Zum Tod von Scotty Moore: Die Geschichte von „That’s All Right“
„Mein Gott, die werden uns aus der Stadt jagen!” – Wie Scotty Moore, Bill Black und Elvis Presley gemeinsam zu ihrem Sound fanden.
Sam Phillips, der Inhaber des unabhängigen Labels Sun Records, findet Gefallen an dem jungen Mann. Die Musik der Starlite Wranglers imponiert ihm zwar nicht besonders, aber er erkennt sofort Moores Talent und außergewöhnlichen Ehrgeiz, und gibt ihm die Telefonnummer eines anderen begabten Nachwuchskünstlers, eines gewissen Elvis Presley, 19 Jahre alt, Lastwagenfahrer. Einen Tag später sitzen sie mit Bill Black, dem Bassisten der Starlite Wranglers, in Moores Wohnzimmer und spielen Countryballaden. Elvis ist nervös, bricht viele Lieder ab und geht schon bald wieder nach Hause, zu seinen Eltern.
Am nächsten Tag treffen die drei Musiker sich im Sun Studio. Sam Phillips will Elvis’ Stimme noch einmal auf Band hören; er sieht etwas in dem Jungen, Scotty Moore auch. Aber es will einfach nicht klappen, sie spielen Bing Crosbys „Harbor Lights” und Leon Paynes „I Love You Because”, immer und immer wieder, aber Elvis kann sich nicht entspannen, und irgendwann geben sie auf. Es ist ein Wochentag, morgen müssen alle arbeiten; es wird Zeit, nach Hause zu gehen.
„Auf einmal”, so wird Moore in Peter Guralnicks fantastischer Presley-Biografie „Last Train to Memphis” zitiert, „beginnt Elvis, dieses Lied zu spielen. Er springt auf und ab und albert herum, und Bill macht mit, und ich steige dann auch ein. Sam hört uns und kommt in den Raum. ‚Was macht ihr da?’, sagt er. ‚Wissen wir nicht!’, sage ich. ‚Versucht, einen Anfang zu finden, und macht es noch einmal!’, sagt Sam.”
Das Lied ist „That’s All Right”. Die Aufnahme vom 5. Juli 1954 besticht noch immer durch mitreißende Energie. Elvis spielt seine Akustikgitarre nicht, er klampft mit jugendlichem Dilettantismus; er war nie ein Gitarrist und immer ein Sänger, vielleicht der beste, aber das wissen wir ja. Scotty Moore jedoch war ein Gitarrist, und was für einer, so etwas wie sein herausragendes Solo bei „That’s All Right” hatte man bis dahin nicht gehört. Ja, es gab „Rocket 88” und „Shake, Rattle & Roll” vor Moore, und es gab Chet Atkins und Tiny Grimes vor Moore. Aber wie schmutzig-elegant er seine ‘52er Gibson bei „That’s All Right” klingen lässt, wie er Bassläufe und Melodiestimmen mühelos in einer Bewegung vereint, wie hier aus Blues und Country, aus schwarzer und weißer Musiktradition etwas Eigenes, etwas Neues entsteht, das war, wie wir heute wissen, eine Zäsur und, das lässt sich wohl ohne Übertreibung sagen, der Beginn eines neuen musikalischen Zeitalters. „Es war etwas völlig Anderes, und es gefiel uns”, erzählte Moore. „Aber wir dachten: Mein Gott, die werden uns aus der Stadt jagen!”
Einige Jahre bleibt Moore an Elvis’ Seite. Sie touren als die Blue Moon Boys wie verrückt zunächst durch den amerikanischen Süden, dann durch die ganzen Vereinigten Staaten; sie nehmen weitere Songs auf, zuerst noch für Sun Records, dann, als Elvis der größte Star der Welt wird, für das Major-Label RCA. Scotty Moores unfassbares Gitarrenspiel ist auf „Mystery Train” zu hören, auf „Heartbreak Hotel”, auf „Blue Suede Shoes”, auf „Hound Dog”, auf „Jailhouse Rock”, unter anderem.
Nach seinem Wehrdienstaufenthalt in Deutschland spielte Presley einige Jahre keine Konzerte mehr und konzentrierte sich auf seine Filmkarriere. Auf dem Album „Elvis Is Back!” (1960) spielte Moore noch mit, bei einigen Sessions war er danach dabei, aber die Wege trennten sich langsam. Im Rahmen des Comeback-Fernsehkonzerts 1968 spielten Moore und Presley noch einmal zusammen, danach nicht wieder.
Moore blieb beschäftigt, baute sich in Nashville ein Studio auf und arbeitete als Produzent und Tontechniker. Später, nach Presleys Tod, betreute er biografische Projekte und tourte mit alten Kollegen wie Carl Perkins. Er schrieb ein Buch, natürlich; es hieß „That’s All Right, Elvis”, natürlich.
Scotty Moore ist am 28. Juni 2016 gestorben, in Nashville. Er wurde 84 Jahre alt.