Glaube, Liebe, Hoffnung (19): Die Identifikation mit den Zwergen
Eine Hymne auf den Favoriten, eine Ode gegen den Underdog an sich - EM-Blog, Folge 19
„Wenn ich wenigstens ein Neger wär, dann wär ich wer…“
Stefan Suhlke
Für den Underdog sind alle, vor allem die Mädchen. Vor allem die Mädchen, die sich für Fußball nur während der EM interessieren. Sie finden es dann putzig, wie die Albaner das Spiel der Franzosen für eine Weile lahmgelegt haben, sie finden es toll, wenn die irischen Fans schon drei Stunden vor dem Spiel zu singen anfangen, und das dann Nonstop bis zwei Stunden nach dem Spiel durchhalten, obwohl die Mannschaft verloren hat, sie jubeln für die knuffigen Isländer am Sonntag Abend gegen Frankreich.
Vor allem die Isländer. Denn der Albaner ist dunkel und irgendwie suspekt, Die Isländer aber sind soooo süüüüß, sie haben süüüüüüße Namen wie Siegtor-son und Gunnar-son. Eigentlich sind die Isländer Hobbits und die ganze Insel so bezaubernd und unschuldig grün und märchenhaft, wie das Auenland auf Mittelerde. Elfen gibt’s da bestimmt auch. In jedem Fall mehr Schafe als Menschen.
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Nur sind all dies weniger poetische Märchen, als spießige Kleinbürgerphantasien. Die Identifikation mit den Zwergen und der Zwergenmoral ist vor allem ein Symptom für Desinteresse an dem, was Fußball ausmacht: Der Versuch dem Gegner sein Spiel aufzuzwingen, ihn in die Defensive zu treiben und durch Tore zu besiegen. Wer sich mit den nordischen Destruktivos freut oder gar identifiziert, ist nur ein Opfer der Gemütlichkeits- und Versöhnungsideologie des Merkeldeutschland. Die Sympathie für die starken Wichtel aus dem Norden ist eine perfekte Verkörperung der Möchtegern-Harmlosigkeit und Selbstinfantilisierung der Deutschen, die von allen geliebt werden möchten. Da feiert man mit den Isländern den Kleinbürger in sich, die bundesrepublikanische Stillosigkeit, die ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen in Architektur, Stadtplanung, politischem Bewusstsein, ökonomischer Moral, ökologischem Tugendterror, Gesundheitswahn und eben der behaglichen Verklärung des Kleinen Hutzeligen findet, der keinem etwas zu Leide tun, sondern nur ein wenig Spaß haben will..
Ironisierung und Intellekt werden von dieser bundesrepublikanischen Ideologie ebenso unter Verdacht gestellt, wie Ästhetik. Nirgendwo war der Hass gegen iberischen Tiki-Taka- und italienischen Calcio-Machiavellismus größer, als in Deutschland, in keinem anderen europäischen Land, idealisierte man zugleich britische Kick-and-Rush-Romantik.
Die Deutschen lieben im Fußball Kämpfer und Arbeiter, Eisenfüße und Blutgrätscher, vielleicht noch jungenhafte Spaßvögel wie Müller und Podolski, Schönspieler wie Messi und Ronaldo lieben sie nicht.
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Aber zurück zu den Isländern: Wenn ein ganzes Volk im Gleichklang klatscht und affenartig brüllt muss man sie nicht noch als „urwüchsig“ verharmlosen. Das verrät nur etwas über unsere eigenen Phantasien, nichts über Isländer. Wissenschaftler fordern übrigens seit Jahren eine unabhängige Kommission zur Aufklärung des möglicherweise auf faschistische Tendenzen hinweisenden „Uh“.
Vor allem aber übersieht die derzeitige Island-Verklärung nicht nur Offshore-Konten und Korruption, böse Banken und Katzen als Landesspeise, sondern die Tatsache, dass die Isländer einfach nur sehr kompakt verteidigen, mit 5-3-2 oder 5-5-0 Systemen und lange Bälle nach vorn schlagen, denen sie dann hinterherrennen.
Sie spielen mit anderen Worten eine Steinzeitfußball.
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Ohne Frage: Die Tatsache, dass sich das kleinste Land, das sich je für eine EM-Endrunde qualifizieren konnte, sogar bis ins Viertelfinale vorgerobbt hat, ist eine der Geschichten, wie sie nur der Fußball und das Leben schreibt: „Against all odds“, David gegen Goliath. Gleichzeitig muss man aber auch zugeben: Island ist so ein typisches Team mit radikaler Defensivtaktik und streng konservativer Risikovermeidung, die einfach keinen guten Fußball spielen, das aber mit 150 Prozent Einsatz, und die damit Gegner, die ein Tor erzielen und gewinnen möchten, zur Weißglut treiben. So ging es Portugal in der Vorrunde, so ging es England im Achtelfinale – und in beiden Fällen mit viel viel Glück konnten sich die „Wikinger“ behaupten. So wird es auch Frankreich wieder gehen – trotzdem muss man hoffen, dass sich die Franzosen durchsetzen.
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„Isländer sind eigentlich schon seit Langem trainiert, Chancen, wenn sie sich bieten, zu nutzen: So war es mit dem Eyjafjallajökull, als wochenlang kein Flugzeug den Himmel Islands überflog. Einige fingen damals an, die Asche des Vulkans zu verkaufen. Und haben ein Flugzeug von Iceland Air nach dem Vulkan benannt. Sobald man merkt, da ist eine Form von Momentum, springen alle drauf und versuchen, so viel wie möglich daraus zu machen.“
Kristof Magnusson, isländisch-deutscher Schriftsteller, in der taz vom 29.6.16
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Den Franzosen wird es nur gelingen, die alte Fußball-Ordnung wiederherzustellen und Island nach Hause zu schicken, wenn sie von Anfang an mit hohem Tempo die isländische Abwehr in Verwirrung stürzen und ermüden. Der frühe Elfmeter für England hat gezeigt, dass die Isländern zu Fehler zu provozieren sind.
Das Spiel hat aber auch gezeigt, dass Island zurückschlagen kann, vor allem wenn es unterschätzt wird. Island dieses Volk von faulen Wikingern, die der Raubzüge und Plünderungen müde wurden, und sich darum auf Landwirtschaft, Fischfang und neuerdings Bankgeschäfte verlegten, spielte gegen England wie ein Fischerschwarm, der plötzlich einen Wal entdeckt hat: Sehr flexibel und spontan, wusste man die Dynamiken zu nutzen die Gelegenheit beim Schopfe zu packen.
Sie brauchen keinen Ballbesitz, das Totstellen der Räume genügt. Seid wachsam, Franzosen: „Formez vos bataillons, marchons, marchons! Qu’un sang impurAbreuve nos sillons!“
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Underdog ist bereits heute Abend auch Polen. Die spielen gegen Portugal, also auch hier wieder elf tapfere Hobbits gegen den fiesen Zauberer Saruman, genannt Cristiano Ronaldo. Hoffen wir im Sinne des Fußballs und des Turniers, dass der letzte Ostblockvertreter von Bord geht, und Polen im Halbfinale gegen Belgien spielen kann. Das wäre dann endlich ein Knaller, und ein Stück Gerechtigkeit.
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Nach dem Brexit und dem anschließen EM-Brexit könnte bald auch den ausländischen Spielern das Ende der Premier League drohen. Eine sofortige Folge: „Transfers werden teurer werden, wenn englische Vereine von europäischen kaufen.“ Ganz einfach deshalb, weil das Pfund nun weniger wert ist. Insgesamt rund 400 Spieler in den englischen und schottischen Ligen könnten betroffen sein. Der Grund dafür ist, dass die arbeitsrechtlich garantierte Freizügigkeit bald wegfällt. Das heißt: Nach dem EU-Austritt gilt auch für die europäischen Spieler ein verschärftes Arbeitsrecht. Das stützt sich vor allem auf Einsätze in der jeweiligen Nationalmannschaft.
Denn: Kommt ein Spieler aus einer der besten zehn Nationen der Welt, muss er in den letzten zwei Jahren 30 Prozent der Länderspiele absolviert haben, um in der Ptremier League auflaufen zu dürfen. Je weiter hinten das Land in der Weltrangliste, umso höher die vorgeschriebene Einsatzquote.
Viele sehen darin auch eine Chance für den englischen Fußball. Superstars können ja weiterhin kommen. Bei allen anderen müssten die Vereine jetzt eben sorgfältiger nach Talenten schauen, vor allem nach einheimischen
Bei Vielen im englischen Fußball, gibt es das Gefühl, dass der Erfolg der Premier League die Qualität der englischen Nationalmannschaft verschlechtert.
„Der Fußball weiß in der Regel seinen Weg zu gehen, und es würde mich überraschen, wenn er es nicht auch in Zukunft täte.“
Charles Wyett, „Sun“
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„Der soziologische Nenner,/ der hinter Jahrtausenden schlief,/ heißt: ein paar große Männer/ und die litten tief./
Heißt: ein paar schweigende Stunden/ in Sils-Maria-Wind,/ Erfüllung ist schwer von Wunden,/ wenn es Erfüllungen sind./
Heißt: ein paar sterbende Krieger/ gequält und schattenblaß,/ sie heute und morgen der Sieger -:/ warum erschufst du das?/
Heißt: Schlangen schlagen die Hauer/ das Gift, den Biß, den Zahn,/ die Ecce-homo-Schauer/ dem Mann in Blut und Bahn/
und heißt dann: schweigen und walten,/ wissend, daß sie zerfällt,/ dennoch die Schwerter halten/ vor die Stunde der Welt.“
Gottfried Benn