Die besten Soundtracks aller Zeiten: „Uhrwerk Orange“
Der gute alte Ludwig van: „A Clockwork Orange“ ist nicht ohne seinen einflussreichen, hinterlistigen Score zu denken. Wohl in keinem Film ist Musik für den Zuschauer eine derart intensive Herausforderung.
Keine Frage: „Uhrwerk Orange“ ist einer der bedeutendsten, aber auch umstrittensten Filme von Stanley Kubrick. Ein kultisch verehrter Höhepunkt des 70er-Kinos, lange Zeit in seinem Entstehungsland nicht zu sehen und auch heute noch kontrovers diskutiert wegen seiner durchaus ambivalenten Einstellung zur Darstellung und Reflexion von Gewalt.
Malcolm McDowell wurde nach seinem Durchbruch mit dem nicht minder grandiosen Film „If….“ (1968, von Lindsay Anderson) endgültig zum Star – und verspielte alles mit dem Titten-Reißer „Caligula“ von Tinto Brass.
Die Geschichte von Alex DeLarge, der sich mit seinen Droogs in einem graffittiverschmierten britischen Slum einer gar nicht so fern anmutenden Zukunft mit Schlägereien und Vergewaltigungen vergnügt und schließlich von einem staatlich finanzierten Anti-Gewalt-Programm entmenschlicht wird, hat nichts von ihrer subversiven Schärfe eingebüßt. Auch wenn der literarische Vorlagengeber Antony Burgess die Leinwandadaption als durchaus „gefährlich“ für die Zuschauer brandmarkte und der Film in Deutschland zunächst als „prätentiöser soziologischer Traktat, angereichert mit unnötigen Grausamkeiten und Monstrositäten“ verbrämt wurde. Wie bei allen Kubrick-Filmen folgte die vielleicht manchmal etwas zu unkritische Verehrung einige Jahre später.
Der Soundtrack
Schon im Roman spielt Beethoven eine zentrale Rolle. Kubrick entschied sich deshalb ganz konsequent, dem Komponisten auch in seinem Film den akustischen Teppich auszulegen. Zum ersten Mal arbeitete er mit dem Komponisten Walter Carlos zusammen, der sich nur ein Jahr nach der Premiere von „Uhrwerk Orange“ einer Geschlechtsoperation unterzog und zu Wendy Carlos wurde. Nach der konsequenten Entscheidung Kubricks, in „2001 – Odyssee im Weltraum“ in letzter Minute auf einen eigens komponierten Score von Alex North zu verzichten und stattdessen klassischer Musik (sowie Glanzstücke der Neuen Musik) den Vorzug zu geben, ging das Konzept auch in der Burgess-Adaption prächtig auf.
Beethovens „9. Symphonie“
Allerdings mit anderen Vorzeichen: Carlos verfremdete viele Stücke wie Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ mit elektronischen Effekten und lieferte in entsprechend erschreckenden Szenen beunruhigende Synthie-Klänge. Herausragend bleibt das mit dem Titel „Timesteps“ versehene Stück, das Alex‘ cineastische Reise in eine Welt der Erniedrigungen und Bösartigkeiten begleitet, als er in Zwangsjacke und mit weit geöffneten Augen auf die mit Blut und Zorn überschäumenden Leinwandbilder starren muss. Eingespielt wurde es mit einem von Carlos selbst entwickelten Vocoder. Der ist auch in der verzerrten Fassung von Ludwig van Beethovens „9. Symphonie“ zu hören, der aus der „Musik für die Ewigkeit“ ein Terror-Instrument macht. Beide Kompositionen waren bereits lange vor der Produktion von „Uhrwerk Orange“ entstanden.
Stanley Kubrick verwendete die Musik in seinem übrigens bis heute gemessen am Gewinn erfolgreichsten Streifen auf derart perfide Art und Weise, dass sie für die Figuren in der Handlung zur Gewaltaufforderung anregt oder Szenen der Brutalität mit voller Absicht zu einer Art Oper der Entgrenzung verschleiert (wie mit Rossinis „Diebischer Elster“, die zum Beispiel bei der Ermordung von Ms. Weathers erklingt – aber auch schon den ersten von Lust an der körperlichen Auseinandersetzung geprägten joy ride unterlegt).
„Singin‘ In The Rain“
Hinzu kam der bewusst kontrafaktische Einsatz von populären Songs wie „Singin‘ In The Rain“, gesungen von Gene Kelly aus dem gleichnamigen Musical (in Deutschland: „Du sollst mein Glücksstern sein“, 1952), das Alex DeLarge in einer ersten Vergewaltigungssequenz als Aufputschmittel dient und ihn – von seinen ehemaligen Kumpeln verdroschen und schließlich von einem ehemaligen Gewalt-Opfer gütig aufgenommen – verrät. Wie auch in zahlreichen anderen von Kubricks Filmen erscheint der Einsatz solcher Lieder nicht ganz unschuldig, stets schwingt eine ironische Note mit. In „Uhrwerk Orange“, wo sie einen Großteil des Films präsent sind, helfen sie dabei, den Film zu einem radikal gegen den Strich gebürsteten Musical zu machen.
Die Komponistin
Wendy Carlos prägte mit ihren Musikexperimenten die Annäherung von klassischer Musik und modernen technischen Hilfsmitteln, die ohne Zweifel die elektronische Musik maßgeblich beeinflusst hat, auch wenn die entsprechende Würdigung erst Jahrzehnte später einsetzte. Zunächst hatte Carlos – noch als Walter und vor ihrer Geschlechtsumwandlung – Musik von Johann Sebastian Bach eine neue Dimension verliehen, als sie mit Hilfe von Synthesizern ein ganzes Orchester ersetzte. Das daraus entstandene Album „Switched-On Bach“ (1968) erhielt gleich drei Grammys und ist bis heute ihr größer kommerzieller Erfolg. Zugleich arbeitete Carlos als Assistentin von Elektropionier Robert Moog und fand so die Möglichkeit, an ihren ganz eigenen Synthesizern zu werkeln. Die kamen für die von ihr verantworten Stücke in „Uhrwerk Orange“ zum Einsatz.
Der Vocoder, der in Carlos‘ Version der „9. Symphonie“ und in „Timesteps“ zu hören ist, wurde ursprünglich für die Aufnahme ihrer Platte „The Well-Tempered Synthesizer“ (1969) entwickelt. Beide Tracks waren zunächst lediglich Testballons, um die neue Technik auszuprobieren, doch als Kubrick Carlos für „Uhrwerk Orange“ angeheuert hatte, schlug sie die Titel zur Verwendung vor.
Das Geheimnis der Kompositionen ist laut Wendy Carlos genauso simpel wie selten genug angewendet: Die Musik wird nur mit halber Geschwindigkeit eingespielt und dann technisch wieder auf die Grundgeschwindigkeit hochgezogen. All das nur, weil Carlos nicht in der Lage war, ein monophones Keyboard mit entsprechendem Tempo zu bedienen.
„Shining“
Wendy Carlos arbeitete mit Stanley Kubrick noch einmal zusammen – für die Horrorfilm-Symphonie „Shining“ (1980). Interessanterweise hatte sie für den Film einen recht konventionellen Score (gemeinsam mit Rachel Elkind) geschrieben, der schließlich aber vom Regisseur mit zahlreichen Stücken von Bartók und Penderecki ersetzt wurde. Trotzdem blieben die schaurige Eröffnungsmelodie und noch einige weitere Versatzstücke erhalten. Sie tragen entscheidend zur unheimlichen Atmosphäre des Films bei. Während der Score von „Uhrwerk Orange“ auch regulär nach dem Erscheinen des Films wieder aufgelegt wurde – auch auf CD – gibt es seit 1980 keine neue (offizielle) Einspielung von „Shining“.
Der größte musikalische Moment in „Uhrwerk Orange“
Allein die Anfangssequenz bleibt schon wegen ihres kongenialen Einsatzes der bedrückenden Synthesizer-Töne und dem faszinierenden Zoom von Alex‘ Gesicht in die Tiefe des Raums der Korova-Milchbar unvergesslich (und hundertfach rezitiert).
Die satirische Note der Erzählung verdeutlicht wie keine andere die wohl rasanteste und infantilste Sex-Sequenz der Filmgeschichte. Nachdem Alex zwei Mädchen in einem Plattenladen aufgegabelt hat (in dem übrigens eine Schallplatte des Soundtracks von „2001“ zu finden ist), hat er mit ihnen einen lustvollen Dreier, der zu den hochgepitschten und elektronisch verzerrten Rudimenten von Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ zum drastischen Quickie wird.
Schließlich der Moment, in dem Alex mit der „9. Symphonie“ im Haus seines ehemaligen Opfers erwacht, der nun mit Beethoven grausame Rache übt. Eine schockierende Szene, in der die Musik nicht nur zur Tatanweisung wird (wie zuvor im Film gleich mehrere Male), sondern selbst zum Täter.
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