Danny Boyle :: T2 Trainspotting
Melancholisch, nostalgisch, oft lustig – und etwas planlos, wie das Leben der Protagonisten selbst. „T2“ ist Danny Boyles grüblerische Fortsetzung eines der größten Popkulturfilme der 90er. Sie zeigt die heutigen Mittvierziger als Verlierer, die in der Gesellschaft nicht Fuß fassen können. Die Review – und das ROLLING-STONE-Gespräch mit Regisseur Boyle.
„Du bist nur aus einem Grund wieder hier“, sagt Sick Boy (Jonny Lee Miller) zu Renton (Ewan McGregor). „Du bist Tourist in deiner eigenen Jugend.“ Renton kann dem nicht widersprechen. Auch nicht, als Spud (Ewen Bremner) später anmerkt: „Die Welt hat sich verändert. Wir nicht.“ Die bulgarische „Masseurin“ Veronika (Anjela Nedyalkova) stöhnt am Ende auf: „Ihr redet ständig über die Vergangenheit!“.
„T2 Trainspotting“ ist ein nostalgischer, rührender, durchaus lustiger Film über (Ex-)Junkies, die auch nach 20 Jahren nicht von ihrem alten Leben lassen können. Einmal Junkie, immer Junkie. Es muss ja nicht immer gleich die Nadel sein. Für die einen ist es Sport – für die anderen wenigstens noch Kokain.
Danny Boyles erstes „Trainspotting“-Werk war im Cool-Britannia-Jahr 1996 zu Recht eine Sensation. Weil es sich, wie Irvine Welsh in seiner Romanvorlage, eines politischen Kommentars enthielt. Die Clique um Renton litt darin nicht unter Perspektivlosigkeit. Im Gegenteil, Heroin war das einzige, was ihnen Perspektive anbot – egal, was die Gesellschaft ihnen anbot.
In der Gentrifizierungswelle
In der Fortsetzung ist Renton ein joggingfanatischer Arbeitsloser, aus dem Betrieb wegrationalisiert. Spud ist auch arbeitslos und wird clean. Sick Boy verdient sein Geld mit Erpressungen. Franco (Robert Carlyle) bricht aus dem Knast aus.
Für diese Mittvierziger ist in der Arbeitswelt von Edinburgh kein Platz. Sie laufen am Starbuck’s vorbei, Sick Boy aber hat schon Probleme seinen Pub voll zu kriegen, ein paar Gäste kommen noch. „Die Gentrifizierungswelle hat noch nicht voll zugeschlagen“, sagt er. Einige aus der Gang sind Väter geworden, und ihren Kindern haben sie nichts zu bieten.
„Edinburgh ist eine schöne, historisch gewachsene Stadt“, sagt Danny Boyle im ROLLING-STONE-Gespräch. „Die Figuren aus Irvine Welshs Roman stammen aus Leith, der Hafengegend. Und da geht’s hart zu. Aber: Wie so viele andere Hafengegenden macht auch Leith eine Art Gentrifizierung durch. Der Stadttteil wird deindustrialisert. Man findet dort immer mehr Cafés.“ Das, sagt der Regisseur, sei eine zweischneidige Sache: Verbesserung und Verlust hielten sich in Edinburgh die Waage. „Identitätsverlust ist spürbar. Große Marken wie ‘Gap‘ machen sich breit.“
„T2 Trainspotting“ ist im Gegensatz zum Vorgänger ein Film mit politischen Zeitbezügen. Vielleicht etwas zu gewollt: In seiner zynischen Abwandlung der „Choose Life“-Rede von 1996 verdammt Renton die gesamte Netzwelt, von Facebook über Twitter bis Live-Blogging, und sagt der nächsten Generation noch größere Probleme voraus. Bietet sich als Thema zum Draufschlagen natürlich an.
Renton: „Choose Disappointment“
„Es liegt auf der Hand, dass für ‚T2‘ alle ein neues ‘Choose Life‘-Motto erwarteten, denn die Rede war im ersten Film schon prominent“, sagt Boyle. „Ironischerweise wurde ‘Choose Life‘ dann zu dem, was es eigentlich attackierte: Mehr als ein Slogan, eher eine Entscheidung für einen bestimmten Lifestyle.“ Boyle plante die neue Ansprache dann als eine Rede, in der zunächst zum Angriff auf unsere Süchte geblasen wird, vor allem die Sucht nach der Möglichkeit sofortiger Kommunikation mit der Welt. Und dass es oft arme Arbeiter sind, die in Ausbeutungs-Jobs die Hardware für unsere Süchte bereitstellen.
„Renton fühlte sich verbunden mit dem Gedanken einer Rebellion gegen diese Zustände. Aber er ist selbst zum Teil der Gesellschaft geworden.“ Es gehe also nicht mehr allein darum, welche Angriffsziele er in seiner Ansprache wählt. „Mittendrin sagt er: ‚Choose Disappointment‘. Das wird seine Beichte – mit Protest hat das nichts mehr zu tun. Sondern damit, wie sehr Renton sich nun als Versager empfindet. Er hatte seine Freunde im Stich gelassen und die Beerdigung seiner Mutter ausgelassen. Dies ist sein ‚Hurt Locker‘: Ein Schmerz, den er nie ganz wird ablegen können.“
Probleme bekommen diese vier Schotten, die zwei Jahrzehnte wie in einer Blase verbracht hatten, auch, weil alles globalisierter, franchisiger geworden ist. Als Renton nach Jahren in Amsterdam in seine Heimat zurückkehrt, wundert ihn, dass eine Hostess ihn am Flughafen mit „Welcome to Edinburgh“ begrüßt, obwohl sie Slowenin ist. Selbst die Unterwelt mit ihren krummen Geschäften wird von Ausländern beherrscht, wie Sick Boy lernen muss, als auch er einen „Massagesalon“ eröffnen will und sich daraufhin ein Gangster-Boss bei ihm meldet. Wer sich nicht weltmännisch in der Stadt aufführt, macht sich zum Gespött. So wie die feiernden Protestanten, die sich regelmäßig in einem Pub treffen um den Katholiken die Hölle zu wünschen – mit ihren bierseligen Erinnerungen an einen Glaubenskrieg von 1690.
Es sind alles wichtige Beobachtungen von Regisseur Boyle und seinem Autoren John Hodge. Nur: Ist es das, was man in einem „Trainspotting“-Film sehen möchte? Teil eins war ein Adrenalinschub. Junkies liefern Highlights, das gewährleistet allein schon ihr Highsein. Wer aber clean ist, ist für den Zuschauer automatisch etwas langweiliger. Die Reibereien zwischen Renton und Sick Boy allein tragen den Film nicht. Es ist Unfinished Business, deren Klärung für die Figuren wichtiger ist als für uns.
Hier fahren die Züge wirklich
So wird es der cholerische Franco, der mit seinen Rachefantasien (die auch die zweite Hälfte des ersten Teils so packend machten) die Erzählung vorantreibt. Die Figur ist als Krimineller ein hoffnungsloser Fall, aber in einer beeindruckenden Szene kommt der Schläger kurz zur Besinnung. Er verabschiedet sich von seiner Familie, wünscht seinem 19-Jährigen Sohn ein schöneres Leben, als er es hatte; Franco Junior will ja nicht Einbrecher, sondern Hotelmanager werden. Boyle und Hodge nutzen hier einen Kunstgriff, um die traurige Vergangenheit Francos zu erklären. Sie lassen Spud im Laufe ihres Films zum Hobby-Schriftsteller werden, der von der Jugend des Quartetts berichtet, mit Erinnerungen überwiegend aus dem Off. Er kennt Francos Geschichte. Da Spud die größte Entwicklung von allen durchmacht, bekommt er am Ende, wie Renton im ersten „Trainspotting“, die größte Belohnung.
Vieles knallt, glitzert und strahlt natürlich auch in „T2 Trainspotting“. Es gibt etliche ironische Verweise. Der geniale Filmtitel natürlich. Außerdem eine „Hereeeeee’s Johnny!“-Hommage aus „The Shining“. Dazu sehen und hören wir in diesem Film viele fahrende Züge, auch wenn „Trainspotting“ an sich als Metapher gedacht war. Während des Action-Finales jedenfalls rattern die Züge sogar im Minutentakt am Fenster vorbei.
Weiterer Höhepunkt: Die Pub-Szene mit den Glaubenskriegern, die wirklich urkomisch ist. „Die Auseinadersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken kennt man eigentlich eher aus Nordirland, wo deswegen Krieg herrschte, oder durch die Attentate der IRA“, erzählt Boyle. „Aber auch in Schottland, vor allem in Glasgow, gibt es diesen Zwist zwischen Protestanten und Katholiken. Renton und Sick Boy, die in diese Protestentenrunde hineinplatzen, fahren deshalb ja auch extra von Edinburgh dorthin.“
Die zwei Trainspotter wollen eigentlich Kreditkarten von den Gästen klauen, die ihre Jacken im Partytrubel angelegt hatten – werden dann aber prompt auf die Kneipenbühne geladen und müssen ein Anti-Katholiken-Lied vortragen. Der Regisseur sagt, er wollte mit diesem Kapitel keine der Seiten bloßstellen: „Sie sind alle irrwitzig, die Katholiken wie Protestanten. Das ist ja Teil des Trainspotting-Konzepts: Alle werden gleichermaßen verlacht.“
Danny Boyle, geboren in Manchester, mag die Schotten. Aber er ist sich auch sicher, dass viele Schotten den Engländern noch immer skeptisch gegenüber stehen. Dafür zieht der 60-Jährige, lachend und im Bewusstsein, dass die historische Fußnote zur Untermauerung etwas sehr weit hergeholt ist, einen Vergleich: „Wir drehten ja auch im Stadtteil namens Little France. Und warum heißt der so? Mary, Königin von Schottland, hatte genau dort eine Truppe französischer Soldaten stationiert – die sollten die Engländer angreifen! Die Schotten haben diesen Stadtteil extra nach den Franzosen benannt.“ Little France, das ist nun auch der Ort, wo die Trabantensiedlung steht, in der Spud sein kümmerliches Leben führt.
Boyle erinnert an das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands von 2014. Damals gab es einen hauchdünnen Vorsprung für die Befürworter des Verbleibs in Großbritannien. „Dürften die Schotten heute nochmal abstimmen, sie würden sich gegen die Engländer entscheiden. Und wären vielleicht auch nicht vom Brexit betroffen.“ Die Schotten, glaubt er, würden sich für Europa entscheiden.
Gelungene Reminiszenzen an Teil eins
Die Verweise auf die Vergangenheit und Geschichte, die sich leicht abgewandelt wiederholt, sind oft sehr amüsant: Zu Beginn läuft Renton auch nicht mehr vor Häschern davon, sondern spurtet auf einem Laufband. Später wirkt es wie ein gemeiner Teaser von glorreichen Zeiten, wenn er Iggy Pops „Lust for Life“ auf seinem Plattenspieler auflegt, die Nadel aber nach dem Lärmchaos der ersten Sekunde gleich wieder hochnimmt. Rentons Kinderzimmer sieht immer noch so beengend aus wie ein Sarg von innen.
Wie eine Fitnessvideo-Parodie wirkt der mit perfektem Licht fotografierte Jogginglauf durch die Natur. Dabei versorgt Renton, zwei Wasserflaschen in den Händen, Spud mit Gemeinplätzen beim Entzug: „Du musst die Sucht durch eine neue Sucht ersetzen. Nicht Dein Körper muss entgiften, sondern Dein Kopf.“ „Absolut!“, sagt Danny Boyle. „Die ganze Szene wirkt wie eine schlechte Anti-Drogen-Kampagne. Renton ist 46, und dann redet er noch immer wie ein Teenager. Der Renton aus dem ersten Film hätte sich über diesen Renton schlapp gelacht.“
Der Regisseur sagt, er habe seinem Trainspotting-fachkundigen Publikum vertrauen müssen – dass es die Ironie der Szene erkennt. „Ich hoffe, der Zuschauer bemerkt, wie lustig diese Entwicklung der Hauptfigur ist. Ironie und Sarkasmus sind ja fester Bestandteil schottischen Humors.“ Manchmal sei Sarkasmus derart tief eingelassen im Verhalten eines Schotten, dass er noch nicht mal erkennbar sei. „Für einen guten Witz würden die Briten die Wahrheit jederzeit verbiegen.“
Der Soundtrack von T2
So viele Erinnerungen, die die Figuren mit sich herumschleppen. „Perfect Day“ von Lou Reed, Brian Enos „Deep Blue Day“, alle werden sie in abgewandelten Szenen aus dem Original angerissen, remixt. „Wir wollten Erinnerungen an den ersten Film triggern“, sagt Boyle. „Aber uns nicht sklavisch an ihn binden“.
Ergänzt wird der Score durch neu ausgewählte Songs. Die Queen-Hymne „Radio Ga-Ga“, die auf dem Papier inmitten der vielen guten Tracks eher für Naserümpfen sorgte, erhält als erstes „Trainspotting“-Stück einen gemeinen Einsatz, als Mitgröhlhymne von Partyprolls. „Relax“ von Frankie Goes To Hollywood wiederum wird cool eingebaut, in einem heldenhaften Stuntman-Moment Rentons. So gut wie Boyle weiß sonst eben nur Tarantino Pop-Songs zu nutzen.
In verschissene Toiletten aber taucht Renton in „T2 Trainspotting“ nicht mehr ein, nichts ist das mehr wert. Er ist jetzt älter, ein ganz kleines bisschen weiser. Renton durchstreift einen Club, muss mal, sieht eine Kloake – und knallt die Kabinentür gleich wieder zu.