nicht den späten Scott Wal­ker eingeladen haben. Man kann es aber auch machen wie die ausgelassenen Zuhörer in Aachen. Im dortigen Wohn­zimmer wurden besonders niederschmet­ternde Zeilen mit derartigem Johlen begrüßt, dass ich bisweilen glaubte, aus Versehen in ein Mike-Krüger-Live­album hineingestolpert zu sein.

Auftritt in Dresden
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Es ist mir übrigens sehr wichtig zu betonen, dass wir in keiner der Wohnungen unerlaubt in Schubladen mit Unterwäsche o. Ä. herumgewühlt haben. (Ich denke, ich kann hier für mein ganzes Team sprechen.) Einmal habe ich sogar eine Platte geschenkt bekommen. Ich finde, das sollte dringend alle weiteren Gastgeber inspirieren.

Natürlich sind Wohnzimmertourneen auch kritisch zu sehen: Der Mensch zieht sich ins Private zurück, kompostiert auf der Couch vor ich hin – und der Musiker ist gezwungen, auf diese Entwicklung zu rea­gieren und bei den potenziellen Hörern daheim anzutanzen. Eigentlich schade, es sei denn, die Sache macht derart Schule, dass nur noch in Wohnzimmern aufgetreten wird. Das könnte toll sein: Man kommt abends müde von der Arbeit heim, und im Wohnzimmer haben sich die Scorpions zur Scorpions-Pyramide formiert, oder AC/DC sind gerade im Bad mit dem Be­füllen der For-those-about-to-rock-­Kanone beschäftigt …

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