Neil Young live in Berlin: von guten Bauerntöchtern und schlimmen Kammerjägern
Drei Stunden Neil Young in der Berliner Waldbühne. Mal erhebend, mal ernüchternd.
Es ist ein wenig wie mit dem alten Witz über Jazz, der besagt, dass diese Stilrichtung die einzige sei, die den Künstlern mehr Freude bereitet als den Zuschauern. Auf endloses Gegniedel trifft das wohl auch zu. Neil Young wankt und schwankt beachtlich, wenn er sich für ein Solo ins Zeug legt, es scheint ihm Spaß zu machen; auch Willie Nelsons Söhne haben Bock und hüpfen fröhlich auf der Stelle.
Hin und wieder bringt die Jeder-darf-mal-Gitarrensolo-Rotation erfreuliche Momente hervor, häufig ist sie öde und ermüdend. Versteht man die den Innenraum verlassenden Menschenmengen und den Lautstärkepegel der Gespräche auf den Blöcken als Indikatoren für das schwindende Interesse der Zuschauer, lässt sich wohl erkennen, dass die ausschweifenden Jams das Publikum der Berliner Waldbühne wenig zu fesseln wissen.
Diese sind aber glücklicherweise nur eine Facette eines dreistündigen Konzertabends. Um kurz nach halb acht, zwei junge Frauen in Bauerntöchter-Dress haben den Bühnenboden gerade mit Saatgut bestreut, setzt sich Neil Young ans Klavier und beginnt das Konzert solo mit “After the Gold Rush”. Die höchsten Töne erreicht er nicht mehr, ansonsten ist er gut bei Stimme, das wird in den folgenden drei Stunden so bleiben.
Nach dem ersten Lied wechselt er an die Akustikgitarre und legt mit “Heart of Gold” und “The Needle and the Damage Done” gleich zwei weitere Klassiker hinterher. Es folgt “Mother Nature (Natural Anthem)”, und Young predigt “Respect mother earth and her healing ways”; die Zuschauer, durchschnittlich wohl mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von drei Plastikbechern (es ist ein schwüler Abend), schmiegen sich aneinander.
Schöne Landschaften, hier
Gasmasken tragende Männer in Schutzanzügen betreten nun die Bühne und jagen bedrohlich qualmende Chemikalien zwischen die Verstärker. Der Gegenentwurf zu den Bauerntöchtern in Gummistiefeln, die unmittelbar vor Beginn zu sehen waren. Die Kammerjäger haben die Bühne schon wieder verlassen, und Promise Of The Real, Youngs derzeitige Begleitband, ist da. Jetzt geht’s also richtig los.
“Out On The Weekend”, “Are You Ready For The Country?”, “Someday”. Besonders gut: “Powderfinger”. Hier haben sie sich noch im Griff, noch haben sie den Song nicht aus dem Auge verloren. “Everbody Knows This Is Nowhere”, schön. “Down By The River” läutet danach den Teil des Abends ein, wo man nach jedem ausschweifenden Jam ein “Thank you, good night!” erwartet, und es aber einfach immer weiter geht. Young nimmt nur an einer Stelle das Publikum zur Kenntnis und lobt die schönen, gepflegten Landschaften Deutschlands.
“Monsanto Years” mündet in einem interessanten Ambient-Jam, auch “Wolf Moon”, mittlerweile ist es dunkel über Berlin, überzeugt; danach wird noch einmal gerockt. Eine launige Darbietung von “Rockin’ in the Free World” beschließt den Abend nach drei mal erhebenden, mal ernüchternden Stunden.
Setlist:
After the Gold Rush
Heart of Gold
The Needle and the Damage Done
Mother Earth (Natural Anthem)
Out on the Weekend
Unknown Legend
Peace of Mind
Human Highway
Are You Ready for the Country?
Someday
Winterlong
Bad Fog of Loneliness
Alabama
Words (Between the Lines of Age)
Powderfinger
Everybody Knows This Is Nowhere
Down by the River
Western Hero
People Want to Hear About Love
Country Home
Seed Justice
Monsanto Years
Wolf Moon
Love and Only Love
Rockin‘ in the Free World