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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Gothic Nashville Lo-Fi SPD

Ein letzter Blick zurück ins Jahr 2016: Eric Pfeil stellt Musik vor, die Sie dringend hören sollten.

Folge 132

Eigentlich wollte ich ja über mein neues Kunst-Band-Projekt schreiben, das ich neulich gegründet habe. Als Reaktion auf die Flut von deutschsprachigen Wut-Bands (Messer, Trümmer, Die Nerven etc.) war mein ursprünglicher Plan, selbst auch eine Wut-Band zu gründen. Namen hatte ich bald genug: Haken, Schorf, Talg, Fräse … Rasch waren ganze Notizbücher vollgekritzelt. Dann aber erschien mir dieser Weg doch zu einfach. Nicht noch mehr Wut-Rock konnte Sinn der Sache sein – es musste ein Bandprojekt her, das sich endlich der Linderung all der Zustände annimmt, die allerorts für jugendliches Wutschnauben sorgen. Ich habe darum die Band Salbe gegründet. Ich weiß, der Name ist super. Noch besser aber ist unser Slogan: „Salbe – wir lindern“. Ob der Bandgründung auch tatsächlich Musik folgen wird, weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich nicht.

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Doch soll das erste frische Pop-Tagebuch des Jahres nicht der Bejubelung von Salbe gewidmet sein, sondern vielmehr ein letztes Mal dazu genutzt werden, im allgemeinen Listengetöse des Jahresausklangs vergessene Lieblingsmusik zu bejubeln. Bevor ich mich in die letzten 2016er-Empfehlungen vertiefe, muss ich zunächst gestehen, dass ich erst jetzt die Alben der Knowles-Schwestern Beyoncé und Solange entdeckt habe. Ich war wohl auf dem R’n’B-Ohr allzu taub in letzter Zeit. Ebenfalls an mir vorbeigegangen ist Blood Oranges „Freetown Sound“. Schreiben mag ich dazu aber nichts, das ist ohnehin andernorts schon bestens erledigt worden.

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Ich möchte mich vielmehr über einen Herrn namens Aaron Lee Tasjan auslassen, der dem staunenden Publikum im Jahr 2016 sein bereits viertes Album „Silver Tears“ vor die Nase pflanzte. Tasjan, der im zarten Alter von 22 bereits als Gitarrist bei den New York Dolls aushalf, sieht aus wie Doug Sahm, singt wie George Jones und klingt ansonsten oft, als wolle er alle Versprechen einhalten, die Ben Kweller in den letzten Jahren offenkundig vergessen hat. Wobei Aaron Lee Tasjan ganz klar mit einem Stiefel im Country steht, was sich nicht zuletzt dadurch erklärt, dass der Mann aus Ohio seit einigen Jahren in Nashville lebt. Stellen Sie sich vor, der junge Tom Petty hätte die Songs für ein neues Album des Mittachtziger-Chris-Isaak geschrieben, für das Jeff Lynne die Produktion übernommen hätte. In Nashville. Dann in etwa haben Sie den Sound dieser Platte. Dazu kommt eine lyrische Gewitztheit, die dem Mann endgültig die Aura des früh vollendeten klassizistischen Pop-Rock-Genies verleiht. Anspieltipps: „Memphis Rain“ oder „Little Movies“.

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Die Single (oder vielleicht besser: EP) des Jahres 2016 lieferte in meinen Ohren ein Gentleman namens Mark Wynn. Wynn stammt aus dem Norden Englands (was mehr als deutlich zu vernehmen ist), und hört sich auf den hier enthaltenen vier Studien in dicht betexteter Schrammelei an, als handele es sich bei den Sleaford Mods und Daniel Johnston um ein und dieselbe Angelegenheit. DIY, Straßenmusik, Outsider-Art, Bob Dylan, brüllend komische Sozialstudie, Wreckless Eric, Suff, Billy Bragg, Lo-Fi und Folk-Punk sagen sich hier ein ums andere Mal „guten Tag“. Bei Liveauftritten, so ist zu hören, reißt sich der Mann wohl ziemlich rasch die Klamotten vom Leib. Kann man sich gut vorstellen.

Wie Mark Wynns Single heißt, weiß ich leider nicht. Das Cover ist schlicht zu sehr mit Information übersäht. Enthalten sind die Songs „She Liked His Hair Long“, „Massive Song“, „Sex Legs“, „Michael Makes A Phone Call“ und „Problem.“ Und selbst wenn man nicht gewillt ist, alles von Mark Wynn sofort zu kaufen, sollte man täglich seine Songtitel anbeten. Hier einige nicht auf der Single enthaltene Titel: „I Just Don’t Understand Nick Cave“, „I Was A Lot More Prolific When I Was Living In Greece“ oder „She Fancies Me That One In Age Concern“.

https://www.youtube.com/watch?v=a9PNECTNF6Y

Die Stimme des Jahres 2016 war für mich ganz klar die der Folk-Sängerin Aldous Harding aus dem neuseeländischen Lyttelton. Ich bin vollkommen fasziniert von der Frau. Zauselbärtige Sammler vergessener Sixties-Platten mögen hier sicher Spuren von Linda Perhacs oder Vashti Bunyan finden. Mit ihrem ebenso filigranen wie aufbrausenden Ausdruck und ihrer ganz eigenen Form von Theatralik (ich mag so etwas eigentlich sonst nicht) ist die 26jährige Harding jedoch ein Fall für sich. Sehr dunkler Folk, der viel für sich behält.

Wann Hardings erstes Album erschienen ist, weiß ich gar nicht, es könnte schon von 2015 stammen. Aber als mir im Dezember ein Freund den Song „Stop Your Tears“ zukommen ließ, da war es um mich geschehen. Keine Musik, die einem freundlich entgegenweht, gerade darum aber umso lohnender. Gothic as can be.

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So, das war’s dann aber auch mit 2016. Ich möchte mich noch kurz für die Überschrift dieses Eintrags entschuldigen, mir ist nichts anderes eingefallen. Dabei gäbe sie einen guten Songtitel ab, der selbst die von Mark Wynn auf die ewige Ersatzbank verbannen würde. Außerdem klang er so schön nach „Porsche, Genscher, hallo HSV“. Ab nächster Woche geht es dann in bester SPD-Manier endlich wieder um die Zukunft. Vor der wir uns übrigens nicht fürchten müssen. Also, vor der Zukunft jetzt. Vor der SPD … keine Ahnung. Aber vor der Zukunft müssen wir keine Angst haben. Es gibt ja immerhin noch uns. Und wenn es wirklich hart wird, haben wir immer noch Salbe.

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