Glaube, Liebe, Hoffnung (6): Die fünf Minuten des Bastian Schweinsteiger
Schweinsteiger lieferte den Fußballgottesbeweis. EM-Blog, Folge 6
Das ist natürlich jetzt seine Geschichte: Bastian Schweinsteiger. Da konnte selbst Boateng nicht gegen an, unser liebster Nachbar, der eine knappe Stunde zuvor noch sein eigenes Eigentor wieder aus dem Tor bolzte – vor der Linie versteht sich.
Durch Boateng hatten wir endlich verstanden, was Jogi Löw in der Vorbereitung daran störte, dass Marco Reus, wie Löw sagte, „nur geradeaus laufen“ könne. Wer das deutsche Nationaltrikot überstreifen will, der muss über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen, der muss auch rückwärts laufen können, und er muss auch im Flug Bälle gegen die Flugrichtung treten können, und das ohne Fallschirm.
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Boateng, das wäre schon eine super-Geschichte gewesen, erst recht zusammen mit dem Tor von Shkodran Mustafi – da hätte man die wöchentliche AfD-Schlagzeile mal in die Gegenrichtung texten können: Na Herr Gauland, wo wären wir denn ohne den bunten Teil Deutschlands? Wen würden Sie denn aufstellen?
… und Europameister würden die Türken
Wenn die deutsche Nationalmannschaft nur aus blonden und blauäugigen Spielern bestehen dürfte, dann würde sie erstens in ihren neuen Auslandstrikots ständig mit der von Nordirland verwechselt, oder mit einer AfD-Wehrsportgruppe, und zweitens würde sie mit besagten Nordiren, der Slowakei, und Schweden um den besten dritten Platz fighten – Europameister würden die Türken. Denn da würden ja dann Özil und Khedira mitspielen.
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Aber das alles wurde in den Schatten gestellt durch den Auftritt von Bastian Schweinsteiger. Man kann da jetzt über Laufwege reden, über Erfahrung und Instinkt. Aber eigentlich war es etwas ganz anderes: Die fünf Minuten des Bastian Schweinsteiger waren das bisherige Wunder dieser EM. Sie waren Fußball pur, sie waren der Fußballgottesbeweis.
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„Die Ukraine ist eigentlich immer gefährlich“, sagte irgendwer vor dem Spiel, und wer dann sah, wie sich die Spieler beim Spitzenspiel gegenseitig verprügelten, der wusste, was gemeint war. „Die Ukraine, das ist doch eigentlich gar kein Staat, sondern eine amerikanische Werbeagentur“ hatte mir Sportskamerad Jupp zuvor noch ins Ohr geflüstert. Doch Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, erst recht, wenn sich ein Land im Bürgerkrieg befindet – und sind wir nicht alle irgendwie Separatisten, Herr Seehofer?
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„Noch ist die Ukraine nicht gestorben“ sei der Text der Nationalhymne, verriet der ARD-Kommentator – mei sind die drauf. Geht’s noch? Abgesehen davon, dass das ein im Grunde defätistischer Text ist, denn die Betonung liegt ja auf dem „noch“. Im Gegensatz zu den Ukrainern hatten die Deutschen bei der Nationalhymne noch ihr Jäckchen an.
John Boy Walton spielte auch mit
Kaum hatten sie’s ausgezogen, gab es schon die erste Chance für die bürgerkriegsgestählten Ex-Sowjets – in der vierten Minute nach Mustafi-Fehler. Da hinten gerade für ihn wenig klappte, entschied sich Mustafi dafür, dass die beste Verteidigung natürlich das Tor eines Abwehrspielers ist: Sein Kopfball zum 1:0 war in jeder Hinsicht überraschend, aber nicht unverdient.
Zumindest bis dahin. Dann wendete sich das Blatt und der trottelige Gerd Gottlob (was für ein Name?) hatte als ARD-Kommentator Mühe sich zu entscheiden, ob die Deutschen nun „drückend überlegen“ (ca. 35. Min.) seien, oder „von Glück sagen“ (ca 38. Min.) konnten, dass sie noch führten. In der zweiten Hälfte schlief Gottlob meistens durch.
Insgesamt muss die deutsche Bilanz nach dem ersten Spiel tatsächlich eher durchwachsen ausfallen: Thomas Müller hat es im ersten Spiel gar nicht gebracht. Kaum weniger enttäuschend das Spiel von Götze, der noch immer auftritt wie der John Boy Walton der deutschen Elf. Khedira war in der ersten Halbzeit unauffällig, in der zweiten viel besser. Abgesehen von guter Defensivarbeit kam er zu zwei hochgefährlichen Schüssen. Aus unerfindlichen Gründen wurde Schürrle eingewechselt – immerhin sorgte er für die lustigste Szene, als er sich selbst gegen den Fuß schoss.
Ansonsten bleiben die üblichen Textbausteine: „Arbeitssieg“, „Wir können uns steigern“, „So ein Turnier ist ein Marathon.“
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Fazit: Bei aller Zufriedenheit mit dem Ergebnis war das jetzt auch kein Spiel, von dem der Schwung für den Titel ausgeht.
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Zu Polen – Nordirland, dem anderen Spiel deer deutschen Gruppe, gibt es jetzt wirklich nicht viel zuu sagen, zumal ich’s auch nicht komplett gesehen habe, sondern es nur im Hintergrund mitlief. Der Kommentator in der ARD regte sich während des Spiels immer wahnsinnig auf, dass die Nordiren „so wenig tun“. Aber würde man das auch kritisieren, wenn da jetzt Arminia Bielefed gegen den FC Bayern antreten (an-treten, hoho!) würde? Und als ein nordirischer Stürmer dann mal aus dem Nichts einen irren Fallrückzieher probierte, irre, weil 20 Meter vor dem Tor, war’s dem ARD-Herren auch wieder nicht recht.
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Ein interessantes Spiel war auch Kroatien – Türkei, aber eher völkerkundlich. Bemerkenswert, dass unter den türkischen Fans im Stadion so viele Frauen waren – und alle ohne Kopftuch. Denn immerhin möchte Erdogans Islamisten-Partei AKP Frauen eigentlich den Stadionbesuch untersagen.
Dass zeitgleich zur EM gerade Kroatiens Regierung zerbrochen war, merkte man weder der Mannschaft noch dem nationalistischen Gegröle ihrer Fans an. Mit Rakitic und Mandzukic haben die Kroaten zwei Weltklassefußballer in ihren Reihen, was man von den Türken nicht behaupten kann, trotz Sahin, der aber gerade eh nicht spielt. Beide Teams waren sehr defensiv ausgerichtet, Kroatien mit einem 4-5-1, die Türkei mit 5-3-2, beide spielten hart in der Abwehr, wobei dieser fast destruktiven Härte die derzeitige Linie der EM-Schiedsrichter entgegenkommt, die Zweikämpfe etwas großzügiger auszulegen.
Das 1-0 war angesichts der nicht nur rein optischen Überlegenheit für Kroatien wahrscheinlich verdient.