Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Im Barbershop läuft kein Pink Floyd
Aus der Reihe „Ehedem verhasste Konsensplatten neu entdeckt“. Heute: „Wish You Were Here“ von Pink Floyd.
Folge 125
Im vergangenen Sommer lag ihr ergebener Autor nichtsnutzig an einem Strand herum, als der Besitzer der nahe gelegenen Strandbar, der bis dahin nur aktuelle Saisonhits abgefeuert hatte, es plötzlich für eine gute Idee hielt, das Pink-Floyd-Album „Wish You Were Here“ in voller Länge abzuspielen.
„Wish You Were Here“ war mir erstmals im Alter von etwa zehn Jahren in der Plattensammlung meines älteren Bruders begegnet. Das Hipgnosis-Cover mit den beiden Anzugherren (einer davon brennend) übte damals eine magische Anziehung auf mich aus. Genau so, dachte ich, müssen Plattencover aussehen: hochgradig stilisiert, bedeutungsschwanger, gleichzeitig aalglatt und verstörend. Die Musik selbst ließ mich einigermaßen enttäuscht zurück. Schon zu jener Zeit war ich ein Freund konziser Songs, ich mochte die Beatles, AC/DC und Udo Jürgens, und damit hatte das Floydsche Wabern und Schwelen wenig bis gar nichts zu tun.
„Wish You Were Here“ am Strand
Ich fand die Platte zudem reichlich deprimierend: Wann immer sie lief (selten), formten sich an postapokalyptische Filme gemahnende Bilder von düster dräuenden Siebziger-Jahre-Hochhäusern, die von Hubschraubern umkreist wurden. Pink Floyd wurde in meinem Umfeld erst durch die Entdeckung Syd Barretts (dem bekanntlich „Shine On You Crazy Diamond“ gewidmet ist) zu einer interessanten Band. Bis heute bin ich erklärter Fan der Barrett-Floyd und somit vor allem von „The Piper At The Gates Of Dawn“. Alle folgenden Platten stammen von einer anderen Band. Einer Band, die ich nicht sonderlich mochte. Bis zu jenem Strandtag.
An diesem Strand nun erschien Ihrem Chronisten „Wish You Were Here“ plötzlich als die siebtbeste Platte der Welt. Lassen Sie es sich gesagt sein: Strände erfahren eine Überhöhung ins Metaphysische, wenn sie mit „Wish You Were Here“ bedudelt werden. Die Frage, ob man ähnliche Effekte erzielen könnte, wenn man ländliche Anhöhen, Shoppingmalls oder Parkhäuser mit der Platte bedröhnte, muss vermutlich mit Ja beantwortet werden. Es gibt aber auch Orte, wo „Wish You Were Here“ keinen Sinn ergibt: nachhaltige Barbershops etwa, ganzheitliche Burgerbuden, nachdenkliche Craft-Beer-Läden. Jedenfalls, am Strand war das Dräuen dieser Platte, das sich immer wieder zum Wuchtigen und Konkreten verdichtet, genau richtig.
Apotheose sexbefreiter Weiße-Männer-Musik
Sicher, der Strand hat geholfen, die einstmals gering geschätzte Platte neu zu bewerten. In Ermangelung eines ebensolchen vor der Haustür höre ich die Platte seither aber auch sehr gern ohne Sand und Wellen. Was sie nicht alles ist: eine Totenmesse für einen (damals noch) lebendigen Geist, ein gediegenes „Fuck You!“ in Richtung Musikindustrie, vor allem aber die Apotheose der komplett sexbefreiten Weiße-Männer-Musik. Gut, dass die Band den ursprünglichen Plan, ein ausschließlich auf Haushaltsgeräten und Alltagsgegenständen zusammenmusiziertes Werk aufzunehmen, zugunsten einer Konzeptplatte über einen in den Fängen der bösen Musikindustrie allzu früh verglühenden Star verwarf.
Als ein Relikt dieser Aufnahmen ist immerhin noch das die Platte einleitende Reiben an einem Weinglas zu vernehmen. Weitaus berückender sind aber vor allem David Gilmours effektives Gitarrenspiel und die mit der Gitarre dialogisierenden Keyboardparts von Rick Wright. Irgendjemand hat mal geschrieben, Wrights Spiel auf diesem Werk gemahne an einen Beerdigungsmarsch im Weltraum. Irgendjemand hat recht.
Was nun kann einem „Wish You Were Here“ im Jahr 2016 noch erzählen? Vielleicht dass g‑Moll einfach eine tolle Tonart ist. Dass musikindustriefeindliche Musik kommerziell sehr erfolgreich sein kann. Und dass auf Orten, wo diese Musik unpassend klingt (Burgerbuden, Craft-Beer-Läden, Barbershops), kein Segen liegen kann.
Eines aber ist sicher: Von allen Alben, die mit dem Reiben von Weingläsern eröffnen, ist „Wish You Were Here“ das beste.