Duran Duran
Notorious
Von Poppern, die keine Funk-Musiker werden durften. Wie "Notorious" Duran Duran ins Schlittern brachte.
Am Ende standen zwei ernüchternde Zahlen: Platz 16 im Vereinten Königreich, Platz zwölf in den USA. Kein Hit. „Notorious“, das vierte Studioalbum von Duran Duran, drohte die Band zu erledigen. Ein Jahr zuvor standen die Musiker mit „A View To A Kill“ auf der Eins in Amerika. Mit dem ersten Bond-Song auf der Spitzenposition, was niemandem zuvor gelang, McCartney nicht, Shirley Bassey nicht.
Am einfachsten wäre es zu sagen: Der Absturz lag natürlich an der neuen Platte selbst, „Notorious“. Ganz so einfach aber liefen die Dinge nicht. Das Werk erzählt davon, wie Superstars in den 1980er Jahren, orientierungslos geworden, mit der Wahl eines berühmten, aber möglicherweise unpassenden Produzenten ins Schlittern geraten. Nile Rodgers.
Drei Jahre lag mit „Seven and the Ragged Tiger“ das letzte Duran-Album zurück. In den Achtzigern eine lange Pause, die man Teenie-Idolen, die älter wurden, nicht gönnen konnte, denn Fans entwuchsen einem zu schnell.
Dazu kamen die Probleme innerhalb der Band. Vor den Aufnahmen trennten sich Simon Le Bon, Nick Rhodes und John Taylor von den anderen zwei Taylors (alle drei sind nicht miteinander verwandt). Gitarrist Andy Taylor ging, dazu Drummer Roger Taylor.
Arcadia oder Power Station?
Und dann die Nebenprojekte aus dem Vorjahr! Sie wimmelten voller Namen, Namen, Namen: Es gab das Projekt Power Station, mit zwei Taylors, dazu Robert Palmer und Tony Thompson sowie Bernard Edwards von Chic. Und es gab Arcadia. Die bestanden aus denjenigen drei “Durannies“, die danach für „Notorious“ ins Studio gehen sollten: Le Bon, Rhodes, John Taylor. Es war einfach von allem zu viel, die Band Duran Duran geriet aus dem Fokus.
Wer erneut mit in die Aufnahmeräume ging, war Nile Rodgers – der Gitarrist von Chic, der quasi das Bindeglied zu den zwei Chic-Musikern von Power Station darstellte. Als David Bowie Rodgers 1983 für „Let’s Dance“ als Produzent engagierte, sagte der schon verblüfft, er könne die Wahl nicht nachvollziehen. Er sei doch out, die Erfolge mit Chic lägen Jahre zurück.
Dann krempelte der damals 31-Jährige das von Bowie als Flamenco angelegten Titelstück um – und schuf einen der kraftvollsten Dancefloor-Songs des Jahrzehnts. Allein schon das Fett-Schlagzeug wurde zu einem Markenzeichen, das Rodgers auch für INXS („Original Sin“, 1984) und Mick Jagger („She’s The Boss“, 1985) über einen Zeitraum von drei Jahren verwertete.
Für Duran Duran richtete Rodgers bereits die 1984er-Singles „The Reflex“ und „The Wild Boys“ ein – wieder bis auf Anschlag hochgedrehte Bass-und -Schlagzeug-Monster. Vom Rodgers-Bombast war nun, zwei Jahre später, nichts hängengeblieben – was jedoch so schlimm nicht war.
Mit den so genannten „Borneo Horns“ schleppte der Produzent drei Blasmusiker an, Lenny Pickett, Steve Elson und Stan Harrison, die „Notorious“ per Stakkato eine neue Zackigkeit verliehen, eine Funk- und Soul-Eleganz, auf die schon Grace Jones („Inside Life“) und Bowie für „Tonight“ zurückgriffen.
Hommage an Weather Report
Das Black-Music-Gewand an sich funktionierte, Duran Duran verabschiedeten sich, längst überfällig, von New Romantic, New Wave und Blitz-Club-Revoluzzertum. Man sprach von James Brown als Vorbild, das Stück „So Misled“ bezeichneten sie gar als Hommage an Weather Report.
Im Studio soll es – Duran Duran als auch Nile Rodgers waren verschiedenen Freuden zugetan – kaum eine ruhige Minute gegeben haben. Was man Rodgers vorwerfen kann ist etwas anderes. Seine mitgebrachten Session-Musiker, die Sängerinnen, das Klangbild als Ganzes, ließen den drei Durannies kaum Platz sich selbst zu verwirklichen. John Taylor, vielleicht der talentierteste Musiker des Trios, gelang auf „Notorious“ nicht eine Bass-Linie, die hängen blieb, sein Instrument ging im Mix auch unter.
Wieder war es Rodgers, der auf seiner Gitarre jammte und eine Melodie fand, die – so funktionierte seine Methode bei Chic, bei Bowies „Let’s Dance“ und zuletzt bei „Get Lucky“ von Daft Punk – alle anderen im Studio sofort aufhorchen ließ. „Er spielte ein paar Töne, und es war das Riff von ‚Notorious'“, erzählte Nick Rhodes. „Wir hörten es nur ein einziges Mal. Und wussten: Mann, das müssen wir verwenden.“
Die Songs an sich: Viele sind ein bisschen langweilig. Der Misserfolg der zweiten Album-Single „Skin Trade“, sagte Taylor, habe ihm den Glauben an die britischen Charts genommen. Damals bezeichneten Duran Duran das Lied als ihr bislang bestes. Vielleicht sind die Hörer auch nicht reingefallen auf eine Prince-Hommage, die nur wegen des Falsett-Gesangs eine sein wollte. Wenn ausgerechnet Modelizer wie Duran Duran über das zynische Modelbusiness, Schmerzen und Entbehrungen, singen, trug das nicht zur Glaubhaftigkeit bei. „A Matter Of Feeling“, auf Position vier als „die Ballade“ platziert, fischte in den Gewässern von „Save A Prayer“. Nur fehlte diesem Song das Savoir Vivre des Vorbilds, der umwerfend dargestellte Hedonismus, nach dem One Night Stand auch nur ein anderer Begriff für Paradies sein kann.
Auf wackeligen High Heels
„Meet El Presidente“ hatte sicher ihren bislang tollsten Titel, stand er doch für das typische Achtziger-Gefühl: dass man ohne falsche Bescheidenheit den Fans vorsingt, wie glamouröse Menschen andere glamouröse Menschen treffen, hier den „Präsidenten“. Unfreiwillig komisch, wie Simon Le Bon, sowieso nie zurückhaltend mit Wortspielen, haarscharf am Sexismus vorbeischrammt: „Take Your Time, But Don’t Take Off Your High Heeled Shoes“. Als dritte „Notorious“-Single erschien das Stück im April 1987 als Remix – mehr Disco-Beat, weniger Funk. Vielleicht, um auf den letzten Metern wenigstens noch ein wenig Boden in den Charts gut machen zu können. Aber da stand das Scheitern der Platte längst fest.
Überzeugend waren der Titelsong, in dem Le Bon seinen Backgroundsängerinnen einen nahezu gleichberechtigten Platz einräumte, und selten klangen „Huh!“-Schreckseufzer so sexy wie hier; ebenso das auf der Zwei platzierte, fast wie ein Showstopper wirkende „American Science“ – ein elegisches Bettgespräch, sanft und mit Bläsern akzentuiert. Dabei ging es in dem Lied um Glücksversprechen Amerikas, die einen vergiften, um Konsum, Fernsehwerbung, Neonwelten.
Kurios war die Single-B-Seite „We Need You“, beigefügt auch der Deluxe-Edition von 2010. Es enthält ein launiges Klaviersolo – „vielleicht das einzige, das ich je gemacht habe“, wie Nick Rhodes lachend in einem Interview sagte. Der Titel – übersetzt „Wir brauchen Dich“ – soll auf die Wartezeit angespielt haben, denn Duran Duran wollten zumindest eine zeitlang, dass Andy Taylor zurück ins Studio kommt.
Funk konnte 1986 für eine auf Jugendlichkeit getrimmt Band nicht unbedingt Waffe der Wahl sein. Vielleicht wurde „Notorious“ deshalb zu einem Misserfolg, von dem Duran Duran sich lange nicht erholen würden – ihr Image als Popper war einfach zu groß. Mit „Big Thing“ und den Ausflügen in House und Acid-Pop stand 1988 die nächste Stil-Kuriosa an. Und wurde wieder kein Erfolg.
Keiner stieß in die Lücke, die sie hinterließen
Dabei war die Veröffentlichung von „Notorious“ für den Herbst 1986 (24. November) gut terminiert. Das auslaufende Jahr war frei für Le Bon und Co, es gab keine U-30-Popband, die ihnen den Rang streitig machen wollte. Die von den Medien als Konkurrenz aufgebrachten A-ha veröffentlichten ihr zweites Album „Scoundrel Days“ nahezu zeitgleich – aber die Norweger legten ein grüblerisches, erst später als meisterlich erkanntes Werk vor, das damals für die meisten Fans und Kritiker hinter den Erwartungen zurückblieb. Insofern scheiterten Duran Duran, allein auf dem Feld, an sich selbst.
„Was an ‚Notorious‘ Angst machte“, sagte John Taylor mehr oder weniger tiefsinnig, „war, dass es unsere erste Platte sein sollte, die keiner kaufte.“ Simon Le Bon erklärte 1988 rückblickend, warum „Notorious“ überhaupt angegangen wurde: „Wir waren davor so scharf gewesen auf Erfolg, dass wir zum Klischee einer Teenie-Band wurden. Wir verbrachten zuviel Zeit damit uns Sorgen zu machen über Klamotten, Make-Up, Foto-Sessions. Das Songwriting wurde zweitrangig.“
Die Ernsthaftigkeit jedenfalls konnte ihnen keiner mehr absprechen. Noch in bester Erinnerung war damals der Unfall mit seiner Yacht, als der Sänger im August 1985 mit seinem Gefährt bei einem Rennen havarierte und zu ertrinken drohte. Das Debakel samt teurem Boot wurde besonders von Klatschmedien als Fanal gedeutet: Dekadenz bringt einen irgendwann noch mal ins Grab.
Nicht totzukriegen
Nile Rodgers ist, es lässt sich auf seiner Homepage nachlesen, voller Lob für „Notorious“. Der dort präsentierte Text liest sich wie der Waschzettel einer Plattenfirma: „Notorious was considerably less densely arranged than the bands earlier work, relying mostly on great melodies, raw musicianship and the CHIC elements that became the Nile Rodgers Sound in the 80’s. The synth work was minimal, and strategically placed horns took over the harmonic textures.“
Rodgers spielt den Titel-Song bis heute live.
Dreht man die Schallplattenhülle von „Notorious“ um, sieht man ein Herbstpanorama. Das Foto einer Wiese in der Dämmerung, einen echten britischen Baum voller verdrehter Äste – und davor stand das Model Christy Turlington, 17, mit Schulterblick.
Wenigstens hier waren Duran Duran – aber was hätte man in diesem Fall auch anderes erwartet! – ihrer Zeit voraus. Die Ära der Supermodels stand ja erst noch an: Turlington, Cindy Crawford, Claudia Schiffer, Naomi Campbell …
Duran Duran mit Nile Rodgers auf der Bühne – Simon Le Bon stellt den Produzenten vor: